Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Das Vergnügen feiner Geister Über die Bosheit Von Rolf Cantzen Produktion: DLF 2015 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 23.09.2018, 20:05-21:00 Uhr Regie: Philippe Bruehl Sprechen: Tatja Seibt, Florian Lukas, Ilka Teichmüller, Michael Evers Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Zitator 1: Wenn ich einen Menschen sehe, habe ich Lust, ihm eine in die Fresse zu hauen. O-Ton 1: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Die Bosheit ist etwas, was wir zur Verfügung haben, um die Schwierigkeiten des Alltags zu bewältigen. Zitator 1: Es ist so angenehm, einem Menschen in die Fresse zu hauen! (Musik: M 1= Kap. Wlodek. Ab 0.09, bei 0.10 aus.) O-Ton 2: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Wer Bosheit übt, wer Bosheit als Laster hat... (Musik: M 1= Kap. Wlodek. Ab 0.09, bei 0.10 aus.) O-Ton 3: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Es ist ein solch vertrautes Mittel wie das Weinen, das Lachen. Es gehört zu unserem Gefühlshaushalt dazu. Zitator 1: Ich sitze in meinem Zimmer und tue nichts. Es klingelt an meiner Haustür... (Geräusch: Türklingel) O-Ton 4: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Bosheit ist eine mit Aggression versetzte geistvolle Art. (Musik: M 1= Kap. Wlodek. Kap. Wlodek.) (Geräusch: Türklingel) Zitator 1: Da kommt mich jemand besuchen und sagt: ANSAGE: Das Vergnügen feiner Geister. Zitator 2: Guten Tag! Wie schön, dass ich Sie zu Hause antreffe! ANSAGE: Über die Bosheit. Feature von Rolf Cantzen (Musik: M 1= Kap. Wlodek. Kap. Wlodek.) Zitator 1: Da kommt mich jemand besuchen und sagt: O-Ton 5: Wiglaf Droste Ich finde es schön, wenn die Leute mal die Sau rauslassen. Zitator 1: ... und sagt: Zitatorin: Guten Tag! (Geräusch: Klingelgeräusch) Zitatorin: Wie schön ... (Geräusch: zweimaliges Türklingeln) O-Ton 6: Tim Wolff ... entweder ist das ehrliche Wut oder es ist einfach der Versuch, Spaß an allem zu haben, was die Welt so hergibt. Zitator 2: Wie schön, dass ich Sie zu Hause antreffe! Zitator 1: Und ich haue ihm eine in die Fresse, und trete ihm dann noch mit dem Stiefel in die Weichteile. Mein Gast fällt vornüber von dem schrecklichen Schmerz. Und ich ihm dann mit dem Stiefelabsatz in die Augen! Was hat er hier zu suchen, wenn er nicht eingeladen ist! O-Ton 7: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Das sind subtil eingesetzte Strategeme. (Musik: M 1= Kap. Wlodek.) O-Ton 8: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Die Bosheit ist gewissermaßen auch ein Mittel, um sich zu emanzipieren von Durchschnittlichkeiten und vom eingelebten und eingeschliffenen Normativen. Da kann man durchaus mit boshaften Mitteln sich praktisch herausheben und dagegen profilieren. Das wäre durchaus möglich. Das wäre das eher Harmlose an der Bosheit. Das ist in dieser Weise als Emanzipationsmittel gegenüber einer gedankenlosen Menge oder einer, einer einer ... Erzählerin ... ja, manchmal reicht es schon, wenn einer uneingeladen zu Besuch kommt, wie im zuvor zitierten, zweifellos etwas boshaften Text von Daniil Charms. Zitator 1: Was hat er hier zu suchen, wenn er nicht eingeladen ist! Erzählerin: Charms war übrigens ein nachrevolutionärer russischer Dichter des Absurden, in dessen Texten es mitunter deftig zur Sache geht. Zitator 1: Und ich haue ihm eine in die Fresse... Erzählerin: Literaturwissenschaftler nennen das vornehm "rabulistisch". (Musik: M 2 = Kap. Wlodek.) O-Ton 9: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Bosheit muss man wohl abgrenzen gegenüber solchen Phänomenen, die mit der Affektion des Menschen zu tun haben, wie Zorn zum Beispiel, ja. ... Erzählerin: Bosheit will wohl überlegt sein. Wer allzu wütend ist, lässt sich leicht von seinen Gefühlen mitreißen und handelt allzu spontan und unbedacht. O-Ton 10: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Bosheit kommt eher vom Verstand als vom Herzen. Erzählerin: Steffen Dietzsch ist Philosophieprofessor. Er schreibt über Lügen und Lachen und "Wider die Schwere", über geistige Fliehkräfte". Er hält eine Menge vom Philosophen Friedrich Nietzsche... O-Ton 11: Prof. Dr. Steffen Dietzsch ... da ist Boshaftigkeit dasjenige, wovon Nietzsche einmal gesagt hat, "Bosheit vergeistigt". Erzählerin: Bosheit vergeistigt, weil sie... Zitator 2: ... eine Gelegenheit ist, Geist zu bekommen und fein zu werden. Erzählerin: Jenseits von Gut und Böse. O-Ton 12: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Wer boshaft sein will, muss schon geistvoll sein, sonst schafft er das einfach nicht. Zitatorin: Niemals! Erzählerin: Wahre Bosheit ist nichts für Idioten. Boshaftigkeit hat etwas mit Intelligenz, mit Verstand zu tun, mit dem Willen zu schaden, fein zu tricksen, geschickt zu täuschen, raffiniert zu manipulieren ... O-Ton 13: Prof. Dr. Steffen Dietzsch ... insofern ist für Nietzsche die Bosheit ein Merkmal der intellektuellen Überlegenheit. Erzählerin: Bosheit ist nicht immer nett für die soziale Mitwelt, aber sie schult den Verstand und macht fit für die Härten des Alltags. O-Ton 14: Prof. Dr. Steffen Dietzsch In diesem Sinne hat diese negative Eigenschaft bei uns Menschen durchaus auch eine emanzipatorische Dimension. Das muss man sehen, ja. Zitatorin: Ge-nau! Musik: M 3 = Kap. Wlodek. Zitatorin: Satire darf alles! Erzählerin: ...dieser Satz von Kurt Tucholsky wird immer wieder gern zitiert ... (fröhlich) Zitator 2: Satire darf alles! Erzählerin: ...boshaft und gemein sein, das verlachen, was andern lieb und teuer, wertvoll und heilig ist. O-Ton 15: Prof. Dr. Rüdiger Safranski ... es ist ein bisschen zynisch, es ist ein bisschen polemisch, es ist ein bisschen satirisch - alles Mögliche steckt darin. Zitatorin: Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit! Zitator 2: Satire darf alles! Zitator 1: "Ich bin Charlie!" Erzählerin: Satiriker von "Charlie Hebdo" wurden im Januar 2015 von fanatischen Glaubensbösewichtern hingerichtet, weil sie sich in Satiren mitunter despektierlich über einen Propheten und andere Glaubensdinge geäußert hatten. Der westlichen Demokratie und ihren Repräsentanten war plötzlich klar: Zitator 1: Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit! Zitator 2: Satire darf alles! Zitatorin: Ich bin Charlie! O-Ton 16: Tim Wolff Ja! Genau! Die satirischen Mittel stehen im Verhältnis zum Thema und zu der medialen Verarbeitung des Themas, die man da vorfindet. Zitatorin: Bundespräsident Gauck: Warum wichste er in Merkels Handtasche? Zitator 2: Satire darf eigentlich alles! Erzählerin: Eine Titelschlagzeile des Satiremagazins "titanic" vom März 2015: Darüber eine Fotocollage. Sie zeigt, wie Merkel grimmig über ihre Handtasche hinweg schaut und Gauck entspannt lacht. In einem Kästchen steht "Satire darf alles", in einem grafischen Stern darüber - Tim Wolff nennt das "Blinker" - der Ausruf: "Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit". (Musik.) O-Ton 