DDR

So lange die Kugel rollt

Konkurrenz von nebenan: Gebowlt wird noch am Alexanderplatz, aber nicht mehr so viel wie früher.
Konkurrenz von nebenan: Gebowlt wird noch am Alexanderplatz, aber nicht mehr so viel wie früher. © picture-alliance/ dpa
Von Ernst Ludwig von Aster · 10.08.2014
Von den Wänden grüßen verblichene Sportlegenden der DDR. Im goldenen Buch stehen ostdeutsche Prominente. Auf der Speisekarte lockt "hausgemachte Soljanka", auf der Cocktailkarte "White Russian" – eine Reminiszens an den legendären US-Bowling-Film "The Big Lebowski".
Berlin, Alexanderplatz: Touristengruppen schieben sich am Fernsehturm vorbei, an einem Bauzaun entlang, Richtung Rotes Rathaus. Auf der rechten Seite verstellen Baucontainer den Blick auf den Neptunbrunnen, auf der linken Seite zieht sich die Rathauspassage wie ein riesiger Betonriegel am Platz entlang.
Zu DDR-Zeiten lockte in dem 70er-Jahre-Bau das "Haus der Mode", der Goldbroiler-Grill, die Nationalitäten-Gaststätte Morava. Heute heißen die Geschäfte "Zeitgeist", "Cancun" oder "Piazza Rosso". Nur ein Unternehmen hat es in die gesamtdeutsche Zukunft geschafft. Die Bowlingbahn im Keller...
Mittags um eins sind sieben der achtzehn Bahnen belegt. Eine 20-Jährige im neongrünen Top greift auf Bahn acht zur Bowlingkugel. Macht zwei zögerliche Schritte. Ruth Waldau steht einige Meter abseits, hinter einer Balustrade. Beobachtet die junge Bowlerin. Die macht noch einen Schritt...
"Sehen Sie und was sie jetzt gemacht hat, der Anlauf war nix."
Die 80-Jährige schüttelt den Kopf. Die Kugel trudelt 18 Meter über die Bahn. Räumt dann aber doch noch acht der zehn Kegel ab, die hier Pins heißen. Nur die beiden Äußeren bleiben stehen.
"Jetzt hat sie ja erst ihren zweiten Wurf es gibt ja immer zwei Würfe. Einmal in die Vollen, auf alle zehn und jetzt steht ein ganz schweres Bild, das kann man kaum räumen."
Die DDR-Meisterin von 1965 ist immer noch da
Die 20-Jährige fährt mit Daumen, Ring und Mittelfinger in die drei Löcher der Kugel, geht zwei Schritte zurück. Nimmt diesmal vier Schritte Anlauf. Die Kugel rollt – genau zwischen den beiden Pins hindurch. Ruth Waldau lächelt. Besser als der erste Wurf. Aber noch lange nicht gut. Die Rentnerin im bronzebraun geblümten Kleid, mit dezent goldenen Ringen im Ohr, richtet sich auf, macht den Rücken gerade. Und obwohl Hüfte und Knie mal wieder schmerzen demonstriert sie den richtigen Anlauf:
"Und wenn sie anlaufen, dann geht die Kugel erst aus der Hand raus. Und so muss auch der erste Schritt sein, sehen sie, sie gehen so raus. In dem Moment geht auch der Fuß mit vor, das ist eben die Technik, die hier keiner hat, können sie ja auch gar nicht haben..."
Die junge Bowlerin blickt neugierig herüber, kommt lächelnd zur Balustrade. Ruth Waldau fragt, wie oft sie schon gespielt hat..
"Da muss ich jetzt zählen. Vielleicht fünf oder sechsmal. Das Werfen ist schwer."
Da nickt Ruth Waldau verständnisvoll. Bis zum leichten Wurf ist es ein weiter Weg. Jahrelang musste sie dafür trainieren. Ruth Waldau ist deutsche Meisterin im Bowling von 1965. DDR-Meisterin, wohlgemerkt
"Die Wurftechnik. Man muss sich erst einmal richtig hinstellen zur Bahn. Die Fußstellung. Der Anlauf. Das ist das wichtigste, das A und O, der Anlauf. Denn wenn sie das alles drin haben, dann merken sie das Gewicht der Kugel überhaupt nicht mehr."
