"Das soziale Herz der Niederlande"

30.04.2013
Das niederländische Königshaus ist nach Überzeugung des Historikers Coos Huijsen das Gesicht und soziale Herz des Landes. Königin Beatrix habe sich stets benommen wie eine "wirkliche Mutter". Von ihrem Nachfolger Willem-Alexander erwartet er jedoch einen entspannteren Stil.
Dieter Kassel: Für die Presse, vor allem natürlich die Boulevardpresse auf der ganzen Welt ist der Thronwechsel in den Niederlanden heute ein großes Ereignis. Königin Beatrix wird nach 33 Jahren im Amt wieder zur Prinzessin und ihr Sohn Willem-Alexander wird zum König der Niederlande.

Aber was bedeutet das jenseits des Boulevards, was bedeutet die Monarchie für die niederländische Gesellschaft? Darüber wollen wir mit Coos Huijsen sprechen, der Historiker hat erst im vergangenen Jahr über die Niederlande und die Geschichte von Oranien promoviert. Aber wenn man jetzt denkt, dann ist er vielleicht noch ganz jung, dann darf ich ganz unverschämt verraten: Nee, nicht so ganz, er ist 74 Jahre alt, das heißt, das ist jetzt auch nicht der erste Thronwechsel, den er erlebt. Er ist für uns in Amsterdam ins Studio gegangen, schönen guten Tag, Herr Huijsen!

Coos Huijsen: Guten Tag!

Kassel: Welche Bedeutung hat denn die Monarchie, die Frage, wer gerade König ist, für die niederländische Identität?

Huijsen: Für die Identität - das ist keine Machtsache. Aber die Königin, das Königshaus gibt das Gesicht der Niederlande und das soziale Herz der Niederlande.

Kassel: Wenn man dann aber gerade an eine Frau wie Königin Beatrix denkt, Sie haben gesagt, das Herz der Niederlande, war diese Frau das Herz der Niederlande?

Huijsen: Ja, das Herz, das heißt der Mittelpunkt. Wenn etwas zu feiern ist in Holland, das kann sein, dass man froh ist, dass etwas geschehen ist, oder es ist Trauer, dann ist es immer die Königin, die da ist. Und dann hat Beatrix sich immer benommen wie eine wirkliche Mutter.

Kassel: Nun ist es gerade für Deutsche, finde ich, vielleicht auch für andere manchmal schwer zu verstehen: Für uns sind die Niederlande eines der modernsten Länder Europas, vielleicht eines der modernsten der Welt, was gesellschaftliche Entwicklungen angeht, und gleichzeitig scheint aber doch die Monarchie für viele Niederländer so wichtig zu sein. Wie passt das zusammen?

Huijsen: Ja, das hat zwei Seiten. Erstens denke ich, alle europäischen Länder sind moderne Demokratien. Aber man kann sagen, wie Weber sagte, die Entzauberung der Gesellschaft macht es nötig, dass es auch etwas Irrationales gibt. Ich glaube, auch moderne Gesellschaften brauchen den anderen Aspekt, einerseits, und andererseits soll man nicht vergessen, dass das Oranje-Haus eine sehr besondere Abstammung hat. Das kommt von Wilhelm von Oranien, der Holland leitete gegen die Spanier, die eine absolute Monarchie wollten, er hat also die Gedanken von Freiheit und Toleranz verteidigt. Und das ist auch immer verbunden mit dieser Familie. Also, die Freiheit der Niederlande, die Toleranz, die man verteidigen soll. Also, das hat auch eine Mission.

Kassel: Aber wenn Sie gerade von Toleranz und von Freiheit reden: Die Niederlande sind zum Beispiel ein Land, in dem es schon eine sehr, sehr weitgehende Gleichstellung von Homosexualität und Heterosexualität gibt, Sie selber sind homosexuell, haben das in Ihrem Leben auch immer wieder zum Thema gemacht in verschiedenen Phasen. Ist das zum Beispiel etwas gewesen, was Königin Beatrix direkt oder indirekt je thematisiert hat?