17: Tim Dieser Märztitel: Wo man Merkel sieht und eine Handtasche und "Bundespräsident Gauck. "Warum wichste er in Merkels Handtasche" als Schlagzeile, würde gar nicht funktionieren und wäre eine geschmacklose Sinnlosigkeit, wenn er nicht in dem Kontext dieser Blinker "Hoch auf die Meinungsfreiheit. Satire darf alles" stünde und eben eine Reaktion auf diese Charlie Hebdo-Solidarität sei. Erzählerin: Tim Wolff ist Chefredakteur des Satiremagazins "titanic". Er ist zwar auch "Charlie", aber - nebenbei bemerkt - nicht der Meinung, dass Satire alles darf, gerade dann nicht, wenn alle wiederholen, dass Satire alles darf, bei uns, im "freien Westen". O-Ton 18: Tim Wolff Das Schöne, was mir wirklich an diesem Titel gefällt, diese Geschmacklosigkeit funktioniert in diesem Kontext, weil es ein satirischer Titel ist, der Satire selbst kritisiert. Und das zeigt auch die unendlichen Möglichkeiten von Satire. Hier stellt sich Satire selbst in Frage mit satirischen Mitteln und das finde ich schön und reizvoll und so kann die Geschmacklosigkeit auch funktionieren. Reine Geschmacklosigkeit ist weder komisch noch nutzenbringend für wen auch immer. (Musik: Aus.) (Musik: M 4 = Kap. Wlodek:.) Erzählerin: Geistvolle Satire ist nicht immer geschmacklos, aber: O-Ton 19: Wiglaf Droste Der Reflex auf eine vollkommen geschmacklose Welt mit erhöhter Geschmacklosigkeit zu reagieren, ist mir nicht fremd. ... Erzählerin: ... das ist ganz in Ordnung so. Satire ist manchmal so, meint der Satiriker Wiglaf Droste. O-Ton 20: Wiglaf Droste Das ist eine Form medialer Aufgepumptheit, plus substanzieller Insuffizienz, die man nicht zu ertragen zu glauben scheint. Erzählerin: Und deshalb ist Satire oft boshaft und manchmal bitter. (Geräusch: Klingelgeräusch) (Erzählerin) Aber: Was Satire nicht dürfen sollte, aber trotzdem gelegentlich macht, weil sie ja alles darf und gelegentlichen Mehrheits-Applaus auch nicht verschmäht, sind Witze auf Kosten derjenigen, die am unteren Rand der Gesellschaft stehen, also derjenigen, die von Ausgrenzung betroffen sind und von Rassismus, etwa von antimuslimischen Rassismus. Zitatorin: Ich bin Charlie! Erzählerin: ... klar, wir sind alle Charlie, weil die Meinungsfreiheit im freien Westen ein hohes Gut ist und Satire alles darf. O-Ton 22: Tim Wolff (O-Ton 21 entfällt) .... wenn Witze nach unten zielen und ohnehin schon auf dem Boden Liegende fertig machen, dann ist das nicht vergnüglich. Also Boshaftigkeit, wenn man sie denn wirklich als komisch-satirisches Mittel verstehen will, muss sich immer gegen etwas Starkes, Prominentes richten, sonst verdirbt es einem den Spaß. Erzählerin: Bundespräsident Gauck - prominent, allseits geachtet und verehrt - macht sich bei Satirikern immer beliebter... Zitatorin: Trauer mit Power. Zitator 2: Präsidentenpower! O-Ton 23: Tim Wolff 11.04- Er trauert sehr gerne mit anderen Leuten und das so herzhaft, dass man ein bisschen Angst hat, dass er jetzt irgendwo hin reist, zu irgend welchen Katastrophen, wildfremde Menschen umarmt - das ist ein bisschen anstrengend. Hat er nicht auch einen Holocaust-Überlebenden umarmt und geherzt? (Musik aus.) Zitator 2: Neues Rettungspaket: Merkel bürgt für guten Sex. Zitatorin: Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit? Zitator 2: Kohl gedopt. Wiedervereinigung ungültig. Zitatorin: Buddhismus bizarr: Kohl droht mit Wiedergeburt! Zitator 2: Panne bei Gedenkfeier. Merkel enthüllt Hitlerstatue zu früh. Erzählerin: ...das sind alles Titel der Satirezeitschrift "titanic", für die Tim Wolff heute als Chefredakteur arbeitet. (Musik: M 5 = Kap. Wlodek..) (Geräusch: Klingelgeräusch) Zitator 2: Wie schön, dass ich Sie zu Hause antreffe! O-Ton 24: Tim Wolff Was wir erlebt haben nach dem Attentat, dass den ganzen Tag Medienvertreter hier sind und sagen: "Haben Sie Angst? Haben Sie Angst?". ... Dann ist man natürlich an dem Punkt, wo man am liebsten vor die Tür geht: "Islamisten, tötet uns! Wir ertragen es nicht mehr!" Weil einem die eingeredete Angst - und vielleicht hat man auch selber welche, so bedrückt, dass man sie nur loswird, dass man sich über sie lustig macht. Zitator 1: ... ich biete ihm ein Gläschen Tee an. Der Gast nimmt an, setzt sich zu Tisch, trinkt Tee und erzählt irgendetwas. (Musik: M 5 = Kap. Wlodek.) O-Ton 25: Tim Wolff 30.53 Wir haben dann ja auch sehr schnell auf der Website geschrieben: "Liebe Pegida-Leute. Die versammelte Lügenpresse befindet sich vor unserer Redaktion. Wenn Ihr es auch wie die Islamisten machen wollt, jetzt ist die Gelegenheit." Zitator 1: Ich gebe mir den Anschein, als hörte ich mit großem Interesse zu, nicke, sage "ah!" und "oh!", reiße erstaunt die Augen auf und lache. Der Gast, geschmeichelt von meiner Aufmerksamkeit, kommt mehr und mehr in Fahrt... Erzählerin: ...und es wird blutig enden. O-Ton 26: Tim Wolff Ich habe in ein paar Interviews gesagt: "Ich fühle mich sicher. Denn bis sich jemand durch die ganzen Journalisten geschossen hat, bin ich hier schon längst hinten zur Tür raus." Das sind halt Dinge, die boshaft oder frech oder was auch immer erscheinen. (Musik: M 5 = Kap. Wlodek.) Erzählerin: Wer boshaft ist, muss also kein böser Mensch sein. Bosheit kann so etwas sein, wie eine Maßnahme zur Selbstverteidigung gegen die Zumutungen des Alltags und des Lebens. Zitator 2: Bosheit vergeistigt. (Musik: M 6 = Hildegart v. Bingen) Erzählerin: Der Boshafte reflektiert die Dummheit, die Verlogenheit seiner sozialen Mitwelt ... O-Ton 27: Wiglaf Droste Zu gucken: "Hey, ihr seid verlogen. Ich zeig es euch." Erzählerin: ... er entwickelt eine Distanz: Ausgangspunkt kann ein Unbehagen sein, ein Ekel, das Gefühl, es einfach nicht mehr auszuhalten. (Musik: M 6 = Hildegart v. Bingen) Zitator 1: Es ist so angenehm, einem Menschen in die Fresse zu hauen! O-Ton 28: Wiglaf Droste Arschlöcher, Arschlöcher, Arschlöcher. Das ist wirklich widerwärtig, was dieses Pack sich traut. Erzählerin: ...und dann sublimiert sich bei Satirikern wie Wiglaf Droste die Abscheu zu einer gezielten Bosheit - mal gelingt sie mehr, manchmal weniger gut: (Musik: M 6 = Hildegart v. Bingen..) Zitator 1: Du willst das Christentum verstehen? Die Christen und woran sie glauben? Das ist ganz leicht. Du kannst doch sehen, wie sie mit ihren Kille-Kille-Daumenschrauben auf ihren alten, kalten Kinderglatzen sich selber Jesuslöckchen drehen. - Und glauben, dass sie dich damit vernatzen. (Musik: Aus.) Zitatorin, Zitator 1, Zitator 2, Erzählerin: Erbarme, Satan, dich auch meiner tiefen Qualen! O-Ton 29: Prof. Dr. Steffen Wir wollen also nicht die Bosheit kultivieren, sondern wir wollen erkennen, dass wir mit ihr etwas in der Hand haben, mit dem wir uns durchaus auch ganz privat von einer selber wieder boshaften Öffentlichkeit absetzen können. Erzählerin: Die Bosheit ist kein bloßer Reflex. Sie reagiert auf die Erkenntnis, dass etwas so, wie es ist, nicht gut ist. Sie ist subversiv