Das Wasser bis zum Hals

Von Adolf Stock · 23.08.2007
Der Stichkanal bei Osnabrück verbindet den Hafen der Stadt mit dem Mittellandkanal. Er wird derzeit gegen den Rat der Denkmalpfleger ausgebaut. Historische Kanalbauten, Schleusen und Brücken fallen der Spitzhacke zum Opfer, damit in Zukunft Schiffe, die den EU-Normen entsprechen, verkehren können.
Eine Kulturlandschaft verliert ihre Identität und wird zum glatt gebügelten Allerweltskanal. Fachleute bezweifeln, ob der neue Schiffsweg tatsächlich benötigt wird. Das ist ein Beispiel, wo Naturschutz und Denkmalpflege auf der Strecke bleiben. Auch auf Landesebene wird die Denkmalpflege in Niedersachsen neu geordnet. Die oberste Denkmalbehörde hat nur noch beratende Funktion. Entscheidungen werden bürgerfreundlich vor Ort gefällt. Kommt die niedersächsische Denkmalpflege zwischen wirtschaftlichen und populistischen Forderungen unter die Räder?

Ostia Antica am Oldenburger Stichkanal. Neben der neuen Brücke steht ein Stummel der alten Brücke, so wie man es von antiken Ausgrabungen her kennt. Bei Hollage blickt Wolfgang Neß vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege auf die neu gefasste Wasserstraße und erklärt die aktuelle Situation.

"Wir sind als Denkmalpflege trotz guter Argumente mein ich unterlegen, das war damals beim Hauptkanal so, da hatte man vielleicht noch Verständnis aufbringen können, weil diese Haupttrasse natürlich sehr stark befahren ist und da ein Ausbau durchaus erforderlich war. Bei diesen Seitenkanälen sehe ich das eigentlich immer noch nicht so, dass es möglich sein sollte, wenn hier so ein geringer Schiffsverkehr ist, Sie sehen ja, es bewegt sich hier eigentlich gar nichts, dass hat nichts mit den Bauarbeiten zu tun, sondern das ist der normale Schiffsverkehr, der sich hier bewegt. Und wir meinen, es wäre nicht nötig gewesen, hier Milliarden reinzupumpen. Die Wasserbauer haben keine Probleme, Geld auszugeben, Sie habe uns in Hannover damals gesagt, sie erkennen, dass die Brücken Denkmale sind, sie würden das auch respektieren, sie bauen die Brücken genauso aus wie sie da sind nur doppelt so breit, das war dann ihre Argumentation zum Denkmalschutz, das war nicht unser Anliegen, was wir eigentlich erreichen wollten."

Die Denkmalschützer wollten die alten Brücken sanieren und erhalten. Ein Gutachten sollte beweisen, dass es für den Ausbau des Kanals schonende Alternativen gibt. Schon in den 80er Jahren kamen die zehn historischen Brücken auf die niedersächsische Denkmalliste, weil sie für die Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte von Bedeutung waren.

Anfang des letzten Jahrhunderts wurde nicht nur ein Typus von Brücken gebaut, sondern gleich ein ganzes Spektrum, die den landschaftlichen Gegebenheiten angepasst wurden. Damals arbeiteten Gartengestalter und Brückenbauer Hand in Hand. Jetzt steht Denkmalpfleger Reiner Zittlau auf einer Brücke, die es in ein paar Wochen gar nicht mehr geben wird, und stellt sich die Zukunft vor.

"Wenn man heute diese Landschaft anschaut, dann wird die kahl aussehen, das heißt, man verliert hier ganz viele Einzelaspekte, und das sieht man auch an diesen Brücken, wenn man die Geländer an den Brücken hier anschaut, dann sieht man kleine ornamentale Details, das sind jugendstilige oder sagen wir mal neusachliche, aus dieser frühen Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Das sind lauter Dinge, die in Typenbauten eben nicht mehr vorkommen können, und die eine gewisse Verarmung dieser Kulturlandschaft dann auch mit sich bringen im Gesamtzusammenhang."

Christiane Segers-Glocke, oberste Denkmalpflegerin in Niedersachsen, ist eine resolute Person von altem Schrot und Korn. Sie engagiert sich lebhaft und streitet mit großem Ernst und Sachverstand für den Denkmalschutz. Auf der alten Brücke über den Stichkanal versucht sie noch einmal, das Anliegen der Denkmalpflege zu erläutern.

