Das Wunderkind der philippinischen Politik

Von Stefan Fuchs · 21.08.2008
Benigno Aquino Junior, genannt Ninoy, verkörperte den Gegensatz zum amtierenden Präsidenten Ferdinand Marcos, der die Philippinen zwei Jahrzehnte lang mit tatkräftiger Unterstützung der USA unterjochte. Tief vom Katholizismus geprägt, folgte Aquino den Idealen des philippinischen Freiheitskampfes. Seine brutale Ermordung am 21. August 1983 bewirkte eine beispiellose Mobilisierung der demokratischen Kräfte.
O-Ton Ninoy Aquino letztes Gespräch mit japanischem Fernsehteam

"Hier die kugelsichere Weste aus Kevlar, die ich trage werde. Leider bietet sie keinen Schutz für den Kopf. Sie müssen deshalb ihre Hand-Kamera schussbereit halten. Alles kann rasend schnell geschehen, in drei, vier Minuten kann alles vorbei sein. "

Das mitreisende Fernsehteam, dem Ninoy Aquino in der für ihn typischen Mischung aus Ernst und Ironie die kugelsichere Weste vorführt, die er bei der Ankunft tragen wird, folgt seinem Rat. Die Handkamera läuft im entscheidenden Augenblick, als am 21. August 1983, Punkt zwölf Uhr mittags Ortszeit das Flugzeug der China Airways auf dem Rollfeld in Manila zum Stillstand kommt. Sechs Soldaten in Uniform drängen sich in die vollbesetzte Maschine, sie helfen Aquino auf und geleiten ihn eilig zur geöffneten Flugzeugtür.

Die Geschichte des philippinischen Oppositionspolitikers Ninoy Aquino, der nach drei Jahren Exil in seine Heimat zurückkehrt, ist die Chronik eines angekündigten Todes. Bereits bevor er in Boston das Flugzeug nach Manila besteigt, weiß der Herausforderer des Diktators Ferdinand Marcos, dass er mit allem rechnen muss, auch mit einem hinterhältigen Mord.

" "Ninoy hatte ein sicheres Gespür dafür, was Marcos war: ein kaltblütiger Killer. Das Duell der beiden war ein Ringen um Herz und Verstand der Filipinos. Aquino wollte Marcos auf dem entscheidenden Schlachtfeld herausfordern, dem des Mutes. Er wollte Marcos zeigen, was der Mut war, der den Filipino ausmachte. "Tapang", Mut, war es, was zählte, wenn die Welt in Lethargie erstarrte, wenn die Zeit stillstand. Mut war das Blut, das die Helden der Nation vergossen hatten. War nicht der beste Kampfhahn jener, der immer wieder aufstand, der keine Angst vor dem Tod hatte, dessen stählerne Sporne ein todbringender Wirbel blieben, auch wenn er verwundet war. Marcos hatte seine Luger, Ninoy seinen Rosenkranz."

Der Journalist Teodoro Benigno war Aquinos Freund seit dessen Lehrjahren bei der "Manila Times". Als Sechszehnjähriger stürzte sich der Sohn einer aristokratischen Großgrundbesitzerfamilie ohne Rücksicht auf Gefahren in die Kriegsberichterstattung. Der Koreakrieg ist der erste Schauplatz, auf dem Aquino "Tapang", Mut, unter Beweis stellt. Aquinos Geburtsprovinz Tarlac auf der Insel Luzon wird der zweite. Hier wandelt sich der Journalist zum "Wonderboy" der philippinischen Politik. Erfolgreich verhandelt er mit den Huk Rebellen, wird jüngster Bürgermeister in der Provinzstadt Concepcion. Als Gouverneur sucht und findet er einen Modus-Vivendi mit den kommunistischen Guerillas. Als Senator ärgert Aquino Marcos luxusverliebte Frau Imelda mit beißendem Spott und bohrenden Fragen nach den in den Taschen der Marcos-Mafia versickernden Staatsgeldern. Der rachsüchtige Diktator identifiziert ihn bald als seinen gefährlichsten Widersacher.

"Ich hungerte, denn ich dachte, dass sie mich vergiften wollten. Die Zelle war absolut leer. Da saß ich, fast nackt, nur mit einem Unterhemd und Shorts bekleidet. Ich konnte nur Daumen drehen. Zum ersten Mal in einem Leben hörte ich das Ticken jeder einzelnen Sekunde und zählte, wie sie zu Minuten wurden, zu Stunden, Tagen, zu Wochen."

Aquino ist das allererste Opfer des Ausnahmezustands, den Marcos im September 1972 über die Philippinen verhängt. Sieben Jahre lässt der Diktator seinen unbestechlichen Gegenspieler im Kerker schmachten. Hier erlebt Aquino, was er seine Bekehrung nennt. Tiefe Religiosität dominiert von nun an mehr denn je sein Leben. In die Stille der Nerven zermürbenden Einzelhaft betetet er "Ave Marias", - tausende am Tag. Erst ein Herzinfarkt in der Zelle bringt ihm schließlich die Freiheit. Gnädig gestattet ihm der Diktator die Ausreise zur medizinischen Behandlung in den USA. Aber das Elend in seiner Heimat lässt Aquino auch im fernen Boston nicht ruhig schlafen. Seine Ungeduld wächst. Wieder und wieder diskutiert er mit dem Freund Teodoro Benigno mögliche Szenarien einer Rückkehr auf die politische Bühne der Philippinen.

"Es war wie der Lauf einer Waffe in seinem Kopf, die auf ihn gerichtet war und der er nicht entkommen konnte. Würde er getötet werden? Würde der Diktator sich herablassen, ihn empfangen? Würde man ihn wieder einsperren und in seine Zelle in Fort Bonifacio stecken? Marcos war krank, er konnte sterben. Ninoy wollte im Land sein, bevor die Militärs die Macht an sich reißen konnten, bevor die kommunistischen Rebellen der "New Peoples Army" an die Tore Manilas klopften. Er musste diese Reise einfach antreten. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah."