"Das Schreiben kann ich immer machen"

Rocko Schamoni im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.01.2011
Er war Sänger, Entertainer oder Schauspieler mit einem schrägen Projekt nach dem anderen. Inzwischen schreibt Rocko Schamoni Bücher und schätzt diese "dunkle, einsame Arbeit". Schon morgens um halb fünf findet man ihm am Laptop.
Joachim Scholl: Alle kennen wir den Tag der offenen Tür. Was aber ist ein Tag der geschlossenen Tür? Diese Frage wollen wir jetzt klären mit Rocko Schamoni, der seinen neuen Roman ebenso getauft hat: "Tag der geschlossenen Tür". In diesen Tagen erscheint das Werk auf dem Markt, und wir sind jetzt in Hamburg mit dem Autor verbunden. Guten Tag, Herr Schamoni!

Rocko Schamoni: Guten Tag!

Scholl: Was verbirgt sich also hinter dieser geschlossenen Tür?

Schamoni: Na ja, also Sie kennen ja die Formulierung "Tag der offenen Tür". Persönlich kenne ich die am besten von der Bundeswehrkaserne aus dem kleinen Ort an der Ostsee, aus dem ich komme. Einmal im Jahr wurde dort also eine Art von Offenheit zelebriert, die dem Bürger den Eindruck vermitteln sollte, dass jeder da also quasi reinschauen kann und begreifen kann, wie das System von innen funktioniert – was natürlich nicht stimmte. Mein Hauptprotagonist funktioniert nach genau dem umgekehrten Prinzip, der hat eigentlich jeden Tag und immer Tag der geschlossenen Tür, da muss überhaupt niemand reinschauen.

Scholl: Wir begegnen diesem Altbekannten wieder, Michael Sonntag, so heißt der Held, und er war es schon 2007 im Roman "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit". War es mal wieder Zeit, nach ihm zu sehen?

Schamoni: Sagen wir mal so, also diese Figur ist noch nicht abgenutzt genug gewesen, als dass ich sie in den Schrank hätte schicken können. Oder mit anderen Worten: Ich habe darin einen idealen Partner in der Literatur gefunden, den ich überall hinschicken kann, wo ich selber nicht hingehen kann.

Scholl: Apropos hinschicken: "Überquere einen großen Platz in deiner Stadt und scheitere daran", heißt es gleich am Anfang. Und damit ist dieser, ja, Michael Sonntag schon ziemlich gut charakterisiert. So ein Aussteiger, ein Verweigerer, ein Lebenskünstler, ein Loser, der dezidiert einer sein will, eine kleine Erbschaft von der Oma enthebt ihn der Fron des Broterwerbs. Was hat Michael Sonntag denn gegen diese Welt, dass er sich ihr so verweigert?

Schamoni: Also er hat eigentlich gar nichts gegen diese Welt als ganzes und als solches, sondern eher etwas gegen die Funktionalismen von Gesellschaft und gegen die Prinzipien, wie man in der Gesellschaft, im Ranking einer Gesellschaft funktioniert. Das funktioniert meistens nach Maßstäben von Erfolg, wie viel Geld man einnimmt, wie viel Geld man wieder abwirft, wo man sich also die Position in der Gesellschaft ergattert, welche Machtpositionen man dort einnimmt, und er verweigert sich halt all diesen Hierarchien und diesen Erfolgsprinzipien, weil das für seine Art von Leben und Weltanschauung unbedeutsam ist.

Scholl: Wie viel Rocko Schamoni steckt denn in Michael Sonntag?

Schamoni: Also ich glaube, dass bei jedem Schriftsteller immer ganz viel von seiner Weltanschauung und von seinem Selbst in seinem Hauptdarsteller oder manchmal Nebendarstellern steckt. Und so ist es auch bei mir so, dass ich also ganz viel von dem, was ich beobachte, in dem Buch durch die Augen meines Hauptprotagonisten sehen kann und so auch formulieren lassen kann.

Scholl: Der Held wird zusehends älter und er fühlt sich auch so. Geht es Ihnen auch so, dass man … ja, Sie sind Jahrgang 1966, merken Sie so diesen Prozess, den Sie an Ihrem Helden schildern, auch selber?

Schamoni: Ja, sonst könnte ich nicht drüber schreiben. Also ich versuche natürlich in dem Buch und in meinen Büchern auch immer das aufzugreifen, was ich selber feststelle, und wenn dann langsam anfängt, also quasi das Zulaufen auf den Tod, wie es im professionellen Jargon heißt, also körperlich feststellbar zu werden, dann nimmt das Nachdenken darüber und das Abarbeiten daran auch gleichzeitig zu.

Scholl: Ja, viel arbeiten tut Michael Sonntag ja nicht so. Also er registriert es, aber dann ist auch gut.

Schamoni: Ja, weil er sich quasi nicht in eine Zweckmaschine verwandeln will. Er möchte auch nicht abhängig sein, er möchte weder von Hartz IV noch von seinen Eltern leben, sondern er möchte also quasi auf bescheidenstem Niveau mit kleinen Mitteln so viel einnehmen, dass er da gerade von leben kann, und er möchte aber nicht zurückführen, sondern einfach so quasi wie so ein Apfel in seiner eigenen kleinen Ecke verschrumpeln, bis er verschwunden ist.

Scholl: Ihr Held lebt, wie Sie, in Hamburg. Nun ist schon auffällig, wie sehr er die Stadtentwicklung kritisiert. Also es passt ihm alles nicht, wie schick die Viertel werden, wie die Kieze sich verändern, gentrifizieren heißt es. Haben Sie ein sozialkritisches Buch geschrieben, Herr Schamoni?