"Der Ingenieurbau im vernieteten Eisenkonstruktionswesen ist ja nun gerade ein Stückchen Architekturgeschichte. Das 19. Jahrhundert war sehr geprägt davon, dass es zwar auch Serienentwürfe gab, aber doch sehr individuell, sehr landschaftsspezifisch. Die Bahn hat ja bei Brücken wunderbare Typenentwürfe, von dem Empfangsgebäude, über die Brücke, über die Stellwerke, und wichtig ist eben für die Denkmalpflege, dass man diese Zeitschnitte versucht zu dokumentieren, um eben auch retrospektiv zu verdeutlichen, was wir mal für eine Kultur des Bauens hatten."

Wie alle Denkmalschützer kümmert sich Christiane Segers-Glocke um jedes Details. Das gehört zur Grundkompetenz von Denkmalpflegern, denn nur so kommt man den historischen Schichten der schützenswerten Bauten auf die Spur und nur so lassen sich Denkmale dokumentieren und bewahren. Diese Liebe fürs Detail ist eine berufsspezifische Qualifikation, die ihr oberster Dienstherr Lutz Stratmann, Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, für politikuntauglich hält.

"Es gibt eben Menschen, die empfinden es als eine besondere persönliche Mission zum Teil, auch für Detailfragen zu kämpfen, das ist ja auch gar nicht etwas, was ich kritisiere. Dann gibt es andere Interessen, die dem zuwider laufen, und als Politiker haben wir immer wieder die Aufgabe zu vermitteln und einen Kompromiss hinzubekommen."

Beim Oldenburger Stichkanal hat es keine Kompromisse gegeben. Als es um den Ausbau ging, blieben die Denkmalpfleger auf der Strecke. Leicht resigniert zieht Wolfgang Neß die entsprechende Bilanz.

"Die Problematik, das sage ich jetzt immer, im 19., 18. Jahrhundert war es so: Der Staat hat die Verkehrswege vorgegeben, auch die Breite der Kanäle und die Leute, die sie befahren sollten, hatten sich mit ihren Schiffen zu orientieren, wir können sie nur so breit bauen wie die Kanäle sind. Heute ist das komplett umgedreht, nicht. Die Wirtschaft gibt vor, große Schiffe zu bauen, um die Ladung effektiver zu transportieren, und der Staat muss nachziehen und entsprechende Wasserwege bereithalten. Und das ist eine Verdrehung, die nicht nur in diesem Bereich, sondern sicher auch woanders eine Problematik ist, dass die Wirtschaft bestimmte Bedingungen vorgibt und der Staat entsprechend nachziehen muss, obwohl es nicht unbedingt nötig wäre."

Der Bund Heimat und Umwelt hat kürzlich beklagt, dass Tag für Tag wertvolle Elemente unserer Kulturlandschaft verlorengehen. Der Raubbau am kulturellen Erbe führe zu gleichförmigen Landschaften mit Einheitsbauwerken ohne regionaltypisches Gepräge und nehme den Landschaften und damit den Menschen ihre Identität.

Deutliche Worte, zumal die Kritik mit der Forderung endet, die Bundesregierung solle nun endlich die Europäische Landschaftskonvention unterschreiben, die schon seit dem Jahr 2000 auf dem Tisch des Europarats liegt. Ein wichtiges Regelwerk, das eine natur- und kulturverträgliche Landschaftsplanung garantieren soll und von allen EU-Mitgliedsstaaten bis auf Deutschland und Österreich unterzeichnet wurde.

Kulturminister Lutz Stratmann setzt einstweilen bei der ökologischen Landschaftspflege und dem Denkmalschutz auf pragmatische Kompromisse. Es sollen Lösungen sein, die den privaten und den wirtschaftlichen Interessen genügen.

"Es gibt private Investoren, die mit viel Aufwand beispielsweise ein wunderbares Fachwerkhaus restauriert haben und jetzt sagen, wir hätten aber gerne wegen der Klimaproblematik das Dach mit Solarzellen versehen. Da kann ich natürlich einen dogmatischen Weg gehen – und die Fachbehörden neigen dazu, die reine Lehre zu vertreten – gibt es nicht auch eine Lösung, die sowohl den Klimaschutz als auch der Denkmalpflege Rechnung trägt? Und wenn hier das Thema Wasser auf der Tageordnung steht, Wasser in Anführungszeichen, eine Fragestellung, die ich für nicht wirklich zulässig halte, weil ich einfach glaube, dass wir gezwungen sein werden, in dem Bereich einen Weg zu gehen, der beides miteinander verbindet, ich muss als Politiker dann durchaus entscheiden, gibt es nicht auch eine Zwischenlösung?"

