Debatte

SPD: Keine Sterbehilfe durch Vereine

Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
Noch sehr viele Detailfragen zu klären: Die Sterbehilfe in Deutschland soll neu geregelt © picture alliance / dpa / Jm Niester
Moderation: Dieter Kassel · 29.07.2014
Sterbehilfe sollte nur durch einen behandelnden Arzt, zu dem ein jahrelanges Vertrauensverhältnis besteht, möglich sein. Vereine sollten nicht einbezogen werden, findet die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht.
Dieter Kassel: Politiker in Deutschland wollen am liebsten mit einer großen parteiübergreifenden Mehrheit die Gesetze zur Sterbehilfe verändern, präzisieren. Bundesgesundheitsminister Gröhe will jede Art von organisierter Sterbehilfe verbieten. Er meint es hoffentlich gut, aber kann man so Menschen helfen, die sterben wollen, weil sie schwer krank sind?
Darüber haben wir gestern um diese Zeit mit dem CDU-Politiker Michael Brand gesprochen, jetzt wollen wir mit Christine Lambrecht reden. Sie ist erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Einen schönen guten Morgen, Frau Lambrecht!
Christine Lambrecht: Einen schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ich möchte Ihnen der Fairness halber jetzt am Anfang, dann können wir gerne variieren, die gleiche Frage stellen, die ich Herrn Brand gestern gestellt hab. Wenn ein Mann vor Ihnen liegt, der schwer krank ist, der leidet, bald sterben muss, aber bei völliger geistiger Gesundheit ist, klar und zu Ihnen sagt, er möchte sterben und er möchte, dass ihm dabei geholfen wird, was sagen Sie dem?
Lambrecht: Ich würde versuchen, ihm Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das bereits heute möglich ist. Wir haben eine sehr aktive, sehr gut vorbereitete Hospizbewegung, in der Menschen geholfen wird, die letzten Tage ihres Lebens würdig, menschenwürdig zu verbringen, dort auch auf die entsprechende Unterstützung stoßen. Ich würde ihn auch auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin, also sprich der Möglichkeiten der Schmerzlinderung, die heute schon möglich sind, ohne dass wir dazu in irgendeiner Weise Gesetze ändern müssten, hinweisen. Da haben wir schon Möglichkeiten, Menschen am Ende ihres Lebens unter unglaublichen Schmerzen zu helfen, dass sie diese nicht zu ertragen haben. Das wären die Möglichkeiten, die ich ihm momentan aufzeigen würde.
Kassel: Aber wenn der dann – es war übrigens gestern nicht frei erfunden, wir hatten da einen Beitrag über einen Mann namens Heinrich, der inzwischen tatsächlich tot ist und der in einer Klinik in Berlin diesen Wunsch hatte, und dem wurde nicht entsprochen. Das, was Sie erzählt haben, wurde gemacht, das war die Klinik Havelhöhe, die durchaus sehr erfahren ist bei der Palliativmedizin. Aber dieser eine Mann hat trotzdem gesagt, das sehe ich alles ein, ich bin auch schmerzfrei, ich möchte aber aus freiem Willen trotzdem vorher sterben. Sollen Menschen wie er Möglichkeiten haben auch in Zukunft in Deutschland?
Lambrecht: Wir müssen unbedingt darüber sprechen – die Diskussion, die gesellschaftliche Diskussion ist ja auch in vollem Gange –, wir müssen darüber sprechen und wir müssen zu Lösungen kommen, wir müssen zu Entscheidungen kommen. Wir können solche Menschen nicht einfach darauf verweisen, dass die Angebote, die jetzt da sind, die ich auch beschrieben habe, ausreichend sind, wenn sie das persönlich anders sehen.
Es geht ja auch darum, wie wird der Patient wahrgenommen mit seiner persönlichen Entscheidung. Und deswegen machen wir uns auf als Gesetzgeber, diese Diskussion zu führen, reicht das, was wir momentan haben, oder brauchen wir mehr, oder brauchen wir auch nicht mehr, nämlich insbesondere Verbote. Darüber werden wir jetzt in den nächsten Monaten die parlamentarische Diskussion führen. Ich glaube, sie ist wichtig und es ist höchste Zeit, dass sie auch geführt wird.
Kassel: Aber wie ist denn Ihre Position zu der sehr klaren Meinung des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe zur organisierten Sterbehilfe? Der sagt ganz klar, jede Form von organisierter Sterbehilfe, auch die nicht-kommerzielle, gehört verboten. Wie sehen Sie das?
Lambrecht: Also ich glaube, was ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, wenn wir überhaupt von Sterbehilfe reden, ist, dass zwischen Patienten und Arzt oder demjenigen, der die Sterbehilfe dann vollziehen würde, ein Dialog, ein Vertrauensverhältnis bestanden hat. Und da habe ich meine größten Probleme, dies zu sehen, beispielsweise wenn Vereine, die vorher mit dem Patienten keinerlei Kontakt gehabt haben, die dessen Leidensweg nicht begleitet haben, dann eine solche Sterbehilfe vollziehen würden.
Aber wir haben Ärzte, die jahrelang zum Teil Menschen begleitet haben in ihrem Leidensweg, in ihren Krankheiten, wo dieses Näheverhältnis, wo dieser Dialog, wo dieses Vertrauensverhältnis auch besteht. Und ich denke, wir sollten schon genau hinschauen, über was wir reden – ob wir über Vereine - dass Sterbehilfe gewerbsmäßig ausscheidet, da sind wir uns alle einig - aber ob wir über andere Situationen reden, beispielsweise der Arzt, der einen Patienten lange begleitet hat, ob der am Ende des Lebens diesen Wunsch erfüllen darf.