"Also wenn ich den Ball los habe dann ist es leicht."
"Ja, dann ist das ein Einklang mit den Fußschritten, der Körperbewegung und mit dem Gleiten, sie müssen ja Gleiten zum Schluss wenn sie die Kugel abgeben, .. der letzte Schritt ist ein Gleitschritt gewesen. Und wenn sie das alles drin haben, .. dann können sie anfangen mit Bowlingspielen."
Vom Kellner zum Chef
Die 80-Jährige nickt ernst, die 20-Jährige lächelt höflich. Geht zurück zu ihrer Bahn. Ruth Waldau setzt sich an einen der kleinen Tische. Blickt über die Bowling-Anlage. Seit 1971 rollt hier unten die Kugel. Im ersten Bowling-Zentrum der DDR. Sie war von Anfang an dabei.
"Das war Vergnügen hier, das war kein Sport. Und wissen sie, wie ich hier mit zu kämpfen hatte, wenn ich gesehen habe, wie die Leute hier auf die halbe Bahn gerannt sind. Oder wie sie die Kugel sonst wohin hingeschmissen haben, mir hat es immer in der Seele weh getan."
Spaß statt Sport. Party statt Profis. Der Rundfunk der DDR gibt im Eröffnungsjahr sogar eine Komposition in Auftrag: Titel: "Bowling-Zentrum".
Für Ruth Waldau ist das erste Bowling-Zentrum der DDR die Endstation ihrer Sportlerkarriere: Deutsche Meisterin, Mitglied der Bowlingnationalmannschaft, Teilnehmerin an den Europameisterschaften. Bis Ende der 60er-Jahre läuft bowlingmäßig alles rund für die Dresdenerin. Doch dann werden nur noch olympische Disziplinen im Arbeiter-und Bauernstaat gefördert. Ruth Waldau bekommt eine neue Stelle angeboten: Die sportliche und organisatorische Leitung im im Bowling-Zentrum am Alexanderplatz.
"So eine Anlage, und ich will ja nichts gegen die Leute sagen, aber diese Anfänger da drauf, und wir durften kein Wort sagen dazu, wir mussten nur sehen, das da Ordnung war. Und die konnten machen was sie wollten. Und das hat mächtig weh getan, am Anfang. Und später hatte man sich ja daran gewöhnt."
Heute blickt sie gelassener auf die spaßsuchenden Bowlingfreunde. Regelmäßig besucht sie ihren alten Arbeitsplatz. Und kümmert sich nach wie vor um die Belegung der 18 Bahnen.
Manfred Golombek kommt an den Tisch, grüßt erfreut die Rentnerin. Die beiden kennen sich seit mehr als drei Jahrzehnten. 1976 beginnt Golombek hier als Kellner, eigentlich will er studieren, doch er hat Halbgeschwister im Westen
"Hier waren 64 Mitarbeiter, hier allein im Bowlingzentrum, 64 Mitarbeiter. Neun oder zwölf Techniker, Verkaufspersonal da, 18 kellner, 12 Köche, eine Gewerkschaftsleiterin, ein Parteimensch."
Golombek lacht. Damals war er Kellner. Heute ist er Chef. Verantwortlich für 13 Mitarbeiter, 18 Bowlingbahnen, mehr als 300 Paar Schuhe, 2000 Quadratmeter Fläche. Und ein riesiges Wand-Relief. Der Lauf einer Bowlingkugel. Im Großformat. In jeder Kugel Stück abgebildet ein Stück Volkssportgeschichte: Für das Jahr 1815 Schlittschuhläuferinnen. Da eröffnete die erste Eisbahn in Berlin. 1881 ein Hochradfahrer. Da fand das erste Radrennen statt. Prominent in der Mitte: Die Kugel mit der Jahreszahl 70. Darauf versammeln sich etliche Sportarten. Nebst Friedenstaube:
"Es zeigt ja Fußball, Reitsport Boxen, das olympische Feuer da, ich weiß gar nicht, was ist das ne Teekanne?"
