DDR-Geschichte

Paneuropäisches Picknick

DDR-Flüchtlinge in Österreich
Etwa 600 DDR-Bürger nutzten das paneuropäische Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze, bei dem ein Grenztor symbolisch geöffnet wurde, zur Flucht in den Westen. © picture-alliance/ dpa
Von Anna Frenyo · 19.08.2014
Hunderte DDR-Bürger nutzten vor 25 Jahren das sogenannte Paneuropäische Picknick zur Flucht in den Westen. Vier Schülerinnen aus Leipzig sind auf historische Spurensuche gegangen - angeregt von ihrer Lehrerin, die damals selbst beim Picknick mitmachen wollte.
"So, Hallo Mädels, ok, dann bitte Wasser, Kaffee, ich habe das Obst abgewaschen, also es müsste genießbar sein, wer welchen Kuchen will, gerne, schlagt zu."
St. Augustin Gymnasium zu Grimma, bei Leipzig. Die Geschichtslehrerin Herma Lautenschläger und ihre vier Schülerinnen aus der 11. Klasse – Anne, Sarah, Mona und Magdalena – sitzen im kleinen Kreis auf Hockern auf dem Teppichboden im Dachzimmer der Schule.
Vor ihnen steht eine Holzkiste mit dem Material ihrer Recherche – Tagesschau Ausschnitte, Stasi-Unterlagen, ein Stück verrosteter Stacheldraht, darum eine Schleife in den ungarischen Farben rot, weiß, grün gewickelt. Und Plakate, auf dem der Ort und das Datum des Paneuropäischen Picknicks steht: 19. August 1989. Darunter der Slogan "Bau ab und nimm mit!" – und auf Ungarisch: "Bontsd és vidd!" Damit war der Eiserne Vorhang gemeint, von dem sich jeder Teilnehmer des Picknicks ein Stück mitnehmen sollte. Die bis dahin größte Massenflucht von DDR-Bürgern folgte. Die Mädchen sind neugierig, warum es soweit kommen konnte.
"Meine Eltern erzählen viel und auch gerne von früher. Eigentlich haben sie erzählt, dass es ihnen gut ging zu der Zeit, sie haben nie daran gedacht, zu fliehen. Aber im Geschichtsunterricht hören wir ja immer DDR, Ministerium für Staatssicherheit, die wurden rund um die Uhr bewacht, die Menschenrechte wurden verletzt, und wenn ich das dann immer höre, dann kann ich mir nicht vorstellen, in so einem Land zu leben. Und dann frage ich dann immer meine Eltern: Wie konntet ihr das denn? Und die haben ja gemeint: na wir kannten es ja gar nicht anders, es war halt so! Wir waren ganz zufrieden."
Recherchereise nach Ungarn
Die Schülerinnen geben sich mit diesen Auskünften nicht zufrieden, sie wollen der Vergangenheit nachspüren – und machen sich auf eine Recherchereise nach Deutschland und Ungarn, um ehemalige Flüchtlinge und Fluchthelfer zu treffen. Zuerst führt der Weg nach Leipzig.
"Wo geht's jetzt hin?"
"Zu Frau Pinnau, die ist eine unserer Zeitzeuginnen, und sie hat 'ne sehr, sehr spannende Geschichte."
"Hallo! Herzlich willkommen!"
"Mein Name ist Heidi Pinnau, und ich bin 1989 von Ungarn in die Bundesrepublik geflüchtet. Ich hatte immer den Wunsch, die Welt kennenzulernen, die ich ja nicht kannte. Also man wusste ja, man ist in diesem Land irgendwie eingesperrt."
Heidi Pinnau ist 22 Jahre alt als sie mit ihrer Freundin nach Ungarn fährt, um einen Partyurlaub zu machen. Am Plattensee hört sie durch Zufall im Radio vom Paneuropäischen Picknick und der Massenflucht der DDR Bürger.
"Und ich weiß noch, wir sind im Wasser gestanden, der Balaton ist ja sehr, sehr flach, und im Wasser haben wir uns die Hände gehalten: wir machen's!, Wir machen's!"
Ertappt beim ersten Fluchtversuch
Beim ersten Fluchtversuch werden die zwei jungen Frauen ertappt, aber ihnen passiert nichts, und sie wagen sich ein zweites Mal in den Wald zwischen Ungarn und Österreich.
"Da waren ja diese Wachtürme auch besetzt, wir haben die ja gesehen, die Grenzsoldaten, und ich bin der Meinung bis heute: die haben uns gesehen. Die haben weggeguckt."
Die vier Schülerinnen finden die Geschichte aufregend und wollen nun den Wald sehen, durch den Heidi Pinnau damals geflüchtet ist. Sie fahren nach Ungarn, in die Nähe von Sopron an der österreichischen Grenze, dort, wo das Paneuropäische Picknick stattgefunden hat. Sie treffen eine Fluchthelferin, die Deutsch spricht und vor 25 Jahren den DDR-Bürgern den Weg durch den Wald nach Österreich gezeigt hat und sie mit Essen und Wasser versorgt hat.
"Ich heiße Agnes Baltigh, ich werde jetzt 89, was ich da gemacht habe, habe ich nie bereut. Nach meinem Beruf war ich Krankenschwester, da musste ich auch den Kranken helfen. Die waren damals, die, meine Ossis, seelisch krank."
Wenn die Flucht geklappt hat, bekam die Helferin eine Postkarte mit einer Nachricht in blumiger Umschreibung:
"Die Tabletten haben mir geholfen, ich bin gesund, oder wir haben einen schönen Spaziergang gemacht und nach fünf Stunden sind wir wieder zurück."
Beeindruckendes Treffen
Nach dem Treffen sind die Mädchen beeindruckt.
"Ich fand das bemerkenswert, dass sie einfach gesagt hat, ja, sie hilft den DDR-Bürgern, obwohl sie gar keinen richtigen Bezug zu ihnen hatte."
"Dass sie sich aus Liebe dazu entschlossen hat, das fand ich schön auch von ihr. Ich glaube ja, ich würde es auch machen. Weil,Liebe überzwingt viele Grenzen."
Inzwischen haben die Mädchen und ihre Lehrerin einen Film über die Geschichte gedreht, der im Unterricht gezeigt werden soll. Der krönende Abschluss des Projektes findet aber heute statt: Die Schülerinnen treffen am historischen Ort des paneuropäischen Picknicks ehemalige Flüchtlinge und Politiker bei einem Festakt.
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