und respektlos, sie untergräbt das Gewohnte, die Autoritäten. Sie weicht ab von der normativen und gesellschaftlichen Ordnung, sie missachtet die Moral und die Tugenden. Sie beruht auf der Freiheit, etwas anderes zu tun als es erwartet und verlangt wird. (Geräusch: Türklingel Klingelgeräusch) Zitator 1: Da kommt mich jemand besuchen und sagt... O-Ton 30: Prof. Dr. Rüdiger Safranski. Nicht die Freiheit ist das Böse, sie ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt Böses gibt. Tiere können nicht böse sein und ein ausbrechender Vulkan ist auch nicht böse, obwohl er böses Unheil anrichten kann. Nein, .. der Mensch kann nur böse sein. (Geräusch: Türklingel Klingelgeräusch) Zitator 2: Guten Tag! Wie schön, dass ich Sie zu Hause antreffe! Erzählerin: Prof. Dr. Rüdiger Safranski trifft man oft zu Hause an, weil er dort Bücher schreibt - über Nietzsche, Schopenhauer, Schiller, Goethe, die Romantik. Eins hat den programmatischen Titel: Zitator 2: "Das Böse oder Das Drama der Freiheit." Erzählerin: Da die Bosheit ein Kind des Bösen ist - und die gleichen emanzipatorischen Potentiale birgt - wenden wir uns nun dem Bösen und Rüdiger Safranski zu. O-Ton 31: Prof. Dr. Rüdiger Safranski. Der Mensch kann nur bestialisch sein. Tiere sind auch nicht bestialisch. Eine Bestie ist auch nicht bestialisch, aber der Mensch. Das hängt genau mit seinen Freiheitsmöglichkeiten zusammen. Es würde gar keinen Sinn machen, von der Freiheit zu reden, wenn man sich nicht klar macht, dass Freiheit ja bedeutet, Optionen zu haben. Zitatorin: Du Engel weisester und schönster du hoch droben, O du gestürzter Gott, der Anbetung enthoben, Zitatorin, Zitator 1, Zitator 2, Erzählerin: Erbarme, Satan, dich auch meiner tiefen Qualen! (Musik: M 7 = Hildegart v. Bingen.) O-Ton 32: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Die Paradieserzählung Genesis 3 ist eine trickreiche Geschichte: Zitator 1: Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr gemacht hat. (Geräusch: Klingelgeräusch) (Zitator 1) Sie sagte zu der Frau: Zitator 2: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? (Musik zurückblenden.) O-Ton 33: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Das ist eine verrückte Geschichte, diese Sündenfallgeschichte. Man liest sie meistens auch nicht aufmerksam genug, denn dann ist sie voller Widerhaken und voller Überraschungen. (Musik) Zitator 1: Die Frau entgegnete der Schlange: Zitatorin: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Zitator 1: Darauf sagte die Schlange zur Frau: Zitator 2: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Zitator 1: Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. (Musik aus.) Erzählerin: ... klug, ausgestattet mit der Erkenntnis von Gut und Böse, ein Ebenbild Gottes ... O-Ton 34: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Was ist denn das besonders Ebenbildliche? Das ist natürlich die Freiheit. Gott ist frei. Und der Mensch ist auch frei, aber er hat nicht .. die Gelingensgarantie, dass mit seiner Freiheit nur etwas Gutes zu Stande kommt. Und insofern ist er ein Wesen, das riskant ist, dass ein Risiko auch für sich selbst darstellt. Erzählerin: ... aber frei, dank der Schlange, die Eva herumgekriegt hat, so, wie Eva später Adam. Die Schlange ist Satan, der Verführer, auch Luzifer genannt: Diese teuflische Gegenmacht hat selbst Erfahrung im Ungehorsam, so jedenfalls eine Erklärungsvariante der jüdisch-christlich-islamischen Tradition. Zusammengefasst hat sie Origenes im 3. Jahrhundert. O-Ton 35: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Origenes stellt sich vor, dass vor der Erschaffung der Erde und der Menschen Gott eine Geisterwelt geschaffen hat, eine Welt rein geistiger Wesen, die wir als Engel bezeichnen. Dort gab es einen Aufstand gegen den einen Gott. Eine Anzahl von Engeln hat sich losgesagt, der Anführer ist Luzifer, auch Satan genannt, der seitdem sein widergöttliches Unwesen in der Welt treibt... Erzählerin: ... und blasphemisch als Held gefeiert wird von freiheitsliebenden Dichtern und Denkern, wie Charles Baudelaire, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts den Satan sympathischer fand als dessen heiligen Gegenspieler. (Musik: M 8 = Kap. Wlodek.) Zitatorin : O du, des Abgrunds Herr, dem Unrecht einst geschah, Du stehst, obgleich besiegt, viel herrlicher nun da ... Zitatorin, Zitator 1, Zitator 2, Erzählerin: Erbarme, Satan, dich auch meiner tiefen Qualen! (Musik: M 8 = Kap. Wlodek..) Zitatorin: Der du allwissend bist, in Nacht hinabgeborgen, Der Menschheit Heiland, du Vertrauter ihrer Sorgen, Zitatorin, Zitator 1, Zitator 2, Erzählerin: Erbarme, Satan, dich auch meiner tiefen Qualen! (Musik: M 8 = Kap. Wlodek. Ab 0.03, Anfang, bei 0.06 aus.) Zitatorin: Der an den Paria, den Ausgestoßenen, denkt, Und mit der Liebe ihm ein Paradies geschenkt. Erzählerin: Satan ist der Empörer gegen Gott und seine auf Willkür, Psychoterror und Unterordnung basierende Herrschaft des Durchschnittlichen und Langweiligen, des Prüden und Spießigen. (Musik: M 8 = Kap. Wlodek. Ab Anfang, ab 0.03 dem Folgenden unterlegen) Zitator 2: O komm, Satan, du von den Priestern und Königen Verleumdeter, lass dich von uns umarmen, lass dich an mein Herz drücken. Deine Werke, o Gesegneter meines Herzens, sind nicht immer schön oder gut; aber du allein gibst dem Universum Sinn. Was wäre der Mensch ohne dich? Ein Tier. Erzählerin: Vertreter eines radikalen Verständnisses von Freiheit, zum Beispiel einige Anarchisten .... (Geräusch: Explosion) (Erzählerin) ... sie feierten Satan und das vermeintlich Böse als Element der Zerstörung des Erstarrten: Zitator 2: Die Lust der Zerstörung ist eine schaffende Lust... Erzählerin: ... damit meinte Michail Bakunin allerdings nicht die Bombe, sondern die radikale Kritik, die Negation, die Weigerung zu gehorchen, die intellektuelle Revolte. Zitator 2: Satan, der ewige Rebell, der erste Freidenker und Weltbefreier, bewirkt, dass sich der Mensch seiner tierischen Unterwürfigkeit schämt; er befreit ihn und drückt seiner Stirn das Siegel der Freiheit und Menschlichkeit auf, indem er ihn antreibt, ungehorsam zu sein und die Frucht der Erkenntnis zu essen. Zitator 1: ... dass der Baum ... dazu verlockte, klug zu werden. (Musik aus) Erzählerin: Kurzum: Satan, alias Luzifer, der Böse, macht den Menschen zum Menschen, erlöst ihn aus einem unbewussten Sein, er bringt ihm das Licht der Erkenntnis, er emanzipiert ihn, er klärt ihn auf. Zitatorin: ...gibt ihm die Gelegenheit, Geist zu bekommen und fein zu werden. O-Ton 36: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Insofern ist der erfolgreiche Aufklärer auch ein boshafter Mensch. Mit geringeren Kosten kann man die Aufklärung nicht bewerkstelligen. Sie bedarf dieses brachialen Mittels der Bosheit. Anders ist dem Nicht-Aufgeklärten, dem Unaufgeklärten nicht beizukommen. Zitatorin: Bosheit vergeistigt! Erzählerin: ... und nicht nur das: O-Ton 37: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Ja, die Paradieserzählung ist eine trickreiche Geschichte: Erzählerin: Die Bosheit des Teufels macht den Menschen zu einem sexuellen Wesen. Zitatorin: Bosheit macht geil! (Musik: M 7 = Hildegart v. Bingen. Ab Anfang dem Folgenden mit Geräusch "Vogelzwitschern" unterlegen.) (Geräusch: Biss in den Apfel) Zitator 1: Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz. (Musik aus, Geräusch Vogelzwitschern bleibt untergelegt) O-Ton 38: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Wenn man aber die Paradieserzählungen näher ansieht, dann stößt man auf alle möglichen Spannungen und Widersprüche und merkt, dass sie ursprünglich von etwas ganz anderem gehandelt hat, nämlich von der Rivalität zweier Götter in ihrer Beziehung zu den Menschen. Erzählerin: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang ist katholischer Theologe und Religionswissenschaftler. Er ist Experte für das Alte Testament und schrieb viele Bücher über Himmel und Hölle, die Geschichte Gottes im Alten Testament und in der Literatur, über Jesus und die Kyniker. Er meint, dass dem Sündenfallmythos die Vorstellung zweier gegeneinander agierender Götter zu Grunde liegt: O-Ton 39: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Der eine Gott will den Menschen die Sexualität enthalten, der andere will sie den Menschen verraten und hat das auch getan und die Frucht, um die es dabei geht, ist ein Aphrodisiakum, das die sexuelle Begierde anregt und der Mensch, der dann von der Frucht genießt, dann die Sexualität und die Fruchtbarkeit entdeckt. Erzählerin: Das heißt, so jedenfalls das Forschungsresümee Bernhard Langs: Es geht nicht nur darum "Geist zu bekommen und fein zu werden", es geht auch um Sex. (Musik: M 7 = Hildegart v. Bingen ) Zitatorin: Bosheit vergeistigt. Erzählerin: Und: Zitatorin: Bosheit macht geil. Erzählerin: ...genauer: die "Bosheit" des teuflischen Gottes sexualisiert den Menschen. Er befreit die Sexualität, indem er den Menschen die Erkenntnis verschafft, dass sie sexuelle Wesen sind. Kurzum: Die Bosheit hat etwas mit Vernunft zu tun. Und: Die Bosheit des Teufels macht dem Menschen seine Sexualität bewusst. (Musik aus) O-Ton 40: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Gut und Böse ist in diesem Fall ein althebräischer Ausdruck, der sich auf die Sexualität bezieht. Die Menschen verstehen eben erst alles, wenn sie dieses Geheimnis der Fruchtbarkeit und Sexualität verstehen. (Musik: M 9 = Kap. Wlodek.) Erzählerin: Die emanzipatorische Vernunft und Sexualität - beides - rückt jeweils in die Nähe des Teuflischen. Der Konkurrent des Teufels, der "andere" Gott, der "gute", mag die Menschen wohl eher prüde, dumpf, gehorsam und unwissend. Zitator 1: Das Böse ist der Preis der Freiheit. Erzählerin: Der Teufel gibt sie dem Menschen zusammen mit der Möglichkeit, böse zu sein. O-Ton 41: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Das ist eine verrückte Geschichte, diese Sündenfallgeschichte. Man liest sie meistens auch nicht aufmerksam genug... Erzählerin: Der Mensch ist frei und verantwortlich und somit schuldfähig. Er kann sich nicht rausreden mit: Zitatorin: "Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen." Zitator 2: "Die Frau, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen." Zitator 1: Selber schuld... Erzählerin: ...sagt Gott und schmeißt die nun klugen und sexualisierten und potentiell bösen und boshaften Adam und Eva aus dem Paradies. (Musik aus) O-Ton 42: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Wer Freiheit sagt, muss auch erkennen, dass wir Wesen sind, die böse sein können, ohne damit krank zu sein. (wie oben) Zitatorin, Zitator 1, Zitator 2, Erzählerin: Erbarme, Satan, dich auch meiner tiefen Qualen! O-Ton 43: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang ... eine trickreiche Geschichte: Erzählerin: Eine andere sehr plausible Erklärung über die Entstehung des Bösen wurde christlicherseits verdammt. Es ist die - bei all dem Elend auf der Welt - naheliegende Idee, dass nur ein boshafter Schöpfergott die Welt samt Bevölkerung geschaffen haben könne. Die Konsequenz: O-Ton 44: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang ... wir müssen uns aus dieser Welt befreien. Christus hat uns den Weg gezeigt, uns von diesem bösen Gott, der die Welt geschaffen hat, zu lösen. Wir können das tun, indem wir strenge Askese üben. Geschlechtlichkeit gehört auf die Seite der Materie, die vom bösen Gott erschaffen ist. Das ist der gnostische Komplex. Erzählerin: ...und die Gnostiker wurden von der Kirche als Häretiker verfolgt, von Inquisitionsgerichten verurteilt - weil sie das Böse einem bösen Schöpfer in die Schuhe schieben und den Menschen davon entlasten wollten. Der Mensch musste frei bleiben, um für das Böse verantwortlich gemacht werden zu können. (Geräusch: Klingelgeräusch) (Erzählerin) Und den Teufel? Ihn brauchte man als ewigen Verführer, als jemand, der die Sinnlichkeit des Menschen anstachelt und seine Vernunft die vorgegebenen Grenzen sprengen lässt. Zitator 2: Wir kennen die Alternative... Erzählerin: ... schreibt Albert Camus: O-Ton 45: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang ... eine trickreiche Geschichte: Zitator 2: Entweder sind wir nicht frei, und der allmächtige Gott ist für das Böse verantwortlich. Oder wir sind frei und verantwortlich, aber Gott ist nicht allmächtig. Erzählerin: Hinzu kommt: Wäre er allmächtig, allwissend und gut, weshalb hätte er den Menschen die Freiheit geben sollen? Für ihn, den Allmächtigen, war doch absehbar, dass die Menschen mit ihrer Freiheit böse und boshaft werden. Wie kann ein solcher Gott gut sein und die Menschen lieben? (Geräusch: Klingelgeräusch) (Erzählerin) Vielleicht ist er ja wirklich unfähig, wie die Gnostiker meinten, oder - schlimmer noch - ein bösartiger Zyniker. (Musik: M 10=Marcell Cellier.) O-Ton 46: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang ... eine trickreiche Geschichte: Erzählerin: ... die vom Anfang der Welt, wie ihn die Bibel sich vorstellt. In Wirklichkeit war es wohl einfacher, aber auch brutaler: Es dominierte die Angst davor, umzukommen, zu verhungern, gefressen oder erschlagen zu werden, so vermutet Rüdiger Safranski: (Musik aus) O-Ton 47: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Die Wirklichkeit insgesamt ist, wenn sich die Kultur noch nicht eingenistet hat, wenn es den Schutzraum, den wir so selbstverständlich konsumieren, es noch nicht gibt, ist die Wirklichkeit insgesamt, die Natur mit ihren ganzen Katastrophen und so weiter, ist ein einziger Schreckensraum. Und deswegen beginnt auch die Religion mit dem Schrecken. Und deswegen sind die Götter auch erst einmal Schreckensmächte. Ursprünglich sind die ganz üble Dämonen, dann werden die so gesellig, wie die homerischen Götter (Musik: M 10 =Marcell Cellier.) Erzählerin: ...eine unberechenbare Schar von