Debatte nach Grass-Interview in Israel

Von Winfried Sträter · 05.09.2011
Das Erscheinen des Werks "Beim Häuten der Zwiebel" in Israel hat eine Vorgeschichte, die bis ins Jahr 2006 zurückreicht. Kurz bevor das Werk in Deutschland auf den Markt kam, war Günter Grass von einer israelischen Privathochschule eine Ehrendoktorwürde angeboten worden.
Grass nahm sie an, erwähnte aber mit keinem Wort, was kurz danach durch sein Buch öffentlich wurde: dass er als 17-Jähriger in der Waffen-SS gedient hatte. Die Ehrendoktorwürde wurde ihm nicht verliehen - und das Buch wird nun erst mit fünfjähriger Verspätung in Israel veröffentlicht.

Zum Erscheinen hat Tom Segev, einer der bedeutendsten israelischen Historiker der Gegenwart, Günter Grass besucht und über seine Gespräche mit dem 83-jährigen Autor am vergangenen Wochenende einen langen Beitrag in der israelischen Tageszeitung "Haaretz" veröffentlicht. Grass berichtet über die Scham, die er nach dem Krieg wegen seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS empfunden habe, und dass diese Scham ihn lange Zeit davon abgehalten habe, öffentlich darüber zu sprechen.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt Grass dann auf die Nachkriegszeit zu sprechen und setzt die Holocaust-Opfer in Beziehung zu den deutschen Opfern nach dem Krieg. Segev zitiert Grass mit den Worten:

"Aber der Wahnsinn und die Verbrechen fanden nicht nur ihren Ausdruck im Holocaust und hörten nicht mit dem Kriegsende auf. Von acht Millionen deutschen Soldaten, die von Russen gefangen genommen wurden, haben vielleicht zwei Millionen überlebt, der ganze Rest wurde liquidiert. Es gab 14 Millionen Flüchtlinge in Deutschland; das halbe Land geriet direkt von der Nazi- in kommunistische Tyrannei. Ich sage dies nicht, um das Gewicht der Verbrechen gegen die Juden zu vermindern, aber der Holocaust war nicht das einzige Verbrechen. Wir tragen die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis, aber ihre Verbrechen fügten auch den Deutschen schlimme Katastrophen zu, und so wurden sie zu Opfern."

Im Original:
"Also. But the madness and the crime were not expressed only in the Holocaust and did not stop at the end of the war. Of eight million German soldiers who were captured by the Russians, perhaps two million survived and all the rest were liquidated. There were about 14 million refugees in Germany; half the country went directly from Nazi tyranny to communist tyranny. I am not saying this to diminish the gravity of the crime against the Jews, but the Holocaust was not the only crime. We bear responsibility for the Nazis' crimes. But the crimes inflicted serious disasters on the Germans and thus they became victims."

Links bei dradio.de:

Avi Primor nimmt Günter Grass in Schutz - Ehemaliger Botschafter: Die Deutschen werden bei der Betrachtung ihrer Geschichte "nüchtern"

Historiker Wolffsohn kritisiert Weltkriegsthesen von Günter Grass
Mehr zum Thema