Bowlen 20 Stufen unter der Erde
Golombek identifiziert die Teekanne doch noch als Fechtmaske. Beugt sich weiter nach vorne. In der Mitte der Kugel sind die Namen von DDR-Sportlern eingraviert
"Täve Schnur, ich lese da gerade Eckstein, war glaube ich auch ein Radfahrer, Gabi Seiffert, wen haben wir denn noch, en Riedel, der jetzige Riedel ist das glaube ich nicht, und darunter war jemand, der ist geflüchtet."
Der Name wurde fein säuberlich heraus gemeißelt. Aus der Sportgeschichte im Bowling-Relief.
Golombek geht einige Schritte nach rechts, an der Bar vorbei, einen langen weißen Gang entlang. An der Wand hängen Bilder von Betriebsausflügen, aus der Zeit, als der Chef noch seine Mitarbeiter einladen konnte.
"Hier ist mein kleines fensterloses Büro, aber ich bin ja nun seit langer langer Zeit Kellerkind, ich habe mich dran gewöhnt."
20 Stufen unter der Erde liegt das Bowlingzentrum. Tageslicht gab es im kleinen Büro des Chefs noch nie. Dafür steht immer eine frische Blume auf dem alten orangenen Stahlschrank. Golombek schwingt sich auf den Schreibtischstuhl, greift zu einem Büchlein im DIN-A 5- Format:
"Dann gucke ich in mein Informationsbuch, ja (klapp,) sie sehen, das ist ein ganz altes, ich nutze auch jedes Blatt, ich kann ihnen sagen was 1998 war oder, so dann gucke ich (blätter) keine besonderen Vorkommnisse, danke,...sowas, hier lese ich das drin."
Während Golombek blättert, arbeitet auf dem Computer der Bildschirmschoner. Ein virtueller Mops drückt sich die Schnauze platt, leckt genüsslich die Scheibe ab. Die Hunde mit dem Knautschkopf haben es Golombek angetan. Eine Miniatur steht auf dem Schreibtisch, gleich neben einer Kegel-Lampe. Und einem Mops-Foto:
"Lisa und Anna, Möpse, hahha, mein Freund hat Möpse und das sind die Lieblinge, und da sehen sie hier ein Mopsmotiv."
Ein Blick auf die Tiere heitert ihn auf, wenn die Stimmung mal wieder eher Richtung Moll geht. Soviel Falten wie ein Mops, kann kein Mensch bekommen. Golombek legt das Buch bei Seite, klickt den Mops vom Bildschirm, liest seine e-mails...
"Einer möchte, das ist auch seltenst, ob wir privaten Bowlingunterricht geben, eine Stunde, muss ich mal sehen, ob sich da ein Techniker bereit erklärt."
Das Geschäft ist härter geworden
Golombek nickt zufrieden. Jeder Kunde zählt in diesen Zeiten.
"Ist härter geworden, auf alle Fälle. Ich merke das a) die Stammgäste kommen alle noch, aber sie kommen nicht mehr in den regelmäßigen Abständen und sie verweilen auch nicht mehr so lange, weil glaube ich jeder auch auf sein Portemonnaie achten muss."
Vorne, im Bowlingbereich, an einem Stehtisch gleich neben der Bar, beugen sich vier Männer über einen Notizzettel.
"Keener weiß von anderen immer, seit Jahren geht das schon so, was hast Du so 42, war früher mal 41."
Jeden zweiten Mittwoch spielen sie hier. Seit mehr als 20 Jahren. „Die Thüringer" werden sie genannt: Drei Rentner, kurz vor Mitte 60, aufgewachsen in Jena, seit zwei Jahren verstärkt durch einen Feuerwehrmann aus Berlin:
"Also Letztes mal haben Wolf und ich gespielt, muss ich jetzt mit Dir da mal spielen Mike, was hältste davon ? auf welche bahn gehen wir denn ? auf die 5 oder 6, sechs wär mir lieber, Wolf auf die sechs."
Schnell wechseln sie die Schuhe, dann geht es zu Bahn fünf und sechs. Die Platte mit Lachsbrötchen wartet schon auf dem Tisch. Eberhard, den sie hier den Senior nennen, macht einige Dehnübungen...
"Ich bin froh das ihr nicht die zwölf nehmt, da steht nämlich noch mein Bahnrekord, und wenn ich den verlieren sollte, ist mein Name weg,... mit 212 stehe ich hier auf der Bahn noch als Rekordinhaber... so ein Sieg ist nicht dauerhaft, ne 300 zu erreichen da träumen wir seit Jahren von, das ist für uns gar nicht machbar."
