Daten und Vernetzung

"Wir verkaufen unsere persönlichen Daten viel zu billig"

Symbolbild - Internet-Shopping
Mesnschen sollten Daten über ihren Konsum teurer verkaufen, so Stephan Humer. © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Stephan Humer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 05.09.2017
Für wenige Prozent Rabatt darf die Supermarktkette unser Einkaufsverhalten analysieren, und gerade mal 25 Euro gab es für die Teilnahme am Gesichtserkennungsexperiment in Berlin Südkreuz. Der Internetsoziologe Stephan Humer hält das für zu wenig.
Einen Amazon-Gutschein über 25 Euro bekam jeder, der beim Kameraüberwachungstest am Berliner Bahnhof Südkreuz teilnahm. Das ist nicht viel - aber kein Einzelfall, meint der Internetsoziologe Stephan Humer.
"Schon seit Jahren verkauft man eigentlich persönliche Daten viel zu billig", sagte Humer im Deutschlandfunk Kultur. Er habe bereits früher vorgeschlagen, dass Anbieter oder Nutzer von Datenportalen die entsprechende Gegenrechnung machen müssten. "Also, was sind diese Daten einer Firma jetzt eigentlich ganz konkret in Euro wert? Dann würden die Menschen mal sehen, was tatsächlich an ihren Daten dranhängt. Wenig überraschend wurde das natürlich von den meisten Anbietern so nie in Erwägung gezogen."

Wem gehört meine Herzfrequenz?

Humer rät generell zur Wachsamkeit, was die Preisgabe persönlicher Daten angeht, etwa bei Gesundheitsdaten wie Schlafphasen oder Herzfrequenz: "Da ist tatsächlich die Begehrlichkeit sehr groß, dass dann irgendjemand kommt und sagt, ich kann das auch ganz gut gebrauchen", sagt er. "Da müssen tatsächlich erst mal ganz grundlegende Fragen diskutiert werden: Wem gehört tatsächlich meine gemessene Herzfrequenz, und was kann damit dann auch geschehen?" Doch diese Diskussionen fänden leider nicht immer so statt, "wie wir das gerne hätten".
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Ich will jetzt fragen, wie weit sind wir eigentlich mit solchen Belohnungssystemen, wie groß ist er, der Schritt vom Bewertungswahn zum digitalen Überwachungswahn, und zwar den Internetsoziologen Stephan Humer, Fachbereichsleiter an der Fresenius-Hochschule in Berlin. Schönen guten Morgen!
Stephan Humer: Guten Morgen!
Billerbeck: Bewertung ist ja bekanntlich ein menschliches Bedürfnis. Wir freuen uns alle, wenn wir gut bewertet werden. eBay vergibt Sterne, anhand derer wir erkennen sollen, ob jemand ein guter Verkäufer oder Käufer ist, und je mehr desto besser, aber vertrauen wir zu schnell einer großen, einer hohen Zahl?
Humer: Also, ich denke, dass das tatsächlich ein Phänomen ist, welches erstaunlich leicht um sich greifen konnte. Also Sachen wie eBay waren ja für sich genommen mit diesem Bewertungssystem sicher noch harmlos, war ja auch eine gute Idee zu sagen, ich sehe das Gegenüber nicht, ich weiß nicht, wie verhält der sich, und kann aus der Vergangenheit dann Rückschlüsse auf die Zukunft ziehen, aber das hat ja nun wirklich in so vielen Bereichen um sich gegriffen, dass man sich manchmal schon wundert und sagt, das wurde mit großer Leichtigkeit angenommen. Und dann ist in der Tat natürlich von Freiwilligensystemen, die dann ja auch viele Menschen nutzen, der Schritt zu Zwangssystemen, weil man aus der Nummer gar nicht mehr rauskommt, der ist wirklich klein. Da muss man sich manchmal schon hinstellen und innehalten und sagen, ist das so in dem Maße wirklich noch in Ordnung.

