"Dass diese Parteiführung nicht rund läuft, das hat man schon lange gesehen"

Moderation: Ute Welty · 12.04.2012
Die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, hat bekannt gegeben, dass sie aufgrund der Erkrankung ihres Mannes ihr Amt niederlegen wird. Nach Einschätzung des Journalisten Wolfgang Hübner wird nun möglicherweise auch Klaus Ernst die Parteispitze verlassen.
Ute Welty: Franz Müntefering hat es getan, Frank-Walter Steinmeier und jetzt Gesine Lötzsch.

O-Ton Gesine Lötzsch: "Aufgrund der altersbedingten Erkrankung meines Mannes habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschieden, das Amt der Vorsitzenden der Partei Die Linke mit sofortiger Wirkung niederzulegen. Sie können sich vorstellen, dass mir diese Entscheidung nicht leicht gefallen ist."

Welty: Lötzsch nimmt wie die anderen Politiker also eine Auszeit, um dem kranken Partner beizustehen. Aber ist das Private wirklich nicht politisch? Lassen Sie uns anhand des jüngsten Beispiels genau darüber reden, und zwar mit dem stellvertretenden Chefredakteur der sozialistischen Tageszeitung "Neues Deutschland", mit Wolfgang Hübner. Guten Morgen!

Wolfgang Hübner: Guten Morgen!

Welty: Wie sehr hat Sie die Entwicklung in der Linkspartei überrascht, journalistisch und persönlich?

Hübner: Also dass dieser Rücktritt jetzt erfolgt, hat uns schon überrascht. Das konnte ja nun niemand voraussagen. Offensichtlich hat das ja wirklich nur ein sehr enger Kreis um Gesine Lötzsch selbst in der Parteiführung vorher gewusst. Und natürlich hat uns auch die Tatsache überrascht, dass das zu nachtschlafender Zeit passiert ist, so dass wir also am Tag danach uns mit dieser Sache erst beschäftigen konnten.

Welty: Das haben Sie dann bis heute nachgeholt?

Hübner: Ja, wir haben das versucht, so gut wie möglich nachzuholen in Form von Berichten, Hintergrundmeinungen einzuholen und auch einen eigenen Standpunkt dazu zu finden. Dass diese Parteiführung nicht rund läuft, das hat man schon lange gesehen. Gesine Lötzsch hatte ja als erste im Herbst 2011 in so einer Art Trotzreaktion schon angekündigt, dass sie wieder kandidieren will als Vorsitzende, damit waren viele nicht glücklich, und es war sowieso die Frage, ob das bis zum Parteitag in Göttingen im Juni durchzuhalten ist.

Welty: Sie sagen es selbst: Gesine Lötzsch war nicht unumstritten. Wie sehr fließt diese Tatsache heute in die Berichterstattung ein? Wie sehr kann man das einfließen lassen, wenn es doch offiziell heißt, für den Rücktritt gibt es private Gründe?

Hübner: Diese privaten Gründe sind natürlich erst mal zu respektieren. Das klingt wie eine Floskel, aber es ist ja tatsächlich so: Da scheint, eine ernsthafte Erkrankung des Ehemanns vorzuliegen, und es gehört sich einfach nicht, darüber zu philosophieren, ob das ein echter oder ein vorgeschobener Grund ist. Das ist so. Gleichzeitig gibt es aber natürlich trotzdem unbestritten eine zweite Ebene, nämlich die Frage, dass in der Partei schon eine geraume Zeit darüber diskutiert wurde, wie die Führung in Zukunft aussehen soll und welche Rolle die beiden jetzigen Vorsitzenden dort spielen können. Es gibt ja Gerüchte, von denen ich nicht sagen kann, ob sie stimmen, aber die ich auch nicht für ausgeschlossen halte, dass hinter verschlossenen Türen schon länger darüber geredet wurde, wie man eine Möglichkeit finden kann, dass Gesine Lötzsch und auch Klaus Ernst aus dem Amt des Vorsitzenden herausgehen, aber trotzdem eine Funktion in der Parteiführung behalten und ihr Gesicht wahren können.

Welty: Gesine Lötzsch hatte ja den Parteivorsitz zusammen mit Klaus Ernst inne. Glauben Sie an dessen Zukunft auf diesem Posten, auch angesichts der Gerüchtelage?

Hübner: Klaus Ernst?

Welty: Ja.

Hübner: Ich glaube nicht, dass er weiter Vorsitzender bleibt. Das sind keine siamesischen Zwillinge, Lötzsch und Ernst, aber sie sind ja in einer schwierigen Situation an die Spitze gekommen als Kompromisskandidaten, nämlich als die beiden Überväter, muss man ja sagen, der Partei, Bisky und Lafontaine, nicht mehr im Amt waren, nicht mehr zur Verfügung standen. Dann ist ein schwieriger Kompromiss gefunden worden, ja nicht nur mit einer Doppelspitze an der Parteiführung, sondern auch in weiteren Führungsämtern. Da war von vornherein die Frage, wie gut so was funktionieren kann, zumal die Partei sich ja wirklich erst noch finden muss. Das ist ja bis jetzt in großen Teilen noch eine Zweckgemeinschaft widerstrebender Parteiflügel, die nur mühsam zusammenfinden, und die Widersprüche und gegensätzlichen Meinungen, die treten ja offen zu Tage. Die sind in der Programmdebatte mit viel Schwierigkeiten zusammengeführt worden und jetzt bei der Personaldiskussion wird das wiederkommen. Klaus Ernst wird sicher wieder eine Rolle spielen in der Parteiführung, aber Vorsitzender wird er eher nicht, einfach weil ja auch noch Oskar Lafontaine im Hintergrund steht.

Welty: Mit dem Rücktritt von Gesine Lötzsch hat das Namenskarussell begonnen, sich zu drehen. Laufen bei Ihnen, beim Neuen Deutschland, schon die redaktionsinternen Wetten?

Hübner: Da muss ich Sie enttäuschen!

Welty: Schade.

Hübner: Da hat meines Wissens noch keiner gewettet. Wenn gewettet wird, wird eher um die Frage gewettet, wer wird deutscher Fußballmeister oder wer wird Europameister. Aber natürlich wird darüber diskutiert und es gibt Ansichten. Das wird aber jetzt Sie auch nicht überraschen. Klar scheint zu sein, dass Dietmar Bartsch eine wichtige Rolle in der neuen Parteiführung spielen wird, in welcher Form auch immer, ob er Vorsitzender wird, ob er Bundesgeschäftsführer wird. Der ist ja so eine Art politisches Stehaufmännchen, der schon mal zurückgekommen ist nach längerer Auszeit und auch jetzt wieder an einer führenden Stelle zu finden sein wird. Klar wird sein, dass Oskar Lafontaine eigentlich die Wahl hat, was er will, ob er Spitzenkandidat werden will, ob er im nächsten Bundestag Fraktionschef werden will, oder Parteivorsitzender, und klar wird es sein, dass sich die - muss man ja sagen - in den letzten Jahren steile Karriere von Sahra Wagenknecht fortsetzen wird.

Welty: Wolfgang Hübner, stellvertretender Chefredakteur des Neuen Deutschlands. Ich danke sehr für dieses Mediengespräch.

Hübner: Bitte schön!

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