Debatte #kritischesweißsein auf Twitter

Weiße hinterfragen ihre Privilegien

08:11 Minuten
Eine Frau bei einem Protest zur Unterstützung der "Black Lives Matter”-Bewegung In Washington DC.
Mit den eigenen Privilegien das System ändern? Auch Weiße unterstützen die "Black Lives Matter”-Bewegung, wie hier in Washington D.C. © imago images / ZUMA Wire / Michael Brochstein
Azadê Peşmen im Gespräch mit Massimo Maio · 10.06.2020
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Der Journalist Malcolm Ohanwe ruft weiße Menschen auf Twitter dazu auf, ihre Privilegien zu reflektieren. Solche Denkanstöße seien wertvoll, um strukturellen Rassismus bewusst zu machen, sagt unsere Autorin Azadê Peşmen.
Seit dem Tod von George Floyd demonstrieren weltweit Menschen gegen Rassismus, und Diskurse werden vorangetrieben. Auf Twitter erzählen Menschen unter dem Hashtag #kritischesweißsein von ihren Privilegien als Weiße. Initiiert hat das der Journalist Malcolm Ohanwe.
"Da werden Situationen beschrieben, in denen bemerkt wird: Man selbst profitiert von einem rassistischen System, hat Privilegien, gehört der Mehrheit an", erklärt unsere Autorin Azadê Peşmen.

Das Privileg, nicht an den Ausweis denken zu müssen

Eines der unter dem Hashtag geschilderten Erlebnisse spiele zum Beispiel darauf an, dass die Polizei in Deutschland in erster Linie schwarze Menschen und People of Color kontrolliere, so dass es für sie besonders ratsam sei, immer einen Ausweis mit sich zu führen.
Es gehe also um persönliche Geschichten, durch die weiße Menschen sich dessen bewusst werden könnten, welche Privilegien sie haben, insofern sie sich mit bestimmten Problemen noch nie auseinandersetzen mussten. "Im Endeffekt das, was Malcolm Ohanwe selbst auch bezwecken wollte. Wobei der Hashtag nicht in den Trends ist", so Peşmen.

Instagram-Aufruf zur kritischen Selbstreflexion

Auch auf Instagram gibt es eine ähnliche Entwicklung: Josephine Apraku vom Institut für Diskriminierungsfreie Bildung hat eine Instagram-Challenge gestartet. Bis zum 6. Juli gibt es täglich eine Frage zur rassismuskritischen Selbstreflexion, die User mit einer geposteten Kachel auf dem Profil beantworten können.
"Instagram funktioniert ein bisschen anders als Twitter, geht stärker über das Visuelle, inhaltlich aber in eine ähnliche Richtung. Die einzelnen Fragen sind konkreter als bei Twitter, Menschen sollen sich diese Fragen stellen und den individuellen Denkprozess anstoßen", sagt Peşmen. "Zum Teil sind es auch mehrere Fragen hintereinander, die Josephine Apraku aus ihren Erfahrungen als Workshopleiterin nimmt."

Konstrukt des Weißseins hinterfragen

"Critical Whiteness" komme aus den USA, erklärt Azadê Peşmen. Dort fordern schwarze Intellektuelle schon sehr lange, das Konstrukt des Weißseins und den damit verbundenen Dominanzanspruch kritisch zu hinterfragen.
"Es gibt viele akademische Texte dazu, in den USA werden die Theorien der Critical Whiteness heute in den unterschiedlichsten Disziplinen angewandt – von den Sozialwissenschaften über die Psychologie bis hin zu Film- und Literaturwissenschaften", sagt Peşmen.
Auch in Deutschland beschäftige man sich seit den späten 1990er Jahren verstärkt mit Critical Whiteness, "besonders vor dem Hintergrund eines eigenen rassistischen Kapitels – der deutschen Kolonialgeschichte", so die Journalistin.

Privilegien benennen und Debatten anstoßen

Natürlich lasse ein Hashtag nicht den Rassismus in einer Gesellschaft verschwinden. Rassismus sei strukturell, und man dürfe nicht erwarten, dass einzelne Initiativen in sozialen Netzwerken diese strukturellen Probleme verschwinden ließen, die seit Jahrhunderten bestünden. Doch mit ihrer Hilfe könnten Debatten angestoßen werden. Dabei gehe es nicht um individuelle Schuld, sondern um Verantwortung betont Peşmen:
"Denn Rassismus hat viel mit der Verteilung von Ressourcen zu tun, und in erster Linie liegen diese Ressourcen in den Händen von weißen Menschen." Diese gesellschaftlichen Ressourcen müssten umverteilt werden, so Peşmen, und damit fange das eigentliche Problem erst an, "denn in der Regel möchte niemand Macht und Privilegien abgeben. Aber vielleicht hilft es ja, wenn man diese Privilegien überhaupt erst mal als solche benennt."
(nho)
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