Das Ultimatum in Ägypten ist ohne Beispiel

Moderation: Korbinian Frenzel · 03.07.2013
In Ägypten hat die Armee Präsident Mursi und seinen Gegnern eine Frist gesetzt, um ihren Streit beizulegen. Könnte es sein, dass das Militär nicht reagiert, auch wenn das Ultimatum wirkungslos verstreichen würde? Der Historiker Holger Afflerbach kennt keine vergleichbaren Fristen, die wirkungslos verpufft wären.
Korbinian Frenzel: War es ein geschickter Schachzug, in die Krise hinein ein Ultimatum zu setzen? Kann das die verfeindeten Seiten zur Räson bringen, oder heizt das die Stimmung eher noch an? Das sind Fragen, die sich aktuell in Ägypten stellen. Die Antwort wird sich spätestens in den Geschichtsbüchern von morgen finden. Aber so ein paar Ahnungen, die können wir vielleicht aus den Geschichtsbüchern unserer Zeit holen. Einer, der sie nicht nur liest, sondern auch selber schreibt, ist der Historiker Holger Afflerbach, Professor an der Universität von Leeds, jetzt am Telefon, und zwar in München. Guten Morgen, Herr Afflerbach!

Holger Afflerbach: Guten Morgen, Herr Frenzel.

Frenzel: Die Pistole auf der Brust, das Ultimatum, ist das beim Blick zurück in die Geschichte eher eine gute Idee, um Krisen und Konflikte zu beruhigen, oder eine schlechte?

Afflerbach: Ich selbst würde sagen, es ist eher eine schlechte, wobei gelegentlich funktionierte das ja sogar. Also das berühmteste Beispiel, wo das funktioniert hat, ist die Kuba-Krise. Aber normalerweise hat so etwas buchstäblich zurückgefeuert, und da könnten wir ja auf die Juli-Krise 1914 schauen. Da hat ja ein Ultimatum zum Ersten Weltkrieg geführt.

Frenzel: Woran lag das, dass dieses Ultimatum zu einem Weltkrieg geführt hat, das andere den Dritten Weltkrieg verhindert hat, damals die Kuba-Krise? Da war es ja wirklich Spitz auf Knopf und dann haben die Sowjets im letzten Moment entschieden abzudrehen. Aber beim Blick auf den Ersten Weltkrieg, da konnte man ja fast den Eindruck haben, wenn ich mich richtig erinnere mit Blick auf den Geschichtsunterricht, das war ein Ultimatum, das gezielt gestellt wurde mit dem Ziel eigentlich, dass es gar nicht eingehalten wird, oder?

Afflerbach: Vielleicht hat die Kuba-Krise nicht zum Weltkrieg geführt, weil es vorher den Ersten Weltkrieg gegeben hat. Präsident Kennedy hat während der Kuba-Krise seine Mitarbeiter ausdrücklich an den Ersten Weltkrieg erinnert und vor allen Dingen an das Geschichtsbuch von Barbara Tuchman, "Guns of August". Er hat also an die Abläufe der Juli-Krise 1914 erinnert. Es ist natürlich jetzt kurios, dass er dann trotzdem ein Ultimatum gestellt hat. Der Held der Kuba-Krise wäre dann allerdings natürlich Chruschtschow, der hat ja nachgegeben.

Frenzel: Ultimatum – der Begriff sagt es ja schon: Das ist das Äußerste, die letzte Option. Das heißt ja auch, taktisch war das dann immer der letzte Schachzug. Andere Optionen hat man damit ausgeschlossen. Ist das dann eigentlich überhaupt noch ein souveräner Akt, oder ist das schon der Bereich des nicht souveränen?

Afflerbach: Wenn man ein Ultimatum stellt, das ist ja: Man drückt jemand anderem die Pistole auf die Brust. Deshalb müssen normalerweise zwei Sachen gewährleistet sein: die Pistole ist geladen und man ist auch bereit abzufeuern. Wenn man ein Ultimatum stellt, der andere kommt dem Ultimatum nicht nach und man macht dann gar nichts, dann ist man natürlich hinterher total blamiert. Das ist auch tatsächlich ja niemals vorgekommen. Es hat eine ganze Reihe von Ultimaten gegeben und manchmal wollten die Staaten, die ein Ultimatum stellen, gar nicht, dass das Ultimatum erfüllt wird, oder glaubten nicht, dass das erfüllt wird. Dann sind sie aber jeweils weitergegangen und haben halt dann das gemacht, was sie machen wollten. Beispiel Italien: Italien hat 1911 dem osmanischen Reich ein Ultimatum gestellt und sie wollten Libyen haben. Da haben die Italiener keine Sekunde geglaubt, dass das Ultimatum erfüllt wird, und dann kam es halt zum Krieg um Libyen. Oder das Ultimatum, das die Amerikaner Saddam Hussein gestellt haben, dass er innerhalb von 48 Stunden den Irak verlassen sollte. Da haben die Amerikaner wahrscheinlich auch nicht geglaubt, dass er das machen wird. Dann waren sie aber auch bereit, einen Krieg zu führen.

Frenzel: Wahrscheinlich, weil sie den ja ziemlich so wollten, wie er dann kam. – Nehmen wir mal das aktuelle …

Afflerbach: Oder sagen wir es mal anders. Wenn ein Wunder geschieht und Saddam geht dann doch, das wäre den Amerikanern ja sehr recht gewesen. Dann hätten sie ja das erreicht, was sie erreichen wollten, und hätten keinen Krieg führen müssen. Aber sie haben im Ernst nicht glauben können, dass er das wirklich macht.

Frenzel: Nehmen wir mal das aktuelle Ultimatum, das ist ja keins zwischen Staaten, sondern eins, das mitten durch das eigene Land, das eigene Volk, geht. Gibt es da auch historische Vorbilder?

Afflerbach: Das ist nun eine sehr interessante Frage, die Sie stellen, weil ich habe darüber nachgedacht, ob es innenpolitische Ultimaten wie das jetzt in Ägypten vorher schon gegeben hat, und mir ist kein Beispiel dafür eingefallen. Weil normalerweise gibt es innerhalb eines Staates ja irgendwelche Prozeduren und Mechanismen, die solche Streitfragen dann beseitigen, und da stellen sich nicht irgendwelche Organisationen des Staates gegenseitig Ultimaten. Wenn es zu einer solchen Machtprobe in der Vergangenheit gekommen ist – das hat es natürlich sehr oft gegeben –, ist es ja meistens zum Putsch gekommen. Also das, was jetzt in Ägypten läuft, wird ja auch von vielen Leuten mit einem Putsch verglichen, oder mit der Ankündigung eines Putsches, das man vielleicht vorher mit einem Ultimatum verbindet, damit man den Gegner, der ja immerhin ein demokratisch gewählter Präsident ist, ins Unrecht setzt. Wahrscheinlich ist dieses Ultimatum, wenn wir es jetzt mal in den Geschichtsbüchern sehen in 50 Jahren von heute, es ist ein Novum und wenn die Militärs jetzt zum Handeln schreiten, dann ist es ein Putsch.

Frenzel: Dann schreiben wir diese Geschichtsbücher in Bälde. Ultimaten – sind sie das reinigende Gewitter, oder treiben sie Krisen endgültig auf die Spitze? Ich sprach darüber mit dem Historiker Holger Afflerbach, Professor an der Universität von Leeds. Vielen Dank für das Gespräch.

Afflerbach: Vielen Dank, Herr Frenzel.

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