Dämonen, Geistern und üblen Wesen, die sich allenfalls durch Brandopfer besänftigen lassen. Später verlieren diese Wesen etwas von ihrem Schrecken und werden gleichsam menschlich-böse: Sie morden unbeschwert, betrügen ihre Gattinnen und Gatten, sind neidisch, eifersüchtig, eitel, wie die Götterriege im antiken Griechenland. O-Ton 48: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Wenn sie so werden wie die homerischen Götter, dann ist eigentlich mit ihnen schon ganz gut Kirschen essen, zum Teil jedenfalls, dann werden die schon milder. Erzählerin: ...das vielleicht schon, aber sie sind zunächst jenseits von gut und böse, bevor sie sich dann im Laufe der kulturellen Entwicklung ändern. In den bunten Mythos schleicht sich der graue Logos ein. O-Ton 49: Prof. Dr. Rüdiger Safranski ... wie man ja überhaupt sagen kann, dass die Götter ja auch ihre Biografie haben in den Kulturen. Und gewissermaßen kommen die dann ja mal auch aus dem Gröbsten raus, ja, und werden anständig. ... Und bei den Griechen, in der griechischen Kultur kann man sagen, dass die Gutmachung der Götter ein Werk der Philosophie ist. Die Philosophie war die Disziplinaranstalt für die etwas verwahrlosten homerischen Götter. Da wurden sie zurechtgeschliffen und am Ende blieb auch nur ein Gott übrig. (Musik aus) Erzählerin: Christliche Denker griffen dankbar darauf zurück, stellten dem guten Gott mit seiner zahlreichen Anhängerschaft - Engel, Heilige und so weiter - eine Art Gegenmacht zu Seite: Den bösen Teufel, der als Böser schließlich auch für die Boshaftigkeit verantwortlich zeichnet. So wurde die bis dahin diffuse Welt der Götter und Dämonen "ethisiert". (Musik: M 2 = Kap. Wlodek.) (Erzählerin) So neu war das religionsgeschichtlich zwar auch nicht, weil der Babylonische Religionsgründer Zarathustra sich bereits im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ans Aufräumen gemacht hat: Zitator 1: Pol eins: Gott gleich gut. Zitator 2: Pol zwei: Teufel gleich böse. Erzählerin: Diese beiden Pole, lehrte Zarathustra, lägen von Anbeginn der Welten im unversöhnlichen Kampf miteinander. Am Ende aller Zeiten, nach dem letzten Gefecht, siege dann - Happyend! - Pol eins, also das Gute. Dieses "duale System" konnte im Judentum, Christentum und schließlich im Islam Fuß fassen, hat sich dann in der christlich dominierten westlichen Welt etabliert und funktioniert in seiner dümmlichen Schlichtheit - mehr oder weniger säkularisiert - noch immer: Zitator 1: Pol eins: Das Reich des Guten - Jesus, die freie Marktwirtschaft, die Demokratie und so weiter. Zitatorin: Pol zwei: Die Achse des Bösen -der Terrorismus, Kim Jong-un, neuerdings wieder Russland und so weiter. Zitator 1: Pol eins: Wir. Zitatorin: Pol zwei: Die - die Anderen. Erzählerin: Innerhalb dieses Systems wurde und wird der "andere" Pol stark, gefährlich und bedrohlich gemacht. Das hält die Guten von Pol eins zusammen und macht sie gefügig: Der Teufel - Pol zwei - muss kontrolliert und ausgetrieben werden. (Musik: M 11= Rolling Stones) Zitator 1: Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn... Erzählerin: ... Theologen beschäftigten sich mit Teufeln und Dämonen, zählten, rechneten, systematisierten. Einer veröffentlichte im 16. Jahrhundert eine gelehrte Abhandlung mit einer Liste der bösen Mächte... Zitator 2: ... 72 Dämonenfürsten, 7.405.920 untergeordnete Dämonen ... Erzählerin: Andere Autoren kamen auf weit höhere Zahlen: Zitator 1: 1.758.064.176 Dämonen ... Erzählerin: ... und keiner weniger! (Musik aus) (Erzählerin) Den Teufel kann man als bösen Feind immer gut gebrauchen. (Musik: M 11= Rolling Stones) Zitator 2: Der Teufel ist im Grunde nur eine Kriegslist der totalitären Mächte. Niemals hatte ein griechischer Klerus sich je das überstaatliche Recht angemaßt, eine klare Trennung zwischen Gut und Böse zu treffen. Die Griechen vergaßen niemals, dass sie ihre Götter erfunden hatten und dass diese ein Spiegel ihrer selbst waren. Erzählerin: So der Kultur- und Religionshistoriker Gerald Messadié. (Musik: M 11= Rolling Stones. ) O-Ton 50: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Nur noch fundamentalistische Theologen glauben heute an die Existenz des Teufels. Fundamentalistische Theologen sind in allen Kirchen zu finden. Heute besonders in Freikirchen, Pfingstkirchen, im rechten Flügel der katholischen Kirche bis hoch in die Hierarchie. (Musik: M 11= Rolling Stones. Nur: "Huhu") O-Ton 51: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang In der Theologie hingegen sieht es ganz anders aus. Erzählerin: Professor Bernhard Lang ist Theologe und glaubt, auf den Teufel verzichten zu können - ganz im Gegensatz zu den Päpsten der letzten Jahrzehnte: Zitator 1: Das Böse in der Welt ist das Vorhandensein und Wirken eines dunklen Feindes, des Teufels, in uns und unserer Gesellschaft. Erzählerin: ...so Papst Paul VI, und der in Rekordzeit heilig gesprochene Johannes Paul II wusste: (Musik: M 11= Rolling Stones. Nur: "Huhu") Zitator 1: Der Drache der Apokalypse ... Erzählerin: ...gemeint ist der Teufel .. Zitator 1: ...er versucht ohne Unterlass die Frau und mehrt damit die Sünde ... (Musik: M 11= Rolling Stones. Nur: "Huhu") O-Ton 52: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Der Teufelsglaube hat in der Theologie, meine ich, nur noch historisches und kulturgeschichtliches Interesse, obwohl er in den Kirchen und im Volksglauben weiter lebt. Erzählerin: Damit ist die Theologie von Pol eins zu Pol zwei übergelaufen. Denn: (wie in einer öffentlichen Rede) Zitatorin: Die Parteigänger des Teufels kann man am leichtesten daran erkennen, dass sie seine Existenz verleugnen. Erzählerin: ... so der Teufel auf einer fiktiven metaphysischen Pressekonferenz, die er persönlich am 20.12.1963 in Warschau abgehalten hat. Der Schriftsteller und Philosoph Leszek Kolakowski war anwesend und stenographierte alles mit. Zitatorin: Sie haben aufgehört, an mich zu glauben, meine Damen und Herren, gewiss, ich weiß davon. Ich weiß es, und es lässt mich kalt. Ob sie glauben oder nicht - es bleibt einzig und allein ihre Sache. Der Unglaube nimmt bei mir seinen Anfang. Den Teufel wird man am leichtesten los. Dann kommen die Engel, dann die Dreieinigkeit, schließlich Gott. Erzählerin: ...warnt der Teufel. Er geht weitgehend d'Accord mit katholischen Auffassungen und er freut sich über die Ignoranz, die ihm seitens der Theologie begegnet. O-Ton 53: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Das ist in der Theologie so weit geschehen, dass ich keinen erstzunehmenden Theologen mehr nennen könnte, der den traditionellen Teufelsglauben teilt. Erzählerin: Das macht es dem Teufel schon immer um so leichter, seine Bosheit zu verbreiten. (Musik: M 11 = Rolling Stone.) Zitator 1: Nun gut, wer bist du denn? Zitator 2: Ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will, und stets das Gute schafft. Zitator: Was ist mit diesem Rätselwort