Das Wesen des Krieges

21.02.2008
Carl von Clausewitz' Werk "Vom Kriege" ist wohl eine der bekanntesten militärischen Schriften. Militaristen wie Pazifisten schmücken sich gern mit Clausewitz-Zitaten. Dabei ist das Hauptwerk des preußischen Generals ein ziemlich trockener dicker Schinken mit wenig anschaulichen Beispielen. Der britische Militärhistoriker Hew Strachan fasst die wichtigsten Thesen Clausewitz' verständlich zusammen.
Vom Kriege ist hochgradig berüchtigt. Der britische Militärkommentator Basil Liddel Hart beklagte die "mentale Verstopfung", die sich Uneingeweihte bei der Lektüre zuzögen, und gab Clausewitz Mitschuld an den Massenmassakern des Ersten Weltkriegs. Andere Autoren haben in Clausewitz' Gedanken zum "absoluten Krieg" das geistige Fundament des "totalen Kriegs" gesehen, wie ihn Erich Ludendorff konzipiert und Josef Goebbels proklamiert hat.

Nichtsdestotrotz wird "Vom Kriege" bis heute auch von friedfertigen Köpfen als scharfsinnige Analyse des Gesamtphänomens geschätzt. Ob die berühmte Phrase, dass der Krieg die "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" sei, eher Falken oder Tauben Vorschub leistet - darüber streiten nicht nur Militärakademien.

Carl von Clausewitz hat den Krieg als solchen ein "wahres Chamäleon" genannt, und Gleiches lässt sich auch über das Buch Vom Kriege sagen. Entsprechend kommt Hew Strachan nach dem Kapitel "Die Realität des Krieges" mit einem souveränen biografischen Abriss von Clausewitz' Leben und militärischer Karriere zügig zu der erklärungsbedürftigen Entstehungsgeschichte.

Viele Einflüsse verbinden sich im Werk: Clausewitz' praktische soldatische Erfahrung und sein autodidaktisches Studium von Geschichte, historischen Feldzügen und Philosophie; seine Verehrung für Friedrich den Großen und das "Genie Napoleon" (gegen das er mehrfach in die Schlacht zog); die Freundschaft mit Heeresreformer von Gneisenau; die überaus preußische Auffassung vom Heer als wichtigster Verkörperung der Nation; das moralfreie Verständnis des Kriegs als "blinder Naturtrieb", aber auch höchster Form der Selbstbehauptung eines Volks.

In den Kapiteln "Das Wesen des Krieges" und "Die Theorie des Krieges" hat Strachan alle historischen Faktoren, die geistige Entwicklung und das beträchtliche Gesamtwerk des schriftstellernden Generals im Blick. Er verschweigt nicht, dass Clausewitz Anhänger möglichst flotter Feldzüge und opferreicher Entscheidungsschlachten war ("Zwar ist [die Hauptschlacht] kein bloßes gegenseitiges Morden. [ ... ] Allein immer ist Blut ihr Preis und Hinschlachten ihr Charakter wie ihr Name").

Aber anders als Clausewitz-Gegner liest Strachan aus "Vom Kriege" letztlich den Primat der Politik heraus:

"Das militärische Ziel ist das Mittel zum politischen Zweck."

Außerdem findet Strachan die "organische" Arbeitsweise des Generals sympathisch. Der Immer-weiter-Denker korrigierte sich notorisch, bis seine Selbstkorrekturen dialektische Methode wurden, und bekam sein Werk in Jahrzehnten nicht fertig, was dem offenen, paradoxen und anschlussfähigen Charakter Vorschub geleistet hat.

An Schwung verliert der dtv-Band, wo sich Strachan in Variantenvergleiche von Clausewitz' Gedanken vertieft, denen Nicht-Kenner auch wegen des hier uneleganten Stils kaum folgen können. Dafür bekommt man ein Gespür für die Mühe, die jede vollständige Lektüre des Clausewitz-Klassikers heute bedeutet. Anders als Strachans Einführung entzieht sich der XXL-Schinken nämlich durch seine äußerst eigenwillige Theoriebildung, seinen Mangel an interessanten Details und konkreten Beispielen, kurz, durch seine staubige Grundsätzlichkeit jedem schnellen Konsum. Was Bellizisten wie Pazifisten nicht hindern wird, sich weiterhin mit einschlägigen Clausewitz-Zitaten zu schmücken.

Rezensiert von Arno Orzessek

Hew Strachan: "Carl von Clausewitz: Vom Kriege"
Übersetzt von Karin Schuler
Deutscher Taschenbuch Verlag. München, Januar 2008
160 Seiten. 49,90 Euro