DDR-Zeitreise

Trachtenfest im Nieselregen

Besucher in NVA-Uniform nehmen im Bunkermuseum im Thüringer Wald an einer Armeeübung teil.
Besucher in NVA-Uniform nehmen im Bunkermuseum im Thüringer Wald an einer Armeeübung teil. © picture alliance / ZB / Michael Reichel
Von Heiner Kiesel · 08.11.2014
Eventwochenende im Thüringer Wald: Neun Teilnehmer lassen sich in ausgewaschenen NVA-Uniformen ihr Freizeitprogramm in einer Bunkeranlage in Suhl befehlen - ganz wie früher in der DDR. Wer tut sich das an? Und warum?
"So Genossen und Genossinnen ich begrüße und beglückwünsche Sie zu ihrer Abkommandierung an die Ausweich- und Befehlsbunkeranlage der Bezirkseinsatzleitung Suhl. Wir werden jetzt den Marsch zur Dienststelle antreten. Rechts um! Ohne Tritt marsch!"
Sieben Männer und zwei Frauen in alten ausgewaschenen NVA-Uniformen, Strichtarn, marschieren los. Vorneweg: Olaf Lehmann, der sich als Feldwebel vorgestellt hat. Thüringer und Sachsen. Alle um die 50. Die Uniformen passen bei den meisten schlecht. Naja, das ist hier auch Freizeit. Der Event wird als Zeitreise in die DDR angeboten. Den Weg säumen mächtige Tannen, Thüringer Wald. Es geht durch ein Tor hoch zu einem Hügel. Vordach. Stahltür. Die Gruppe stoppt.
"Links um! So Genossen noch eine kurze Information, hauptsächlich für die Genossen, die nachher noch auf Wache gehen müssen. Es gibt für dieses Objekt eine Parole. Diese Parole für heute: Trachtenfest!"
Aus dem Bunker stakst ein weiterer Uniformierter, hager, stechender Blick. Pistolenholster. Stellt sich zum Wochenend-NVA-Feldwebel Lehmann. Es ist OvD Marko, Offizier vom Dienst im Museumsbunker.
"Guten Abend Genossinnen und Genossen. Hat jemand eine Taschenlampe dabei? - Ja. - Dann bitte rausholen, das Bauwerk ist dunkel, das müssen wir noch aktivieren. Dann werden wir das Objekt jetzt betreten, aktivieren, ne, Stillgestanden, rechts um, ohne Tritt marsch!"
Also rein. Muffige Luft und klamm. Noch eine Stahltür, rechts rum, wieder links, Stahltür. Ein Labyrinth unter dem Wald.
"Für die nächsten 14 Tage ist das ihre Unterkunft."
"Posten übernehmen!"
Neonlicht flackert auf. Marko an einem Schaltkasten. Aufenthaltsraum, Klos. Marko zieht eine weiße Stahltür auf. Stockbetten. Dort wirft die Gruppe ihr Gepäck ab.
"Wir machen ganze Abteilung kehrt und gehen wieder zum Ausgang zurück."
Wieder raus. Jetzt geht’s zur Sache. Lehmann wartet schon jenseits der Stahltür. Er grinst. Er hat Spaß an seinem Trachtenfest im Nieselregen.
"Folgende Aufgabe: Sie werden das Objekt bewachen, dazu gibt es ein niedliches Kennzeichen."
Die Gruppe wird aufgeteilt. Links und rechts vom Tor, dann am Zaun in den Wald hinein. Aber nicht vergessen:
"Das Passwort haben Sie behalten? - Gerd: Trachten... Trachten... Trachten... Trachtenkleidung! - Uwe: Nee, Drachenflieger. - Gerd: Trachtenfest. - Eingelassen werden nur Personen, die das Kennwort haben, beziehungsweise Fahrzeuge mit Blaulicht. Posten übernehmen!"
Ordentlich sinnlos, so wie man sich das immer vorgestellt hat. Dafür braucht's eigentlich keine Zeitreise in die DDR. Für 109 Euro, all inclusive, gebucht im Waldhotel. Warum tut man sich das an. Rechts wacht Jörg, untersetzt, kräftig zwischen zwei Tannen.
"Wir haben das geschenkt bekommen, mit meinem Kumpel zusammen von unseren Kindern. Nostalgie..., das ist einfach, weil man viel von früher erzählt hat."
Erst Befehle, dann Kartoffelsalat
Nächster Programmpunkt, auch erfrischend: Steaks vom Grill und Kartoffelsalat. Bierflaschen werden gelüpft.
Über das Rezept wird nicht geredet. Aber vom Leben in der DDR. Lehmann, der hier wie Marko ehrenamtlich in der Uniform steckt, war früher im Wachregiment der Stasi, Feliks Dzierzynski. Hier wacht er über das Geschichtsbild seiner vergangenen Heimat.
"Wir haben uns eigentlich auf die Fahnen geschrieben, die Geschichte so darzustellen, wie sie war. Wertungsfrei, das möchte ich betonen, nicht wie uns immer nachgesagt wird, dass wir uns als ewig gestrige an irgendetwas klammern würden, sondern wir sind bemüht, um ein realistisches Geschichtsbild, was von diesem Staat unserer Meinung nach nicht gewollt ist."
Lehmann holt sich noch ein Steak vom Grill. Hauptmann Marko nervt schon wieder. Er will wieder in seinen Bunker.
"Was ist denn, wollt ihr eine Extraeinladung haben. Beeilung ihr beiden!"
Durch die Gänge, vorbei am Aufenthaltsbereich immer tiefer in den Hügel. Diesmal alles im kühlen Neonlicht. Hier hat sich eine Welt verschanzt, die doch vor 25 Jahren untergegangen ist. Konserven, Erika-Schreibmaschinen, Robotron-Rechner, ein Karl-Marx-Knüpfteppich. Marko erklärt unermüdlich. Aber wertungsfrei.
Es ist inzwischen nach Mitternacht. Zwischen die Biere mischen sich Jägermeister. Gäste und das Bunkerteam graben sich noch einmal tief ein in ihre Ostvergangenheit. Ein paar Stunden noch, dann ist Morgen und die DDR wieder ganz weit weg.