Ökologie und Denkmalschutz sind zwei schwierige Partner, die erst zögerlich ihre gemeinsamen Interessen erkennen. Die Deutsche Wasserhistorische Gesellschaft hat davor gewarnt, die Ökologie und den Denkmalschutz gegeneinander auszuspielen, wenn es bei der Umsetzung der EU-Richtlinien um den ökologischen Umbau der Flusslandschaften geht. Schleusen oder historische Wehranlagen könnten kurzerhand als negative Belastung eingestuft werden und so der Spitzhacke zum Opfer fallen.

Für Christiane Segers-Glocke ist die Sache klar. Zurzeit kommt der Staat seiner Verpflichtung gegenüber den schützenswerten Kulturlandschaften und Baudenkmälern nicht ausreichend nach.

"Besonders problematisch ist für uns auch bundesweit das Denkmalrecht. Der Bund fühlt sich an die Landesdenkmalgesetze nicht gebunden, und wie oft hören wir beim Kampf gegenüber untergehenden Kulturdenkmalen bei Privateigentümern sinngemäß, pflegt doch erst mal die Gebäude im öffentlichen Dienst, im öffentlichen Besitz, die sollen uns mit guten Beispiel vorangehen, dann fühlen wir uns als Privatdenkmaleigentümer auch aufgerufen. Also die Vorbildwirkung des Staates, des Bundes, der Länder bei öffentlichen Bauten ist sicherlich sehr in die Schattenseiten gekommen, aufgrund vielerlei wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, aber das macht die Glaubwürdigkeit gegenüber den privaten Denkmaleigentümern sehr, sehr problematisch, denn jedenfalls im niedersächsischen Denkmalschutzgesetz ist verankert, dass die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen soll."

Kulturminister Lutz Stratmann will in diesem Sinne gar kein Vorbild sein. Er glaubt, mit pragmatischen Zugeständnissen an Bauherren und Mäzene weit größere Erfolge zu erzielen als mit einer puristischen Denkmalpflege, die den historischen Wert eines Baudenkmals umfassend bewahren will. Als gewiefter Politiker fragt er sich lieber, was die Bevölkerung will und wie Geld in die leere Staatsschatulle kommt.

"Denkmalpflege führt nach meinem Dafürhalten wirklich nur dann zum Erfolg, wenn ich die Fragen, die anstehen, nicht nur dogmatisch beantworte, sondern ich muss mir auch die Frage stellen, wir schaffe ich es, auch die Akzeptanz der Menschen vor Ort sozusagen für mein Anliegen zu gewinnen."

Schon 2003 hat das Land Niedersachsen die Weichen für den Denkmalschutz neu gestellt. Jetzt treffen in dem norddeutschen Flächenland die unteren Denkmalbehörden vor Ort alle relevanten Entscheidungen.

"Wir haben gesagt, vor Ort kann am Besten entschieden werden, was gut und was schlecht ist, und wir haben das Landesamt quasi zur Fachbehörde gemacht, die in beratender Hinsicht tätig ist. Also wenn der Denkmalschutz nicht nur Fachaufsicht ist, sondern auch sozusagen letztentscheidende Zuständigkeiten hat, dann brauchen sie den kompromissfähigen Denkmalpfleger. Wenn die Strukturen so sind, wie sie in Niedersachsen sind, dass letztlich die Denkmalschützer eine beratende Funktion haben, dann habe ich kein Problem damit, dass die Denkmalschützer natürlich versuchen, den Kompromiss anderen zu überlassen."

Im Klartext: Das niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege wurde entmachtet. Bürgernähe ist für den Minister das Stichwort, während die kastrierten Denkmalpfleger in Hannover über Stellenabbau klagen und davon sprechen, dass sie manchmal gar nicht mehr mitbekommen, was draußen im Lande so alles passiert. Sitzen im Landesdenkmalamt zu viele Blockierer, die keine Kompromisse machen können und den Lauf der Dinge nicht verstehen? Kulturminister Lutz Stratmann:

"Ich kenne ja die Argumente des Landesdenkmalamtes, und ich kenne auch die Strukturen des Landesamtes, die möchte ich nicht weiter kommentieren. Damit ist im Prinzip auch schon alles gesagt. Ich kenne kein einziges Beispiel, wo man wirklich sagen könnte, hier wäre der Denkmalschutz unter die Räder gekommen, sondern im Gegenteil, ich finde Denkmalschutz lebt auch entscheidend mit davon, dass auch die Menschen vor Ort zufrieden sind mit den Entscheidungen, die getroffen werden, die diese Entscheidungen auch akzeptieren, und ich könnte Ihnen eine Reihe von Beispielen nennen – und das möchte ich öffentlich nicht tun, weil ich dann den einen oder anderen desavouieren würde – aber ich könnte Ihnen eine Reihe von Beispielen nennen, wo ich denn mich selber eingeschaltet habe, vor Ort mir die Situation angeschaut habe und mir dann auch die Frage gestellt habe, was in Gottes Namen, in Anführungszeichen, spricht jetzt dagegen, dass man nun den Wünschen
der Bürger vor Ort, die meistens durch Ratsbeschlüsse da noch untermauert werden, dass man den Wünschen der Bürger vor Ort Rechnung trägt?"