gemeint? Zitator 2: Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht: denn alles, was entsteht, Ist wert, dass es zugrunde geht. (Musik: M 11 = Rolling Stone.) Erzählerin: Die Antwort von Mephistopheles - kurz: Mephisto - bedarf einer Erklärung: Das Böse ist in Goethes "Faust" auf den Hund, genauer: auf einen schwarzen Pudel, gekommen, der unter Qualm und Gestank schließlich sein Inkognito aufgibt. Zitator 1: Das also war des Pudels Kern! Erzählerin: Mephisto ist nicht mehr so richtig böse, sondern boshaft - eine vielschichtige, oft selbstironische Erscheinung - allemal interessanter als der alte Herr namens Gott, als dessen Mit- und Gegenspieler Mephisto fungiert. O-Ton 54: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Mephisto ist nicht die Verkörperung des Bösen, sondern er ist als Person durchaus ein Meister der Bosheit... Erzählerin: Auch seine Bosheit ist "vergeistigt", doch auf eine sehr irdische Art. Zitator 2: Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewusst. Erzählerin: ...und seine Bosheit ist alles andere als harmlos. Er spießt Gretchens treuen Bruder mit seinem Degen auf, lässt brave Mütter vergiften und trinkfreudige Studenten sich gegenseitig die Nasen abschneiden. O-Ton 55: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Diese moderne Mephisto-Figur ist das Urbild dessen, was wir mit Bosheit bezeichnen. Erzählerin: Witzig, unangepasst, widerständig, respektlos ... (Musik: M 11 = Rolling Stone.) O-Ton 56: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Insofern ist der Mephisto eine boshafte Person, aber nur, wenn man ihn nicht mehr als archaischen Teufel ansieht. Man muss Mephisto schon so ansehen, wie Goethe ihn angelegt hat, als einen modernen Menschen gewissermaßen. Er ist ein Charmeur, ein Flaneur. Auch in dieser Modernität entwickelt er seine boshaften Fähigkeiten und ist damit als moderner Mensch ausgewiesen. Er ist nicht mehr als Höllenfürst zu erkennen, der aus der Tiefe einer vorweltlichen Hölle kommt und dann uns Angst machen würde .. Er ist ein Bürger unserer Kultur. (Musik: M 11 = Rolling Stone) Erzählerin: Der Teufel ist ein Wesen, das dem Menschen seine Dienste anbietet: Zitator 1: Ich bin dein Geselle, mach dirs recht, Bin ich dein Diener, bin dein Knecht. Zitator 2: Und was soll ich dagegen dir erfüllen? Erzählerin: Umsonst gibt es nichts. Faust verspricht ihm seine unsterbliche Seele. An etwas anderem ist der Teufel selten interessiert. Dieses Motiv gibt es in der Literatur häufig. Oft ist der Teufel sympathisch-boshaft, selten hinterhältig-gemein. Er ist ein Wesen, mit dem man reden kann. Zitatorin: Bosheit vergeistigt! Erzählerin: ...und macht frei. Doch als Faust von der Geistigkeit genug hat, hilft ihm Mephisto bei seinem anderen Spezialgebiet. Zitatorin: Bosheit ist geil. Zitator 2: Mir ekelt lange vor allem Wissen. Lass in den Tiefen der Sinnlichkeit Uns glühende Leidenschaften stillen! (Musik: M 12 = Kap. Wlodek.) Erzählerin: ... zuerst bei Gretchen und dann, bevor er in die Sublimierungsphase eintritt, besucht er sogar einen Hexensabbat ... Zitator 2: Satire darf alles! Erzählerin: ...einen, dessen teuflische Orgien Kurt Tucholsky anders beschreibt als Goethe. (Musik: M 12 = Kap. Wlodek.) Zitator 1: Hexenweibel Sengspeck schnaufte alle Luft ein, die um ihn war. Erzählerin: ...in dieser "Walpurgisnacht" sind die teuflischen Ausschweifungen militärisch organisiert: Zitator 2: Heute abend steht die Eskadron geschlossen vor dem Blocksberg am Südhang. Abrücken dazu um 10 Uhr. 11 Uhr 40 Besichtigung durch Seine Exzellenz den Teufel. 12 Uhr bis 4 Uhr 30 Orgie, mit anschließender Parade vor Höchstebendemselbigen. 5 Uhr abreiten. Erzählerin: Hexenweibel Sengspeck führt eine Musterung durch, trainiert noch ein wenig mit seinen Hexen. Dann heißt es: Zitator 2: Zehntes Hexenregiment zur Orgie angetreten! (Musik aus) O-Ton 57: Prof. Dr. Rüdiger Safranski (nicht geschnitten) Bosheit ist - ja, das ist ja keine, na, ich würde mal sagen, das ... muss nicht böse sein, Bosheit, ja. Erzählerin: ...was nicht heißt, dass Böse nicht boshaft sein können oder - umgekehrt - Boshafte nicht böse. O-Ton 58: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Bosheit hat auch so eine vitale, spielerische Aggressivität. Das kann auch taktisch und strategisch eingesetzt werden. Erzählerin: ... und kompensiert Schwächen, wie Hässlichkeit oder geringe sexuelle Attraktivität. (Musik: M 13 = John Taverner:) Zitator 1: Und drum, da ich mich nicht als ein Mann der Liebe Bewähren kann in dieser fein beredten Zeit, Will ich mich nun bewähren als ein Schurke... Erzählerin: ...das gesteht Gloucester (sprich: Gloster), der spätere Richard III in Shakespeares gleichnamiger Tragödie. O-Ton 59: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Boshaftigkeit ist gewissermaßen die Summe aus Übermut und Schwäche. Dann entwickelt sich eine Fähigkeit, die entschlossener ist als der Übermut und die stärker ist als die Schwäche. Damit kann man Schwächen ausgleichen und man kann die Ungezügeltheit und die Unorientiertheit des Übermuts in eine gewisse Bahn lenken. (Musik: M 13 = John Taverner:) Erzählerin: Boshaft nutzt Gloucester die Dummheit und den Aberglauben seiner Opfer aus, beherrscht perfekt die Kunst der Intrige. Skrupellos mordet er und lässt morden - seinen Onkel, seine Neffen, seine Brüder und den König. Bei dessen Beerdigung macht er sich dann an die Königin heran: Zitator 2: Nicht ich schlug Euren Mann tot. Zitatorin: Ach! So lebt er! Zitator 2: Nein, er ist tot. Zitatorin: Du lügst... Dein Mordmesser rauchte von seinem Blut;... Erschlugst du nicht den König? Zitator 2: Ich geb's zu. Zitatorin: Du gibst es zu, Stacheltier? - Dann geb' Gott, Dass du verdammt sein sollst für diese Untat! O, er war sanft und mild und tugendhaft. Zitator 2: Nun, umso besser für den Himmelskönig, Bei dem er ist. Zitatorin: Er ist im Himmel, wo du Nie hinkommst. Zitator 2: Dann mag er mir dafür danken, Dass ich ihm hinhalf, denn er passt dort besser Hin als auf Erden. Zitatorin: Aber du passt nirgends Als in die Hölle hin. Zitator 2: Doch! Wollt mich hören: An einen Ort! Zitatorin: Ein Kerker? Zitator 2: Euer Bett. Erzählerin: ...und dort landet er schließlich, im Bett der Königin, weil er ihr boshaft versichert, nur ihre Schönheit und seine Liebe zu ihr hätten ihn zum Mord getrieben. Schließlich ehelicht er sie. (Musik aus) (Erzählerin) Und Gloucester macht immer weiter. Bosheit macht süchtig: O-Ton 60: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Die gelungene Bosheit bringt eine momentane Zufriedenheit, aber sie ist wie eine Droge im Ablaufstadium: Wenn das verfliegt, bleibt zurück eine große Spannung, die man am besten auszufüllen gedenkt wiederum mit einer neuen Bosheit, mit einer neuen Droge. Erzählerin: ... so ist es bei Shakespeare und so ist es auch im wirklichen Leben, wie der Philosophieprofessor Steffen Dietzsch versichert ... O-Ton 