Huijsen: Sie hat das nicht thematisiert, ich habe das auch in einem Interview gesagt, dass, wenn man die guten Sachen der Königin nennt, soll man auch sagen, was hätte besser sein können. Aber sie hat Freunde, die homosexuell sind, sie hat immer Kontakte gehabt, Freundschaft mit Leuten, Arbeit gemacht mit Leuten, die homosexuell waren, das war nicht das Problem. Aber sie hat es nicht als Thema entdeckt. Zum Beispiel Prinzessin Máxima war zum ersten Mal beim COC, das ist die Organisation, die die Belange und Interessen der Homosexuellen verteidigt, und das hat die Königin nicht gemacht. Sie hat wohl gesagt, dass sie Sympathie hat, aber sie war nie selber da.

Kassel: Inwieweit hält denn ein Königshaus, ob nun unter Beatrix, ob unter ihrem Sohn, ein Land wie die Niederlande auch zusammen, hält die Gesellschaft zusammen? Denn die Niederlande sind ein Einwanderungsland – übrigens, bevor wir so exotisch denken, die zweitgrößte Einwanderergruppe in den Niederlanden sind die Deutschen, aber es gibt natürlich …

Huijsen: Ja eben, das 17. Jahrhundert schon, ja, ja!

Kassel: Ja, eben! Aber es gibt natürlich viele Menschen aus arabischen Ländern, auch wegen der Kolonialgeschichte Menschen aus Indonesien oder aus der Karibik, und wir wissen inzwischen, seien wir ehrlich, dass das mit der Multikulturalität auch in den Niederlanden inzwischen nicht mehr immer so ganz gut läuft, auch da gibt es ja Islamophobie und andere Dinge. Hat da das Königshaus auch die Rolle, die Gesellschaft zusammenzuhalten?

Huijsen: Ich denke wohl. Und die Königin hat das auch versucht, sie hat immer beeindruckt, dass Toleranz wichtig ist, die Sympathie für andere Leute, dass das wirklich wichtig ist, das hat sie betont. Man kann sagen, Herr Wilders hat gesagt, man kann Leute hereinlassen, das ist gut, aber wenn es zu viele gibt, dann kann man sie nicht empfangen, dann hat man nicht Schulen, die dafür gut sind, dann hat man nicht genug Häuser. Also, man kann auch Probleme machen, wenn man zu viele Leute hereinlässt. Und das hat eine Diskussion gegeben und er sagt, die Königin hat zu leicht gesagt, man soll tolerant sein. Also, das ist ein bisschen die Diskussion und die Königin betont, dass die Toleranz in Holland eine Tradition von Jahrhunderten ist und dass man das nicht vergessen soll!

Kassel: Haben Sie das Gefühl, Herr Huijsen, dass Menschen in den Niederlanden, egal ob sie nun die niederländische Staatsbürgerschaft haben oder nicht, die, sagen wir mal, aus Marokko kommen, aus Indonesien kommen, aus dem ehemaligen Jugoslawien, dass auch die Beatrix als ihre Königin empfinden?

Huijsen: Ja, ich glaube es wohl. Man hat heute eine Forschung, die Popularität … Zum Beispiel viele Marokkaner sagen explizit, und in den Moscheen hat man auch gesprochen vom Abdanken von Beatrix, und man hat gesagt, man soll dieser Königin danken!

Kassel: Wir reden hier heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit dem niederländischen Historiker Coos Huijsen über die Monarchie in den Niederlanden, weil heute nun der große – so nennt man das auch in den Niederlanden – Troonwisseling, der Thronwechsel stattfindet. Und da habe ich den Eindruck, Herr Huijsen, das ist natürlich einerseits – das will man ja auch von so einer Monarchie – mit viel bunten Bildern und einem gewissen Pomp verbunden, aber auch nicht zu viel! Das wird ja auch offiziell nicht Krönung genannt, weil die Krone da auch nicht auf den Kopf gesetzt wird. Ist das auch so etwas Niederländisches, dass man auch bei so einer Zeremonie sagt, ja schon, aber es ist eine Republik, wir brauchen Grenzen?