Die Denkmalschützer vom Landesdenkmalamt erscheinen als verbohrte Fortschrittsfeinde, es sind Leute von gestern, während der Minister als weiser Salomon kluge Urteile fällt. Ein populistisches Klischee, jenseits jeder notwendigen Streitkultur auf Augenhöhe. Der Denkmalschutz wird als lästig empfunden, falls er Ansprüche stellt und ein wenig mehr sein will, als eine schöne Fassade fürs gute Gefühl und den Kommerz.

So oder so ähnlich verläuft auch der Streit um die Dresdner Elbbrücke. Die Mehrzahl der Dresdner Bürger will einfach problemlos den Fluss überqueren. Wieso um alles in der Welt kommen da UNESCO-Vertreter und Denkmalschützer, um die Waldschlösschenbrücke zu verhindern? Seit 2004 steht das Dresdner Elbtal auf der Weltkulturerbeliste. Weltkulturerbe! Ein schickes Label für Hochglanzprospekte. Dresden war stolz und hoffte auf noch mehr Touristen. Jetzt droht die Streichung von der Liste. Stadtrat Jan Mücke spricht für viele Bürger, ihm ist die UNESCO am Ende egal. Der Freidemokrat wird unterstützt von Dresdens ehemaligem Oberbürgermeister Herbert Wagner. Auch der Christdemokrat kämpft für die neue Flussüberquerung.

"Für uns ist entscheidend, dass wir, auch wenn wir bedauern dass die UNESCO eine solche Entscheidung getroffen hat, wir keinesfalls eine Stätte von Barbaren werden, wenn wir die Brücke bauen und wir tatsächlich den Kulturerbe-Titel aberkannt bekämen. Wir bleiben dann immer noch Weltkulturerbe der Herzen …
Dresden braucht diese Brücke zur Verkehrsentlastung, und diese Brücke fügt sich in das Elbtal in einer verträglichen Art und Weise ein. In der Gesamtentwicklung unserer Stadt braucht Dresden diese Brücke."

Inzwischen geht es bundesweit drunter und drüber. Der Disput geht quer durch die gesamtdeutsche Parteienlandschaft. Jeder hat plötzlich was zu sagen, wobei die Sache selbst immer mehr aus dem Blick gerät.

Wie stets in solchen Fällen, ist der Streit reichlich provinziell. Das fällt diesmal nur auf, weil nicht nur Elbflorenz, sondern ganz Deutschland weltweit seinen Ruf als Kulturnation verspielt. Nach dem Streit um die Potsdamer Gärten, wo um eine Shopping-Mall ging, und dem Streit um die Sicht auf den Kölner Dom, weil die Stadtväter Hochhäuser planten, ist es nun schon das dritte Mal, dass UNESCO-Vertreter Deutschland die Rote Karte zeigen. Für den Dresdner SPD-Stadtrat Peter Lamers ist das ein fatales Signal.

"…, weil insbesondere erkennbar ist, dass der Schutz der Welterbestätten in Deutschland durch Gesetze nicht hinreichend gewahrt ist. Dass also die Weltkulturgemeinschaft bei uns nicht die richtigen Instrumentarien vorfindet, um das dann innerstaatlich auch durchsetzen zu können."

In der Bevölkerung und in der Politik hat der Denkmalschutz zurzeit kaum eine Lobby, es sei denn es rechnet sich. Denkmalschutz bleibt das Privatvergnügen einiger kulturbeflissenen Exoten, die kaum ernst genommen werden. Warum gibt es den Denkmalschutz nicht zum Nulltarif? Das bauliche Erbe zu missachten oder Kulturlandschaften nachhaltig zu schädigen ist keine besondere Kunst. Sie zu bewahren ist hingegen eine leicht zerstörbare, anspruchsvolle Kulturleistung, die Wissen, Verantwortung und Empathie voraussetzt. Das ist in der Event- und Hartz-IV-Gesellschaft Mangelware. Eins ist auf jeden Fall klar: Großgüterschiffe im Niemandsland können den Verlust des kulturellen Erbes – oder sagen wir mal der Heimat – nicht ersetzen.

Links:
Bund Heimat und Umwelt
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
Interview mit Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, am 27.07.2007 in Deutschlandradio Kultur