Kassel: Aber widersprechen Sie Herrn Gröhe nun oder nicht? Nicht-kommerziell organisierte Sterbehilfe, soll die erlaubt sein in Deutschland?
Lambrecht: Wir sind am Anfang einer Diskussion, deswegen warne ich davor ...
Kassel: Also, Sie müssen doch eine Meinung dazu haben.
Lambrecht: Ja, meine Meinung, die ist die, dass ich sage, wir müssen uns gut überlegen, ob wir so etwas ermöglichen wollen, ob wir Ärzte in diese ... Bei mir ist die Position erst mal ganz klar, wenn überhaupt, dann kann das nur der Arzt sein, der ein Näheverhältnis zu dem Patienten gehabt hat. Vereine, egal ob gewerbsmäßig oder organisiert oder nicht gewerbsmäßig, ist mir egal, Vereine, finde ich, scheiden da aus, weil eben dieser Dialog zum Patienten und die Hintergründe, das Verstehen, warum dieser Wunsch besteht, warum nicht auf andere Möglichkeiten zurückgegriffen wird, weil dieser Dialog nicht stattgefunden hat.
Und bei Ärzten müssen wir uns gut überlegen, ob wir dies wollen. Und da sind alle Fragen noch nicht bis zum Ende ausdiskutiert: Unter welchen Bedingungen wäre das denn möglich, reicht es aus, wenn der Arzt, der den Patienten bisher behandelt hat, eine solche Selbsttötung unterstützen würde? Oder bedarf es eines Vier-Augen-Prinzips? Muss dieser Arzt, der in einer sehr ethisch schwierigen Situation in so einem Moment ist, muss der eine Möglichkeit haben, sich auszutauschen mit einem anderen Arzt, mit einer Ansprechstelle, einer Anlaufstelle beispielsweise bei der Ärztekammer, unter welchen Bedingungen, welche Krankheiten müssen vorliegen, welcher Verlauf dieser Krankheit muss gegeben sein? Reichen beispielsweise auch Depressionserkrankungen, was ich ablehnen würde, weil ich nicht den Eindruck habe, dass das dieses Eingreifen ins Leben rechtfertigen würde.
Also ich glaube, da sind sehr viele Detailfragen zu klären und eben nicht mit Sterbehilfe ja oder nein zu beantworten.
Kassel: Aber glauben Sie denn daran, dass nach einem langem Prozess, der uns ja bevorsteht, es wird in Ihrer Partei und auch bei der CSU/CDU im September voraussichtlich Klausurtagungen, intensive innerparteiliche Gespräche geben, dann überparteiliche, und dann beginnt irgendwann ein Gesetzgebungsverfahren, das wird dauern, aber glauben Sie, dass am Ende ein Gesetz machbar ist, das wirklich allen Einzelfällen gerecht werden kann?
Lambrecht: Das wird sehr schwierig sein, weil hier das Leben geregelt wird. Und immer dann, wenn wir sehr persönliche Angelegenheiten von Menschen regeln, wird es natürlich schwer, weil die immer sehr unterschiedlich sind. Aber ich glaube, wir können Spielräume aufzeigen, die beispielsweise Ärzte haben, und aber auch aufzeigen, wo die Grenzen sind. Und das sollte Aufgabe des Gesetzgebers sein, Spielräume, und innerhalb dieser Spielräume bewegen sich dann eben die tatsächlichen Lebenssituationen.
Kassel: Sie sind relativ nah an dem, was Herr Brand gestern gesagt hat, wenn auch nicht in allen Details. Renate Künast zum Beispiel ist das nicht, die hat ganz klar in einem Interview mit der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" heute gesagt, sie will, dass es organisierte Sterbehilfe gibt, sie muss bloß sehr, sehr genau kontrolliert werden. Das klingt nach Nuancen, aber für mich ist es mehr als das. Glauben Sie, dass es da tatsächlich eine überparteiliche Einigung am Ende geben kann?
Lambrecht: Also ich bin fest davon überzeugt, dass wir mindestens zwei – wir werden das ja auch ohne Fraktionsdisziplin entscheiden – mindestens zwei Positionen geben wird. Die eine, die von Herrn Gröhe und, ich vermute, von Herrn Brand beschrieben wird, die klar sagt, wir wollen da auf keinen Fall Möglichkeiten eröffnen, wir wollen womöglich sogar mit Verboten, mit strafrechtlichen Verboten arbeiten.
Und die andere, das ist eher meine Position, wir müssen schauen, ob wir hier zu Regelungen kommen, die so etwas ermöglichen, aber unter klaren Voraussetzungen und unter Berücksichtigung auch dieser ganzen schwierigen ethischen Fragestellungen. Zwei wird es auf jeden Fall geben, ich sehe momentan noch keine Tendenz, dass es eine dritte, eine sehr liberale, eine sehr öffnende – auch Frau Künast hat ja Einschränkungen gemacht - dass es diese liberale Position geben wird durch einen Antrag, das sehe ich momentan noch nicht, aber zwei Positionen werden wir auf jeden Fall haben, und die werden dann miteinander ringen um die entsprechende Mehrheit im Bundestag.
Kassel: Sagt Christine Lambrecht, erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Frau Lambrecht, vielen Dank!
Lambrecht: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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