Huijsen: Ja, Sie haben genau gesagt, worum es sich handelt. Denn 200 Jahre war Holland, die Niederlande eine Republik, da haben die Prinzen von Oranien wichtige Funktionen gehabt, aber es war eine Republik. Vor 200 Jahren ist es eine Monarchie geworden, aber es ist immer eine republikanische Monarchie geblieben. Also: König, Majestät, aber vergiss nicht, wir alle sind Bürger. Und auch der König soll das nicht vergessen. Also, der König soll ein bisschen bescheiden bleiben, das ist wichtig. Und wir feiern den Thronwechsel, das ist auch wichtig, ein Präsident bleibt vier oder acht Jahre, aber eine Königin bleibt normalerweise eine Generation. Sie sehen wohl ein bisschen auch hier die Funktion nicht nur in der Monarchie, denn es ist hier die Tradition, dass nach einer Generation, 30 Jahre ungefähr, ein Thronwechsel stattfindet. Also nicht, wie die Königin, man hat Gott versprochen, immer bis zum Tod zu bleiben, nein, nach 30 Jahren denkt die Königin, 33, das ist genug! Und dann kommt Willem-Alexander.

Kassel: Wird Willem-Alexander grundsätzlich was ändern, einen neuen Stil hineinbringen? Erinnern wir uns an das Jahr 1980, als Beatrix auf den Thron kam, da hat sie zum Beispiel diese offizielle Anrede "Eure Majestät" wieder eingeführt, die war zwischendurch nicht mehr so üblich. Er hat nun gesagt, nennt mich, wie ihr wollt. Ist das eine Kleinigkeit oder drückt das schon viel aus?

Huijsen: Das ist sehr merkwürdig. Eigentlich hat er erfahren, was seiner Mutter überkommen ist. Ich habe mit der Königin hierüber gesprochen und sie sagt, nein, das habe ich nie gesagt, aber ein Adjutant wird gefragt, wie nennt man die Königin, er hat gesagt, man nennt Königin Beatrix Majestät. Und seitdem sagt man immer, die Königin will, dass sie Majestät genannt wird. Aber sie hat das nicht gesagt. Er hat das erfahren, und deshalb hat er mehr betont, dass es frei ist. Aber ich denke, dass er, was den Charakter anbelangt, einen etwas nonchalanteren Charakter hat als die Beatrix, die natürlich auch sehr perfektionistisch war.

Also, wenn Sie von Stil sprechen, dann hoffe ich, dass er dasselbe Professionelle behält wie Beatrix, aber dass er ein bisschen mehr Entspannung hat. Denn ich glaube, dass Beatrix auch ein bisschen zu gespannt war. Ich habe das vorige Buch, da habe ich gedacht, wie soll der Titel werden? Der Titel wurde letztendlich: "Beatrix. Die Krone auf der Republik", aber ich habe gedacht: Ja, vielleicht "Majestät mit Schadenangst" … - Faalangst, wat is faalangst? – Angst, Fehler zu machen! "Majestät, aber mit Angst, Fehler zu machen!" Und das fand ich nicht so sympathisch, also habe ich gesagt, nein, sie ist in den Niederlanden die Krone auf der Republik, das wird der Titel!

Kassel: Die Krone auf der Republik gibt die Krone gewissermaßen heute ab, Königin Beatrix wird schon in einer knappen Stunde nur noch Prinzessin sein und ihr Sohn Willem-Alexander wird dann der neue König der Niederlande. Wir sprachen über die Bedeutung der Monarchie in unserem Nachbarland mit dem Historiker Coos Huijsen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Huijsen!

Huijsen: Okay, graag gedaan!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Königin Beatrix hat kurz vor ihrem 75. Geburtstag ihre Abdankung angekündigt
Königin Beatrix hat kurz vor ihrem 75. Geburtstag ihre Abdankung angekündigt© picture alliance / dpa / Stephen Morrison
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