61: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Äm, äm, die zum Beispiel darin besteht, äm, äm, dass man jemandem äm dass man heute würden wir sagen, die die Illusionsstruktur des Menschen ... Erzählerin: Bosheit kann nicht nur süchtig machen und persönlichkeitsprägend werden. O-Ton 62: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Wer Bosheit als Laster hat in seiner Seele, der versucht, anderen Menschen ständig irgendwie zu schaden. Erzählerin: ...und Spaß daran zu haben ... O-Ton 63: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang In dem Augenblick aber, wo die Bosheit über die Stränge schlägt zu destruktiv wird, dann sind wir schon im Bereich des eigentlich Bösen. (Musik: M 14 = "Tatort"-Titelmusik Zitatorin: Es ist Nacht. Du gehst allein durch eine dunkle einsame Straße nach Hause. Hinter den Fenstern der Häuser kein Licht mehr. Du hörst Schritte hinter dir. Die Straßenlaternen verbreiten nur schwaches Licht. Du blickst dich um. Hinter dir siehst du eine Männergestalt. Sie bleibt stehen, als du dich umblickst. Du setzt deinen Weg nun schneller fort. Du wechselst die Straßenseite. Die Gestalt folgt dir. Sie holt auf. Als du dich erneut umblickst, bleibt die Gestalt wieder stehen. Zitatorin Du schreist sie an: "Was wollen Sie? Lassen sie mich in Ruhe!" Keine Antwort. Du gehst weiter. Die Gestalt auch. Die hält genau fünf Meter Abstand. Du beginnst zu rennen. Dein Verfolger auch. Zufällig fährt ein Polizeiwagen vorbei. Du schreist. Dir gelingt es den Polizeiwagen anzuhalten. Die Polizisten steigen aus. "Dieser Mann verfolgt mich ständig! Helfen Sie mir!" Die Gestalt kommt näher. "Was ist hier los?", fragen die Polizisten. Dein Verfolger schaut freundlich die Polizisten an und antwortet ruhig: "Ich weiß auch nicht. Diese Frau redet die ganze Zeit vor sich hin. Ich bin zu ihr rüber und wollte wissen, ob ich helfen kann." Die Beamten schütteln den Kopf und fordern dich auf, weiterzugehen. Sie steigen wieder in ihr Auto ein. "Sie wollen mich hier allein lassen?" Einer antwortet: "Wir haben etwas anderes zu tun als uns ihre Geschichten anzuhören." (Musik aus) O-Ton 64: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Bosheit hat auch so eine vitale, spielerische Aggressivität. Das kann auch taktisch und strategisch eingesetzt werden. Im Unterschied: Bösartig. Die Sprache ist doch ziemlich genau: Bösartig ist bösartig, ja. Erzählerin: Boshaftigkeit ist etwas anderes. Sie genügt sich nicht selbst. Sie ist Mittel zum Zweck. O-Ton 65: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Die Bosheit ist etwas, was man ganz gerne einsetzt im Konkurrenzkampf mit anderen, im beruflichen oder auch im Konkurrenzkampf um eine Frau oder beliebige Gegenstände - Zitatorin: ... um eine Frau oder beliebige "Gegenstände". Zitator 1: Tschuldigung. Zitator 2: Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit! (Musik: M 16 = Kap. Wlodek.) O-Ton 66: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Das Böse ist etwas nahezu Himmlisches oder Höllisches und hat mit unserer Welt nur insofern zu tun, als die Bosheit doch irgendwie ein Abkömmling des Bösen ist, aber der boshafte Mensch ist nicht der böse Mensch an sich. Die Bosheit ist etwas, was neben sich auch das Gute verträgt, das neben sich auch die Indifferenz verträgt, auch sogar die Heiligkeit verträgt neben sich ... Erzählerin: ...aber "Heiligkeit" nicht allzu lange. Sie provoziert, vor allem Satiriker wie Tim Wolff von der "titanic". O-Ton 67: Tim Wolff Heiligkeit und Scheinheiligkeit und die berühmte repressive Toleranz, die wir hier auch ungerne zulassen Zitatorin: Satire darf alles! O-Ton 68: Tim Wolff Wenn der Papst empfiehlt, seine Kinder zu schlagen, da sind wir dem Papst sehr dankbar, nachdem er die ganze Zeit so rebellisch, freundlich aufgetreten ist, fast wie jemand, der versehentlich in diese Rolle geschlüpft ist und jetzt Aktionskunst draus macht, jetzt so langsam zum Vorschein kommt, welch Schläger der Mann dann doch ist. Ist ganz gut für uns. Ja. Zitatorin: Satire darf alles! Zitator 2: ... konstruktiv im Einsatz für die Werte unserer westlichen Demokratie. O-Ton 69: Tim Wolff Es ist die Renitenz gegen alles, was prominent, heilig, wichtig ist, was provoziert. Zitatorin: Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit! (Musik aus) Erzählerin: ...die Aufklärer kämpften dafür. O-Ton 70: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Insofern ist der erfolgreiche Aufklärer auch ein boshafter Mensch. Erzählerin: Sie hatten die Bosheit, über gut und böse alleine entscheiden zu können und stellten ihre Vernunft respektlos über das, was von den traditionellen Autoritäten verkündet wurde. Gut und Böse ist an die Freiheit gebunden, sich für oder gegen etwas entscheiden zu können. Volle Entscheidungsfreiheit, ist aber an den Gebrauch der Vernunft gebunden. Zitator 2: Bosheit vergeistigt... Erzählerin: ... und das Böse - zumal das radikal Böse bei Immanuel Kant - entstammt nicht dem Leib und der Sinnlichkeit, wie es das sexualfeindliche Christentum fast zwei Jahrtausende verkündete, sondern der Vernunft. (Musik: M 15 = Kap. Wlodek.) Zitator 1: Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin Und leider auch Theologie ... Erzählerin: Bleiben wir bei der Philosophie! (Musik: M 2 = Kap. Wlodek.) O-Ton 71: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Bei Immanuel Kant heißt es einmal, dass die Bosheit ... reinen Vernunftursprung hat. Erzählerin: ....nicht - siehe Eva - die ebenfalls teuflische Sexualität und Sinnlichkeit. Zitator 1: Der Grund dieses Bösen kann nun nicht in der Sinnlichkeit des Menschen und den daraus entspringenden natürlichen Neigungen gesetzt werden. O-Ton 72: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Damit weist er darauf hin, dass die Bosheit nicht zu unserer Natur, zur Sinnlichkeit gehört, sondern sie gehört zum Verstand. Sie hat dort ihren Ursprung, in dem Entschluss, in dem Wollen, das jetzt so und so zu tun, .. die Bosheit ist eine reine, Vernunft gesteuerte, vom Menschen gehandhabte und damit auch dem Menschen verfügbare Dimension. Sie ist nicht über uns verhängt worden, die Bosheit, von irgendwelchen dunklen Mächten, sie ist kein Ausweis unserer teuflischen Natur. Sie ist eines der Mittel unserer vernünftigen Artikulation. Erzählerin: Der Mensch habe einen Hang zum Bösen meinte Kant, eine vernunftverursachte Neigung zur Boshaftigkeit. Zitator 2: Tugend will ermuntert sein, Bosheit kann man schon allein. Erzählerin: ...so reimt Wilhelm Busch und so denkt Immanuel Kant, weil er seine Hoffnungen auf die Aufklärung und die Vernunft setzte, die sich auch in vernünftigen Entscheidungen realisiert. Und solche vernünftigen Entscheidungen können auch boshaft sein. O-Ton 73: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Boshaftigkeit ist eine Entscheidung des Verstandes so zu sein ... Insofern ist da immer eine intellektuelle Kompetenz dabei und deshalb