Das Zischen der Monster

22.02.2012
Es ist ein großes Vergnügen, Stephen T. Asma auf seinem Streifzug durch die Kulturgeschichte der Monster zu folgen, auch wenn einem manchmal schwindelt bei all den Geschöpfen, die er aus der Finsternis zieht. Nach dieser Lektüre ist klar: Ohne Monster können wir nicht leben!
Es war ein furchtbarer und verlustreicher Kampf. Verirrt in der Wüste des Industals - in einer sagenumwobenen, wilden und feindseligen Umgebung - waren Alexander der Große und sein Heer auf Monster gestoßen: auf Flusspferde, größer als Elefanten, bösartige Fledermäuse, Schlangen und Drachen. "Überall auf der Erde hallte ihr Zischen wider", schrieb Alexander nach seinem Indienfeldzug 326 vor Christus an Aristoteles.

Dieses Zischen hören wir noch heute, wie Stephen T. Asma in seiner wunderbaren Kulturgeschichte der Monster darlegt. Über 400 Seiten lang begibt sich der US-amerikanische Philosophieprofessor lustvoll auf die Suche nach "unseren schönsten Alpträumen". Dabei belegt er mit unendlich vielen Beispielen, dass kein anderes Wesen uns über die Jahrtausende so treu begleitet hat wie das Monster. Ob als einbeinige Skiapoden, hundsköpfige Kynokephalen und Zyklopen in der Antike, ob als Hexen und Dämonen im Mittelalter, als Missgeburten und Mutanten zur Zeit der Aufklärung oder als amoralische Massenmörder und unmenschliche Gesellschaften unserer Tage.

Ohne Monster können wir nicht leben, das ist Asmas zentrale These. Als Unbehauste in einer Welt voller Gefahren hätten die Menschen seit Anbeginn der Zeit ihre Ängste zu bannen versucht. Ungeheure Wesen hätten sich als ideale Flächen bewährt, auf die das Unvorstellbare, das Unkontrollierbare, das schlechthin Unheimliche projiziert werden könne. Damit wird das Monster zur kulturellen Kategorie und zur Metapher.

Etwa für Fremdenangst. Die ersten Beispiele von Xenophobie findet Asma bei den alten Griechen und Römern, die hinter den Grenzen ihres Reiches das Ende der Zivilisation sahen. So zischte es auf Alexanders Indienfeldzug, und Hesiod oder Plinius der Ältere berichtete von unheimlichen Völkern, seltsamen Menschen und ungeschlachten Sitten. Auch die Weltkarten des Mittelalters verzeichneten die Terra Incognita - dort wurde nichts Gutes vermutet.

Dass die wahren Ungeheuer an ganz andere Stelle lauern, vermutete allerdings schon Platons Sokrates. Den Blick nach innen richtend, fragte er sich, "ob ich etwa ein Ungeheuer bin." Die Antwort darauf gab Jahrhunderte später Sigmund Freud.

Es ist ein großes Vergnügen, Stephen T. Asma auf seinem Streifzug durch die Geschichte zu folgen, auch wenn einem manchmal schwindelt bei all den Geschöpfen, die er aus der Finsternis zieht. Doch spinnt er seine Erzählfäden so meisterhaft und gelangt so beeindruckend mühelos vom einen zum anderen. Etwa von Kants Begriff des Erhabenen über Lovecrafts Horrorgeschichten, Heideggers Geworfensein und Freuds Unbewusstes bis hin zu dem eigentümlichen Schauer eines David-Lynch-Films.

In Sicherheit, das wird hier klar, sind wir noch lange nicht - auch nicht mit Freud an der Seite und GPS im Handy. Im Gegenteil, Xenophobie hat weltweit Hochkonjunktur, und in der Zukunft lauern mit den Cyborgs die Enkel Frankensteins, der schlimmsten von Menschenhand geschaffenen, literarischen Kreatur des 19. Jahrhunderts. Keine Frage: Die Monster haben noch lange nicht ausgedient!

Besprochen von Eva Hepper

Stephen T. Asma: Monster, Mörder und Mutanten
Eine Geschichte unserer schönsten Alpträume
Übersetzt von Stephan Gebauer, Propyläen Verlag, 2011
480 Seiten, 24,99 Euro