300 Punkte als Gral des Bowling-Sports
300 Punkte – das ist der Gral. Alle Pins abgeräumt. Mit jedem Wurf. Über ein ganzes Spiel. 12 Strikes das schaffen nur Profis. Wie einst Ruth Waldau. Prüfend beugen sich die Thüringer über die Kugeln. Jeder sucht seine Gewichtsklasse.
"Da nicht jeder mit allen Kugeln spielt, er ja seine eigene, die deponiert er hier. D: Ja, die Geschichte der Kugel. Wolf braucht die Elfer Kugel."
Detlev holt seine persönliche Kugel aus einem blauen Nylonbeutel. Ein Geschenk von einem Sportsfreund, der regelmäßig auf der Nebenbahn bowlt...
"... die Kugel ist für mich passend, gemacht, ne braun marmorierte Kugel, die nicht nur gut rollt, sondern auch gut aussieht."
"Du kannst einstellen, please enguine the, please start the engine."
Michael und Detlev gegen Eberhard und Wolfgang. Der Senior macht den Anfang, greift zur Kugel, wippt noch einmal in den Knien, geht einige Schritte zurück. Fixiert die Bahn
"Der alte Trick ist: Am Anfang muss man immer ne 10 machen. Das holt man sonst nicht wieder auf. Achtung fertig, .... Ach, na, scheisse, ach, mann was mache ich denn jetzt Wolf 9; mike 3"
Gerade mal sechs der zehn Pins fallen. Im zweiten Durchgang noch zwei. Macht gerade mal acht Punkte. Feuerwehrmann Detlev greift zu seiner Privatkugel. Ein kurzer Blick, vier Schritte
"Der Detlev spielt ja mit diesem Wurf, in dem er die Kugel dreht, er macht das ganz raffiniert, die geht an der Seite lang und trifft dann hinten die ganze Meute."
Und auch jetzt trifft er wieder. Alle zehn Pins mit dem ersten Wurf. „Strike" blinkt auf dem Bildschirm. Der Senior schüttelt den Kopf. Geht zum Stehtisch, zieht eine Plastikhülle aus der Jackentasche, holt einen Stapel schwarzweiß Fotos hervor. Darauf ein langhaariger Jungmann mit Karohemd beim Bowling. Hier auf der Bahn vor 40 Jahren
"So sah ich mal aus 1972, das war ein Hemd, das habe ich von meiner Nazi-Oma aus München gekriegt..8.09 Das war ja schon 1971 eingeweiht,... da ham wir uns damals schon gewundert als DDR-Bürger, das wir sowas gutes hierher kriegen, ne. Das war ja für uns was völlig Neues. Die erste Bowlingbahn in Berlin überhaupt."
Eintritt nur mit Beziehungen
Und von Jena aus eigentlich in unerreichbarer Ferne. Außer man kannte die richtigen Leute:
"Nur Beziehungen waren wichtig, um hier einzukommen. Die Frau Waldau, die hir die Chefin war, die hat über einen Herren die Beziehungen hergestellt. Wir sind dann einmal, bzw. zweimal im Jahr mit der sogenannten Bonzenschleuder, das war der Zug der von Saalfeld kam und nach Berlin gefahren ist, früh um sechs losgefahren, waren hier um hab zwölf, haben hier gespielt bis zum geht nicht mehr und dann wieder 17 Lichtenberg loszufahren."
Nicken und lachen in der Runde. Sie hören die Geschichte nicht zum ersten Mal. Eberhard greift zur Kugel. Weiter geht es..
In seinem Büro geht Manfred Golombek zum Eckschrank, greift in die untere Ablage und zieht einen schweren DIN-A 2 Karton hervor.
"Knitter, so, sie sehen das ist wirklich das Originalbuch von 1971. Tür zu, Das Bowlingcenter hieß Bowlingzentrum."