sind solche schnellen Sätze wie, der ist von Natur aus böse oder dem ist das Böse angeboren, das ist eine... falsche Formulierung. Bosheit hat in dem Sinne nur mit unserem Verstand zu tun. Wir sind Subjekte und Herren der Bosheit. Wir können sie steuern und wir können auch etwas gegen sie tun. Erzählerin: ...was aber nicht unbedingt gut ist. Wenn Bosheit Respektlosigkeit bedeutet gegenüber Althergebrachtem, gegenüber Dogmen und Autoritäten, dann kann sie auch Hindernisse aus dem Weg räumen. Zitator 2: Die Lust der Zerstörung ist eine schaffende Lust. O-Ton 74: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Eine Aggression, eine Zerstörungslust, die kann sich ja auch an etwas anderem erweisen als daran, einen Schaden zu stiften. Freud sagt: "Jedes .. Tun hat immer ein Element der Zerstörung." (Musik: M 2 = Kap. Wlodek.) Erzählerin: Ähnlich argumentiert der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, auf den sich auch Rüdiger Safranski bezieht. Für Schelling ist das Böse... Zitator 1: ... der gute Geist der Möglichkeit. O-Ton 75: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Man tut schon gut daran, ein Gefühl zu bekommen, dass man das Böse auch gut arbeiten lassen kann. Zitator 1: Alle Kreatur würde sich selbst überlassen zur völligen Unbeweglichkeit erstarren. Erzählerin: Das Böse schützt vor Erstarrung, so Schelling, es hält lebendig und beweglich. Zitator 1: Dieß ist die eigentliche philosophische Idee des Satan. Ohne ihn würde die Welt einschlafen, die Geschichte versumpfen. Erzählerin: Doch das Böse, was Schelling hier meint, zielt wie bei Kant wieder auf die Vernunft: Zitator 1: Das Böse ist in gewissem Betracht das reinste Geistige, denn es führt den heftigsten Krieg gegen das Seyn. Zitator 2: ... denn alles was entsteht, Ist wert, dass es zugrunde geht. Erzählerin: Immer wieder, wenn das, was entstanden ist, so stabil geworden ist, dass nichts Neues mehr zulässt und jede Abweichung eindämmt, angleicht und integriert. Zitator 2: Die Lust der Zerstörung ist eine schaffende Lust. (Musik aus) Erzählerin: Es muss ja nicht gleich die Bombe oder eine Revolte sein. Es reicht ja meistens bereits ein herzhaftes Lachen. O-Ton 76: Wiglaf Droste Ich mag ein dreckiges Lachen lieber als ein - ja ich-bin-so-ein-guter-Mensch-Lachen. ... Erzählerin: Der Satiriker Wiglaf Droste. O-Ton 77: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Dieses Gelächter ist ein Zeichen von Bosheit, muss man sagen. Zitatorin: Satire darf alles! O-Ton 78: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Bosheit, das kann auch - es ist ein bisschen zynisch, es ist ein bisschen polemisch, es ist ein bisschen satirisch - alles mögliche steckt darin. Es ist geistvoll, würde ich sagen. (Geräusch: zweimaliges Türklingeln) Zitator 2: Wie schön, dass ich Sie wieder zu Hause antreffe! O-Ton 79: Tim Wolff Nein, wir müssen uns gar nicht anstrengen, um boshaft zu sein. Die Komik ist etwas Boshaftes. Der harmloseste Kinderwitz hat ein Opfer. Zitator 1: Ich gebe mir den Anschein, als hörte ich mit großem Interesse zu, nicke, sage "ah!" und "oh!", reiße erstaunt die Augen auf und lache. O-Ton 80: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Es gibt eigentlich nur einen Humor und das ist der schwarze Humor. Alles andere ist nur Gelächter, sind nur Gesichtsgrimassen. Das richtige Lachen hat zu tun mit einer schwarzen Dimension, mit der man zu tun hat. Zitator 1: Wenn ich einen Menschen sehe, habe ich Lust, ihm eine in die Fresse zu hauen. O-Ton 81: Tim Wolff Das was als grob erscheint, liegt ja dem Gegenstand inne. Mein Vorgänger ... Erzählerin: Der Vorgänger von Tim Wolff ist der frühere Chefsatiriker von der "titanic"... O-Ton 82: Tim Wolff 13.10 Mein Vorgänger hat gesagt er glaube gar nicht, dass es harte Witze gibt, es gibt nur harte Themen. Zitator 1: Es ist so angenehm, einem Menschen in die Fresse zu hauen! O-Ton 83: Prof. Dr. Rüdiger Safranski Es drückt den Zauber der Zerstörung aus. Das heißt, dass die zerstörerischen Kräfte in der Negativität unendlich produktiver sind als die aufbauende Kraft. ... Erzählerin: Deshalb warnt Rüdiger Safranski davor - und auch Bernhard Lang: O-Ton 84: Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang Wer Bosheit übt, wer Bosheit als Laster hat in seiner Seele, der versucht, anderen Menschen ständig irgendwie zu schaden. Erzählerin: Bosheit macht nicht glücklich - meistens jedenfalls nicht, und wenn doch, dann nicht dauerhaft. Deshalb sollte man, so Steffen Dietzsch, es mit der Bosheit nicht übertreiben. O-Ton 85: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Durch die Anwendung von Bosheit ist man - so oder so - traumatisiert, denke ich mir. Das ist das Gefährliche der Bosheit. Erzählerin: ... doch manchmal müssen Traumata einfach in Kauf genommen werden, nämlich dann, wenn es darum geht, sich zu wehren gegenüber den Zumutungen von Kolleginnen, gegenüber Staat und Gesellschaft, gegenüber vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und Verhaltenszwängen, gegenüber dem, was ich denken und tun soll. O-Ton 86: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Eine der Strategien ist die Bosheit, ... - das entfaltet angesichts der gegenwärtigen Welt eine ganz neue Rettungsfunktion. Das Lachen natürlich, das sind alles Strategien, die man hat als Einzelner, um als Individuum zu bestehen, in einer Welt, die zunehmender mich einsaugt in ihre für mich gar nicht gewollten Dimension. (Musik: M 17 = Kap. Wlodek.) Zitator 1: Oder sonst: Ich biete dem Gast ein Gläschen Tee an. (Musik: M 17 = Kap. Wlodek.) (Zitator 1) Der Gast nimmt an, setzt sich zu Tisch, trinkt Tee und erzählt irgendwas. Ich gebe mir den Anschein, als hörte ich ihm mit großem Interesse zu, nicke und sage "ah!" und "oh", reiße erstaunt die Augen auf und lache. Der Gast, geschmeichelt von meiner Aufmerksamkeit, kommt mehr und mehr in Fahrt. Ich schenke seelenruhig ein Glas kochendes Wasser ein und... O-Ton 87: Prof. Dr. Steffen Dietzsch Deshalb ist die Erinnerung an die Bosheit als die Fähigkeit des Willens des Menschen - das ist ein Appell für uns, dass wir überhaupt überleben können in der gegenwärtigen Welt. Zitator 2: Bosheit will ermuntert sein, Tugend kann man schon allein. (Musik: M 17= Kap. Wlodek.) Zitator 1: ...ein Glas kochendes Wasser ein und schütte es dem Gast in die Fresse. Der Gast springt auf und fasst sich ins Gesicht. Und ich sage zu ihm: Zitator 2: Es ist keine Tugend mehr in meinem Herzen. Scheren Sie sich raus! (Musik: M 17 = Kap. Wlodek.) ABSAGE: Das Vergnügen feiner Geister. Über die Bosheit Von Rolf Cantzen. Mit Texten von Daniil Charms, Charles Baudelaire, Nikodemus Vindicus, William Shakespeare, Johann Wolfgang von Goethe, Michail Bakunin und aus der Bibel. Es sprachen: NN, NN, NN, NN Ton und Technik: NN Regie: Philippe Bruehl Redaktion: Klaus Pilger. Produktion: Deutschlandfunk 2015 (Musik) Zitator 2: Scheren Sie sich raus! 45