Datenklau ist ein "Bärendienst" für den Lobbyismus

Thomas Steg im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 13.12.2012
Der Kommunikationsberater Thomas Steg befürchtet, dass der Daten-Diebstahl im Gesundheitsministerium das Ansehen des Lobbyismus beschädigt. Politik sei auf eine solide Art der Interessenvertretung angewiesen.
Jan-Christoph Kitzler: Gesundheit, das ist ein Milliardengeschäft. Fast 30 Milliarden geben allein die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland für Medikamente aus. Und bei solchen Summen ist es vielleicht logisch, dass da mit harten Bandagen gekämpft wird. Aber wenn Gesundheitsminister Daniel Bahr sagt, er sei stinksauer, dann will er damit wohl zum Ausdruck bringen: Dieser Fall ist etwas Besonderes.

Ein Lobbyist der Apotheken in Berlin soll sich geheime Dokumente aus dem Bundesgesundheitsministerium beschafft haben, Gesetzentwürfe und offenbar auch Mails der Minister. Offenbar hatte ein IT-Spezialist, der im Ministerium gearbeitet hat, die Dateien gegen Geld beschafft. Schon seit zwei Jahren bestand der Verdacht, aber jetzt erst ermittelt die Staatsanwaltschaft. Und nun ist die Aufregung groß und es beginnt eine Diskussion darüber, ob es nicht Zeit ist für strengere Grenzen für Lobbyisten im Umfeld der Politik?

Darüber habe ich mit Thomas Steg gesprochen, er war stellvertretender Regierungssprecher und ist Kommunikationsberater und seit Anfang des Jahres Cheflobbyist für den Volkswagen-Konzern. Zuerst habe ich ihn gefragt, ob er denn überrascht war von der kriminellen Energie, mit der da offenbar im Gesundheitsministerium vorgegangen wurde, oder vielleicht doch eher überrascht, dass die Aufregung darüber so groß war?

Thomas Steg: Nein, ich glaube, die Aufregung ist berechtigt, und das ist schon ein sehr ungewöhnlicher, ein skurriler Fall. Und alles das, was bisher an die Öffentlichkeit geraten ist, weist darauf hin, dass hier in der Tat mit krimineller Energie vorgegangen ist. Und das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Ich persönlich muss sagen, ich bin nicht so abgebrüht, um zu sagen, ich lasse mich gar nicht mehr überraschen. Ich habe, ehrlich gesagt, so etwas … Wenn es eine Auftragsarbeit gewesen sein sollte, ich habe das nicht für möglich gehalten.

Kitzler: Sie kennen ja das Geschäft des Lobbyismus sozusagen von beiden Seiten. Was ist denn Ihre Erfahrung, wie weit würden Interessenvertreter denn gehen, um zum Beispiel bei einem Gesetzgebungsverfahren einen Informationsvorsprung zu haben?

Steg: Also, an diesem Fall irritiert mich, dass offensichtlich geglaubt wird, dass man einen Vorteil hat, wenn man eine frühzeitige Information in die Hände bekommt, sogar noch eine Information früher erhält als der zuständige Minister. Dabei ist das nur eine Information, denn der Minister hat offensichtlich noch gar nicht entscheiden können. Deswegen bin ich ein bisschen ratlos, was der eigentliche Zweck dahinter war. Meine Erfahrung ist, sowohl auf der Seite der Politik als auch heute, aus der Sicht eines Unternehmens, dass die meisten Unternehmen und Verbände ihre Interessen ganz seriös, solide und auch öffentlich vertreten, öffentlich rechtfertigen. Sie halten mit ihren Positionen nicht hinterm Berg. Und diese Interessenvertretung, die braucht die Politik auch, weil es häufig um Gesetzesregelungen geht, die sind so detailliert, dass man wissen muss, welche Auswirkungen hat das nachher auf Unternehmen, auf Beschäftigte, auf Investitionen, auf Produkte und so weiter.

Kitzler: Aber ist das nicht so: Je früher man von einem Gesetzgebungsvorhaben weiß, von eventuellen Plänen, desto früher kann man dagegen oder dafür sein und Einfluss geltend machen?

Steg: Ja, in den Lehrbüchern gibt es sozusagen diesen Grundsatz, dass der im Vorteil ist, der sehr früh eine Information hat. Aber ich meine, wenn noch nicht mal die Politik sich entschieden hat, dann nützt mir auch eine Information nichts. Das ist dann ja keine harte Information, sondern eher eine Spekulation, weil ich ja noch gar nicht weiß, was dann passiert. Also insofern würde ich sagen: Man kann immer noch sich mit der Politik auseinandersetzen, wenn man der Politik zumindest erst mal die Zeit gegeben hat, die eigenen Gedanken zu ordnen und Entscheidungen zu treffen.

Kitzler: Kann man das vielleicht auch so sagen: Dieser Fall, wo man sich jetzt ja offenbar illegaler Methoden bedient hat, ist ein Beispiel für schlechten Lobbyismus? Denn man hätte ja zum Beispiel mit guten Kontakten diese Informationen auch einfacher bekommen können.

Steg: In der Tat, in der Tat. Und ich glaube, das ist nicht nur ein Beispiel für schlechten Lobbyismus, das ist nicht nur das berühmte schwarze Schaf der Branche, sondern die Wirkung geht weit darüber hinaus. Lobbyismus hat es ohnehin schwer, was das öffentliche Ansehen anbelangt, ist aber aus Sicht sowohl von Unternehmen als auch von Verbänden notwendig und unverzichtbar. Und mit diesen Beispielen wird es nur unendlich erschwert, diese Aufgabe wahrzunehmen, weil doch jetzt jeder sagt, das ist alles anrüchig, das ist irgendwie nicht legitim in diesem Fall, das ist nicht ganz legal, da wird in einer Grauzone gearbeitet. Also, wer immer dahintersteckt, wer immer das zu verantworten hat und sich hoffentlich dafür auch verantworten muss, der hat dem Lobbyismus und der Interessenvertretung insgesamt einen Bärendienst erwiesen.

Kitzler: Das heißt ganz konkret, auch Ihr Job wird durch diesen Fall schwieriger?

Steg: Natürlich. Man wird ja unter einen zusätzlichen Rechtfertigungszwang gesetzt, man muss sich noch mehr rechtfertigen für das, was man tut, und für das, was man erreichen will. Das mache ich gerne, auch gerne mit Argumenten, aber ich bin sehr dafür, dass Lobbyismus sich darauf beschränkt, durch überzeugende Argumente, meinetwegen auch durch Verhandlungsgeschick Politik zu überzeugen und politische Entscheidungen zu beeinflussen.

Kitzler: Sie haben ja schon gesagt, das ist ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung. Es geht jetzt nicht darum, das schwarze Schaf anzuklagen. Jetzt hat die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ja relativ klar reagiert: Na ja, das ist höchstens ein Einzelfall, und man sagt, es ist nie Politik gewesen, die Interessen der Apotheker per Scheckbuch zu vertreten. Wie sehr regiert denn das Scheckbuch wirklich?

Steg: Also, ich habe in den vielen Jahren, die ich vor allen Dingen auf der anderen Seite, in der Politik erlebt habe, keinen einzigen Beleg dafür, dass unseriös, illegal, also in diesem Fall mit Geld, das heißt mit Korruption versucht wird, politische Entscheidungen zu erzwingen. Ob es das gegeben haben mag, entzieht sich meiner Kenntnis. Da würde ich auch sagen, das hat dann mit Lobbyismus nichts zu tun, das ist dann wirklich Korruption. Und Korruption ist kein Mittel der legitimen Interessenvertretung.

Kitzler: Das große Problem sind ja vielleicht auch die personellen Verflechtungen. Da gibt es Wirtschaftsanwälte, die Gesetze schreiben, es gibt einen früheren Atomlobbyisten, der im Bundesumweltministerium für die Reaktorsicherheit zuständig ist, ein früherer Spitzenlobbyist der privaten Krankenkassen ist im Gesundheitsministerium für politischen Grundsatzfragen zuständig. Wo endet denn der Bereich der notwendigen Expertise, die Politik ja natürlich braucht, und wo beginnt die unzulässige Einflussnahme?

Steg: Ich kann diese Beispiele alle verstehen, weil sie sozusagen deutlich machen, wie schwierig die Trennung ist, wo da eine Grauzone verläuft. Das mag so sein. Ich glaube, man kann es nur im Einzelfall entscheiden. Letztlich hängt das auch von den Personen ab, ob sie unabhängig sind und ob sie ihrer Aufgabe nachher in der öffentlichen Verwaltung auch entsprechend gerecht werden können. Ich würde da weder einen Generalverdacht aussprechen wollen, sie für ungeeignet erklären ... Tatsache ist: In vielen Fällen ist es einfach hilfreich, wenn man bestimmte Erfahrungen mitbringt aus der Praxis, die man dann im Ministerium, in der Verwaltung, bei der Gesetzgebung nutzen kann. Wo da eine Grenze überschritten sein mag, das muss man in jedem Einzelfall entscheiden.

Kitzler: Brauchen wir klarere Regeln für den Umgang von Lobbyisten mit Politikern, mit Leuten in den Ministerien?

Steg: Vielleicht. Es gibt eine Diskussion darüber, ob man bestimmte Regeln braucht, einen sogenannten Code of Conduct, ob man mehr Transparenz, mehr Offenlegung benötigt. Wenn man so einen Fall gerade aktuell vor Augen hat, dann ist man geneigt zu sagen, unbedingt. Vielleicht ist es sinnvoll, ich warne aber davor, anzunehmen, dass dann alle Probleme sozusagen beseitigt sind, es nie mehr Zweifelsfälle gibt. Auch solche Regeln können zu einem bestimmten Zeitpunkt nur bestimmte, auch bekannte und vorstellbare Dinge erfassen. Das schließt dann nicht aus, dass man dann irgendwann feststellt, gerade daran haben wir nicht gedacht! Insofern: Sie können einem mehr Orientierung geben, aber noch mal: Wir brauchen keine Regeln, wenn gegen Gesetze verstoßen wird. Dann ist die Staatsanwaltschaft zuständig.

Kitzler: Das war Thomas Steg, früher Vizeregierungssprecher und heute bei Volkswagen zuständig für die Außen- und Regierungsbeziehungen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Steg: Bitte sehr.

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Der ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg
Thomas Steg© dpa
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