Das Wir in der Science-Fiction

Sternenflotte oder Borg-Kollektiv?

06:26 Minuten
Star Trek Fans als Borg kostümiert auf der Veranstaltung einer Star Trek Convention in der Westfalenhalle.
Die Dystopie eines totalitären Wir verkörpern die Borg in "Star Trek" (hier: kostümierte Fans). Das Gegenbild dazu: eine Gemeinschaft gleichberechtigter Individuen. © Imago / Future Image / J.Krick
Von Christian Berndt · 25.07.2021
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In der Science-Fiction geht es nicht nur um technische Errungenschaften, sondern auch um die Zukunft unseres Zusammenlebens. Zwischen totalitären Kollektiven und interplanetarer Gemeinschaft verhandelt sie die Möglichkeiten und Grenzen des Wir.
Ingenieur D-503 leitet den Frühsport, alle Mitarbeiter bewegen sich im gleichen Takt: "Wir sind eben keine Einzelwesen mehr, wir denken das Gleiche, wir fühlen das Gleiche, wir gleichen einander so sehr." Im zukünftigen "Vereinigten Staat" gibt es keine Individualität mehr. Nur das Kollektiv zählt, die Menschen sind lediglich Nummern.

Schreckensbild des totalitären Wir

1920 veröffentlichte der russische Schriftsteller Jewgeni Samjatin seinen visionären Roman "Wir", der George Orwell später zu seiner Dystopie "1984" inspirierte. Samjatin zeigt die Schreckensvision eines Staates, in dem die Menschen ihre Erfüllung in der totalen Unterordnung unter ein autoritär geführtes Kollektiv gefunden haben. Das Wir ist komplett negativ konnotiert.
"Kollektivzwang ist in der Science-Fiction sehr häufig anzutreffen", sagt der Medienwissenschaftler Sebastian Stoppe. "Wenn Sie zum Beispiel 'Schöne neue Welt' nehmen" – eine spätere Dystopie von Aldous Huxley –, "dann haben Sie dort die Menschheit eingeteilt in verschiedene Kasten, je nach ihrem Intelligenzzustand; wo also ein Kollektiv definiert wird, das herrscht, und ein Kollektiv, das beherrscht wird."

Manchmal wird die autoritäre Gesellschaft beworben

Allerdings, so Stoppe, hat das Konzept einer elitär geführten Gesellschaft eine lange Tradition in der klassischen Utopie. Auch positiv gemeinte Utopien können autoritäre Gesellschaftsmodelle als vorbildlich zeigen, wie der visionäre britische Science-Fiction-Film von 1936 "Was kommen wird": "Hören Sie bitte genau zu: Der Krieg ist unvermittelt ausgebrochen, es könnte einen Luftangriff geben. Gehen Sie nach Hause! Gehen Sie nach Hause."
Der Film lässt verblüffend vorausschauend im Jahr 1940 einen Weltkrieg beginnen. Nach jahrzehntelangem Kampf ist die Menschheit in einen vorzivilisatorischen Zustand zurück gefallen. Rettung kommt von den sogenannten "Vereinigten Fliegern", die mit ihrer technischen Überlegenheit Frieden und Fortschritt bringen, bis die geeinte Weltgemeinschaft 2036 Wohlstand und Gleichheit erreicht.
An ihrer Spitze steht eine Wissenschaftselite, die die Herrschaft der Vernunft sichert. Aber diese Führung unterdrückt abweichende Meinungen – etwa gegen riskante Weltraumflüge – und trägt totalitäre Züge: "Junge Menschen, am Anfang des Lebens. Und das wollt Ihr einfach aufs Spiel setzen? – Leiden an sich ist nicht falsch, wenn es denn einem Ziel dient. Gefahr und Tod sind Teil unserer Existenz. Wir geben Gefahr und Tod endlich einen wahren Sinn."