Wobei sich "Zentrum" natürlich mit "Z" schrieb. Golombek greift zur Lesenbrille, öffnet den Pappkarton. Bunte Wimpel kommen zum Vorschein, Aufschrift: „Bowlingzentrum, HO Gaststättenbetrieb, Berlin, Hauptstadt der DDR", Darunter ein kleines Heft in gelb-schwarz. Die sozialistische Bowling-Fibel.
"Da ist hier die Begrüßung und was ein strike ist, was ein split ist, was ein „Foul" ist, wie man es einträgt, wie man es zählt, dann Schritte."
Der neue Volkssport aus Übersee, Schritt für Schritt erklärt. US-amerikanische Fachbegriffe inklusive. 1971 passt das ins politische Klima. Walter Ulbricht wird als Staatchef abgelöst, Erich Honecker als Reformer gewählt. Die DDR unterschreibt Visa-Abkommen mit Polen und Tschechien. Schaltet die Telefonleitungen nach west-Berlin wieder an, die 1952 gekappt wurden. Die DDR präsentiert sich zunehmend auf internationaler Bühne. Gibt sich weltoffen. Manfred Golombek schüttelt amüsiert den Kopf. Greift zu einer Speisekarte, designt in Kegelform...
"Das ist eine der ersten Speisekarten, ja, .. d aber die Preise, es gab Milch, eiin Glas Milch kalt oder warm, 29 Pfennig, Soljanka, 2 Ostmark, Apfelsaft, 70 Pfenning 0,2."
Ganz unten liegt das goldene Buch. Schwer, gebunden. Golombek schiebt die Brille zurecht, beginnt zu blättern...
"Britischer Amateur-Leichtthletikverband (dann arabisch)...., so Algerien,... blätter, dann haben wir hier irgendwo mal Henry Maske muss hier irgendwo drauf sein, wann war das 87, da ist er ja erst dann bekannt geworden... (NL russiscch)."
Einträghe ins Goldene Buch von Henry Maske und Richard von Weizsäcker
Russische Delegationen, Sportreporter, Schauspieler, eine bunte Mischung. "Auch ein Amateur wie ich hat hier viel Spaß", schreibt Richard von Weizäcker im April 2005. Golombek erinnert sich vor allem noch an seine eleganten französischen Schuhe
"Blätter.. ach so, wen haben wir denn hier noch, ach so, hier Celine Diilon die war, die hat ja drei oder vier Kinder, ...ganz freundlich, ganz nett, ganz wunderbar und die war mehrere Tage da..."
Bei den Thüringern auf Bahn fünf und sechs fließt mittlerweile der Schweiß. Werfen, ein Schluck Bier trinken, gucken wie der Mitspieler trifft, ein Biss ins Brötchen Hände abwischen, wieder ran an die Kugel. Ein ruheloser Rhythmus. Niemand macht Pause. Insgesamt eine Tonne Kugelgewicht stemmt jeder in zehn Runden haben sie ausgerechnet.
"Irgendwo ist ein sportlicher Ehrgeiz da. Es wird auch geschwitzt hier. Och und da komme ich auch als Aktiver aus dem Berufsleben auch schon mal ab und zu ins Schwitzen."
Der Feuerwehrmann räumt schon wieder alle zehn Pins ab. "Ja, der mit der eigenen Kugel", lästern die Rentner. Sie kennen sich seit dem Kindergarten. In der Schule waren sie zusammen, genauso wie in der Armee. In Berlin trafen sich alle wieder. Und gehen seit der Wende regelmäßig bowlen. Auf der alten Bahn. Am Alexanderplatz...
Detlev wischt sich den Schweiß von der Stirn. Nimmt einen großen Schluck Bier. Er erinnert sich noch gut daran, wie ihn die Thüringer vor zwei Jahren das erste Mal mitnahmen. Den geborenen West-Berliner. Zum Bowlen auf die alte Ost-Bahn....
"Und schon alleine die Treppe, wie jetzt, dreimal im Kreis laufen, hier dann kommst hier runter, doch ziemlich groß, denke , hää, ist doch schon vom Erscheinungsbild was älteret...., hier kommt man rein, sieht man die geamlten Wände, dat ist nostalgisch ein bisschen.. also super..ist schon nen bisschen Familiär hier... wenn man überlegt, die kommen aus Jena, treffen sich alle hier in Berlin, ist ne schöne Geschichte."
Ruth Waldau nippt an einem Glas Wasser. Sitzt vor dem alten Wand-Relief. Bowling im Kreis der großen Sportarten. Fußball, Fechten, Leichtathletik. So wie früher.
"16.09 65 habe ich den deutschen Meister gemacht. Und dann sind wir hinterher nach England gefahren mit der Nationalmannschaft DDR, ja."
Aus Ost-Berlin nach London mit Hilfe des Bowlings
Ihre erste Reise ins westliche Ausland. Dem Bowling sei Dank. Erst drei Tage London, dann bowlen in Birmingham. Der Trainer versucht, sie von der kapitalistischen Außenwelt abzuschirmen. Mit mäßigem Erfolg.
"Aber die anderen waren viel zu stark. Wir hatten dann ja auch westliche Produkte bekommen, also zum Beispiel die Kugel."
Doch allzu weit kommen sie nicht. Während Bowling als Sportart in der DDR gerade erst richtig in Schwung kommt, bremst die Sportpolitik die Athleten aus.
Alle nichtolympischen Disziplinen werden aus den Sportclubs verbannt. Ruth Waldau kriegt immer noch schlechte Laune, wenn sie daran zurückdenkt. Mehr Spaß- weniger Sport – das ist die zukünftige Bowlingbewegung. Und deren Zentrum liegt am Alexanderplatz. Hier werden alle Techniker für die DDR-Bowling-Betriebe ausgebildet..
Die 80-Jährige blickt über die Bahnen. Profi-Technik für Bowling-Amateure. Im Rückblick war die Entscheidung ein Glücksfall. So überlebte das Bowlingzentrum am Alexanderplatz den Systemwechsel. Die Kugeln konnten weiterrollen, Manfred Golombek sich als Weiterbetreiber bewerben. Kredite aufnehmen, um die Anlage zu modernisieren. Um dann mitzuspielen. Als aus dem Westteil der Stadt immer mehr Bowling-Betriebe nach Osten drängten..
"Im Vergleich zu den ersten Jahren: das Haus war immer voll, dann gab es es ja diese Weiterentwicklung in Berlin mit den über 30 Anlagen auch in unmittelbarerer Nähe, Kaufhof, S-Bahnhof und dann eben Alexa."
Alexa – das ist ein riesiger Kaufhauskomplex nur wenige hundert Meter von seinem Bowlingzentrum entfernt. Dort eröffnete vor wenigen Jahren die „Strikes Lanes Bowling Lounge". Die wirbt ebenfalls mit 18 Bahnen und bietet auch noch einen Dancefloor.
"So und dann wurde das aufgemacht. Und dann muss man sich stellen. Ich habe mir das natürlich angeguckt als heimlicher Gast, wie man das überall so macht, Es ist etwas anderes, sie haben glaube ich auch ein anderes Klientel mit mehr Jugendliche, Disco und schon der Name Lounge, keiner weiß was Lounge heißt, aber alles wird Lounge genannt, wir müssen beide existieren, er wird sicher auch ein hartes Geschäft haben."
Zwei Bowlingwelten am Alexanderplatz. Tradition und Moderne. In der Lounge gibt es sogenannte California Cuisine: Pizza, Pasta und Burger. Golombek bietet hausgemachte Soljanka. Kartoffelsuppe mit Bockwurst. Bulgarischen Schopska-Salat. Und auf Vorbestellung auch schon mal selbstgemachtes Berliner Hackepeter. Mit Eigelb...
"Wir müssen sehen, was machen andere, wir haben überall unsere Spione, das ist normal, und da werden wir ja schon irgendwie, wir müssen ja hier existieren."
Golombek fährt sich durchs graue Haar. Lehnt sich zurück. Blickt auf das Foto mit den beiden Möpsen. Einmal im Jahr trommelt er alle Mitarbeiter zusammen. Für die Zukunftsplanung.
"Und dann gab es dann Ideen mit Kinderparty, was sehr gut ankommt, Kinder sind die Spieler von morgen. Frühstücksbowling, das man so ein Pauschalangebot macht, die können schön Frühstücken, .. erst die Kalorien rein,,, dann gehen sie auf die Bahn spielen."
Damit die Kugel am Alexanderplatz weiterrollt. Wie in den letzten 43 Jahren.
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