Mehr Transparenz erhält das Vertrauen

Billerbeck: Kommentare können ja bekanntlich auch gefälscht sein. Hilft denn Transparenz dagegen?
Humer: Ja, das ist fast schon … also vielleicht nicht das Einzige, aber wirklich eines der wenigen Mittel, die man überhaupt noch hat, dass man also sagt, wie kommen Dinge zustande, wer kann eigentlich was, wann, wie, wo kommentieren oder bewerten und dass man sich wirklich Mühe gibt, ein faires System transparent zu gestalten. Das waren ja auch Kritikpunkte, die zum Beispiel viele Jahre lang von Verbraucherschützern an die Schufa gerichtet wurden, also völlig unabhängig von Internet und Digitalisierung, dass man da ja auch gesagt hat, es kann sein – das war immer so die Vermutung, heute wissen wir, dass es ja tatsächlich so ist –, wo man wohnt, davon hängt schon relativ viel ab, also Dinge, die man gar nicht selber auch kontrollieren kann. Das zeigt ja auch, dass Bewertungssysteme tatsächlich große Probleme bergen, und dann muss man, wie gesagt, am besten so transparent wie möglich sein, um das Vertrauen auch zu erhalten.
Billerbeck: Wie weit ist er denn nun, der Schritt von der Bewertung zur Überwachung? Erinnern wir uns daran, dass Versicherungen ja durchaus schon dran denken, bessere Tarife für die Menschen zu planen, die ihre Gesundheitsdaten per Fitnesstracker preisgeben. Ist das ein kleiner Vorteil mit einer Riesengefahr?
Humer: Ja, das ist auch das Schwierige meiner Arbeit und natürlich auch der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen, die sich um ähnliche Bereiche kümmern. Wir können eigentlich die Folgen so ohne Weiteres immer gar nicht benennen, weil es einfach wahnsinnig komplexe Systeme sind, und da muss man eben schon sehr, sehr vorsichtig rangehen und sagen, okay, wenn ich jetzt Daten generiere, die zum Beispiel meinen Körper betreffen – ich zähle Schritte oder Herzfrequenz oder Schlafphasen oder ähnliches –, da ist tatsächlich die Begehrlichkeit sehr groß, dass dann irgendjemand kommt und sagt, ich kann das auch ganz gut gebrauchen, und da müssen tatsächlich erst mal ganz grundlegende Fragen diskutiert werden: Wem gehört tatsächlich meine gemessene Herzfrequenz, und was kann damit dann auch geschehen. Das sind gesellschaftliche Diskussionen, aber da die Materie wahnsinnig komplex und anstrengend ist, finden diese Diskussionen leider nicht immer so statt, wie wir das gerne hätten.

Wir verkaufen unsere Daten "viel zu billig"

Billerbeck: Nun haben wir gerade in Berlin erlebt, da wurde am Bahnhof Südkreuz eine Kameraüberwachung getestet, und die Teilnehmer an dieser Kameraüberwachung, alles Freiwillige, bekamen dann einen Amazon-Gutschein, ich glaube, über 25 Euro. Sind wir zu freigebig mit der Herausgabe von Daten für kleines Geld?
Humer: Also auf jeden Fall wird momentan in ganz vielen Lebensbereichen – das ist sicherlich nur ein Beispiel – das Interesse, die Neugier, das Explorative, das Spielerische ausgenutzt. Das kann man schon sagen. Da wird einfach versucht, mit relativ wenig Aufwand relativ viel zu bekommen, weil man ja auch immer am Anfang von einer neuen Entwicklung dann mit dabei ist und das eben entsprechend auch – so die Hoffnung – mit gestalten kann, und unabhängig jetzt vom Südkreuz würde ich ganz allgemein sagen, schon seit Jahren verkauft man eigentlich persönliche Daten viel zu billig. Einer meiner frühen Vorschläge war zu sagen, man müsste immer als Anbieter oder Nutzer von Datenportalen eine entsprechende Gegenrechnung machen. Also was sind diese Daten einer Firma jetzt eigentlich ganz konkret in Euro wert. Dann würden die Menschen mal sehen, was tatsächlich an ihren Daten dranhängt. Wenig überraschend wurde das natürlich von den meisten Anbietern so nie in Erwägung gezogen.
Billerbeck: Nun haben wir von China am Anfang gesprochen, und ich hatte gesagt, möglicherweise sind wir zwar nicht staatlich gelenkt, aber gar nicht so weit entfernt. Wie schnell lassen wir denn zu, dass wir dann irgendwann möglicherweise auch Punkte bekommen, um als ehrliche Bürger zu gelten, die nichts zu verstecken haben?

Ein "relative wache" Zivilgesellschaft in Deutschland

Humer: Also wir haben zum Glück ja noch in Deutschland ein relativ waches bürgerliches System, dass also die Zivilgesellschaft und ihre Akteurinnen und Akteure da sehr genau hinschauen und dem Staat auch nicht alles durchgehen lassen, aber es hängt natürlich vieles auch immer von äußeren Einflüssen und Ereignissen ab, und wir sehen natürlich schon, gerade im Bereich Videoüberwachung hat sich die Meinung ja schon geändert, und das heißt, wir sind keineswegs davor gefeit, dass an irgendeiner bestimmten Stelle, die vielleicht beobachtbar oder messbar ist, gesagt wird, bis hierher und nicht weiter.
Also, es kann schon sehr wohl sein, dass wir demnächst, aus welchen Gründen auch immer, sehr viel mehr preisgeben und das dann auch staatlicherseits oder in so halbstaatlichen Räumen, die ich dann noch für interessanter und damit auch gefährlicher halte, dass wir dann da sehr, sehr viel preisgeben, das vielleicht vorher gar nicht so oder noch ein paar Jahre vorher so gar nicht vorhatten. Also die Gefahr besteht, und man muss da sehr, sehr wachsam sein.
Billerbeck: Der Internetsoziologe Stephan Humer mit seinen Bedenken, was die Folgen unserer Datenfreigiebigkeit sein könnten. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Humer: Danke, ebenso!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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