Star Trek: Geeinte Menschheit – mit elitären Zügen

Das positive Bild einer geeinten Menschheit entwerfen ab den 60er-Jahren die Star-Trek-Serien. Aber auch diese Idealwelt trägt elitäre Züge, wie sich an der Föderation der Vereinten Planeten zeigt – auch wenn deren politische Struktur vage bleibt, sagt Stoppe:
"Es finden Wahlen statt, es gibt ein gewähltes Parlament, also eine Vertretung der verschiedenen Planeten in dieser Föderation. Das sind demokratische Elemente, die kurz angesprochen werden. Auf der anderen Seite haben Sie diese Sternenflotte und diese militärische Hierarchie, die zweifelsohne in dieser Gesellschaft dominiert."
Zwar wird der Schutz individueller Rechte hochgehalten, doch es herrscht auch Konformitätsdruck, so Stoppe weiter: "Es ist eine Gesellschaft, die postuliert, dass jeder eine bestimmte Aufgabe hat und jeder eine bestimmte Fähigkeit mit sich bringt, um eine Gesellschaft am Laufen zu halten."

Das Raumschiff als Mikrokosmos

Das Raumschiff dient dabei als Mikrokosmos der Zukunftsgesellschaft. Die kollegiale Freundschaft ist der verbindende Kitt dieser diversen, aber in ihrem Weltbild sehr homogenen Gemeinschaft. Auch die Raumschiff-Crew bewegt sich dabei stets im Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektivdruck.

Reihe "Wer ist Wir? Von Menschen und Anderen"
Wir, wer ist das eigentlich? Wie eng oder weit fassen wir diese kollektive Selbstbezeichnung? Und gehören nur Menschen dazu oder auch andere Wesen? In "Sein und Streit" begeben wir uns diesen Sommer im Rahmen der Denkfabrik 2021 auf die "Suche nach dem Wir" und finden es in Tiermetaphern, Maschinenträumen, Sci-Fi-Welten und dem "Gaia-Prinzip":

11. Juli: Tier, Maschine oder Ebenbild Gottes? "Das Wesen des Menschen ist, dass er keins hat" Gespräch mit Thomas Macho.
11. Juli: Welches Tier sind wir? Wenn folgsame Schafe auf machthungrige Schweine treffen Von Florian Werner.
18. Juli: Werden wir zur Maschine? Vom menschlichen Uhrwerk zum Cyborg Von Constantin Hühn.
25. Juli: Das Wir in der Science Fiction: Sternenflotte oder Borg-Kollektiv? Von Christian Berndt.
1. August: Sind wir ein Planet? Gaia Theorie: Mit ganzheitlichem Denken gegen die Klimakrise Von Niklas Angebauer.

Wie schmal dieser Grat ist, zeigt sich gegenüber den Borg. Die Borg sind eine Art faschistisches Kollektiv aus Cyborgs, das den Werten individueller Entfaltung der Föderation diametral widerspricht. Aber nachdem die frühere Borg-Drohne Seven of Nine von einem Raumschiff der Föderation aus der Verschmelzung mit dem Kollektiv herausgelöst wurde, wirft sie Captain Janeway vor, sich selbst nicht an ihre postulierten Werte zu halten:
"Sie haben mich zu einem Individuum gemacht. Sie haben mich ermutigt, nicht mehr wie das Mitglied eines Kollektivs zu denken. Aber ich werde bestraft, wenn ich versuche, diese Unabhängigkeit umzusetzen." – "Die Individualität ist begrenzt, insbesondere auf einem Raumschiff, auf dem eine Kommandostruktur herrscht." – "Ich glaube, Sie bestrafen mich, weil ich nicht in denselben Bahnen denke wie Sie, weil ich kein Abziehbild von Ihnen werde. Sie behaupten, Sie respektierten meine Individualität, aber in Wahrheit haben Sie Angst davor."

Spiegel für die Verunsicherung der Gegenwart

Während in der Föderationswelt der Star-Trek-Serien bis in die 2000er-Jahre eine Gemeinschaft gleichberechtigter Individuen verwirklicht ist, sieht das Bild in der heutigen Science-Fiction anders aus. In der Welt des 24. Jahrhunderts, wie sie die Serie "The Expanse" zeigt, gelten Menschenrechte nur für Erdenbewohner. Die Arbeiterklasse, die auf fremden Planeten für die Terraner schuftet, lebt in einer Art Halbsklaverei. Je weiter weg die Menschen sind, desto weniger gelten humane Rechte für sie.
Das Wir als Vorstellung einer humanistischen Gemeinschaft hat in der aktuellen Science-Fiction seine universelle Kraft weitgehend eingebüßt. Damit spiegelt sie, in klassischer Science-Fiction-Manier, die Verunsicherung unserer Gegenwart. Aber ohne Wir – das zeigen die aktuellen Serien exemplarisch – gibt es auch keine Rettung.
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