Schamoni: Also ich habe nur aus meiner Beobachtung heraus das mit einfließen lassen, was in dieser Stadt wirklich in den letzten 15 Jahren immer anstrengender geworden ist, eine Stadt, die sich komplett verändert und die mit der Stadt, in die ich damals gezogen bin, nur noch wenig zu tun hat.

Ich interessiere mich sehr stark für die Geschichte von Städten, speziell natürlich von dieser Stadt, in der ich lebe.Und die Veränderungsschritte sind gerade in den letzten 20 Jahren so immens, dass man … also mit einem Tempo, mit einer rabiaten Kraft durchgeführt worden, dass man davor eigentlich nur ängstlich zurückschrecken kann. Und es schien mir der geeignete Platz, in meinem Buch darüber zu berichten. Denn man wird davon in 20 Jahren nichts mehr wissen, wie das gewesen ist, und in der Literatur und in der Malerei oder in der Fotografie kann man das dann ganz gut festhalten.

Scholl: Der Schriftsteller Rocko Schamoni hier im Deutschlandradio Kultur, sein neuester Roman erscheint diese Woche, "Tag der geschlossenen Tür". Sie sind, ich habe es schon erwähnt, Jahrgang 1966, Herr Schamoni, und seit 30 Jahren auf vielen künstlerischen Wegen aktiv, angefangen als Punkrocker, dann Sänger von schrägen Schlagern, Filmemacher, Schauspieler, Performer, jetzt vornehmlich Schriftsteller – eine klassische Entwicklung hin zum seriösen Fach, könnte man sagen. Wie sehen Sie das?

Schamoni: Na ja, also ich habe mich dafür nicht bewusst entschieden, sondern ehrlich gesagt ist die Schriftstellerei die Kunst, die man mit den einfachsten Mitteln vollziehen kann. Das heißt, man braucht tatsächlich wirklich nur ein Stück Papier und einen Bleistift, in meinem Fall ist das jetzt einen Computer, den ich benutze, und ansonsten eigentlich gar nichts. Ich finde die Arbeit in der Musik mit vielen Leuten zusammen eigentlich viel beglückender, sich auszutauschen, unsprachlich über Noten und Töne, aber das ist sehr, sehr aufwändig und sehr schwierig. Und ich habe über die Jahre festgestellt, dass der Kraftaufwand so immens ist, dass ich das nicht immer machen kann. Und das Schreiben kann ich immer machen, jederzeit, egal wo ich bin. Deswegen ist das also quasi der bevorzugte Ausdrucksbereich, in dem ich gerade bin.

Scholl: Ich meine, die frühere Kunst war ja bei Ihnen immer öffentlich, also auf der Bühne, vor Publikum, Sie sagten selber ja, wie beglückend es ist. Und der Autor allein mit dem leeren Blatt, ich meine, das ist doch schon wirklich dunkle, einsame Arbeit.

Schamoni: Richtig, es ist dunkle, einsame Arbeit, es hat den einzigen Vorteil, dass man aufgrund dieser Dunkelheit und der Einsamkeit sich enorm konzentrieren kann und zurücknehmen kann. Mir passiert es häufig, dass ich morgens früh um halb fünf oder so aufstehe und anfange zu schreiben, da gibt es niemanden, der wach ist, und dann habe ich die Zeit und die Kraft, etwas so lange zu durchdringen, bis ich Worte dafür gefunden habe, die ich so noch nicht gedacht habe und meine, auch so noch nicht gehört zu haben. Und das ist das Schöne daran.

Scholl: Sie haben einmal in einem Interview gesagt, als man Sie nach dem Sinn Ihrer künstlerischen Arbeit fragte: Ich suche nach Sinnauflösung, ich möchte, dass Sinn aufhört. Diesen Satz hatte ich immer so im Kopf, als ich jetzt das Buch las. Ist Michael Sonntag der Protagonist für diese Philosophie, oder hat sie sich inzwischen geändert?

Schamoni: Na ja, also nach Sinn suchen macht, glaube ich, vergleichsweise wenig Sinn. Und ich halte mich da eigentlich eher künstlerisch an meinen Vorbildern des Dadaismus und des Surrealismus fest. Sicherlich gibt es auch in diesen Künsten verschiedene Formen von Sinn, die angewendet werden können. Aber letztendlich geht es nicht darum, quasi in erster Linie einen begreifbaren Sinn zu transportieren oder zu vermitteln. Und das finde ich, das ist auch nicht das, wonach ich in der Kunst suche. Deswegen gehört auch die … sind auch ein paar der besten Filme, die ich kenne, die von Luis Bunuel, da wird man vergeblich nach einem Sinn suchen, da wird man immer wieder einen Sinn ahnen, aber man wird ihn nie konkret zu fassen bekommen.

Scholl: Jetzt als Schriftsteller stehen Sie auch im Fokus traditioneller Literaturkritik, kann man sagen. Unser Kritiker hier im Deutschlandradio Kultur, der hat Ihren Stil analysiert, die Eleganz gelobt, des neuen Buches jetzt, und Sie als ein Prachtexemplar modernen literarischen Hanseatentums bezeichnet. Freut Sie so was, oder ärgert Sie es eher?

Schamoni: Nein, ich habe die Kritik gelesen und habe mich natürlich ehrlich gesagt darüber gefreut, denn das waren ja alles sehr positive Worte und auch Bezeichnungen, die man sich gerne mal gefallen lässt. Abgesehen davon ist ja auch zum Beispiel so jemand wie Thomas Bernhard, der die Städte und die Gegenden, aus denen er kam in Österreich, nun nachweislich gehasst hat, ein totaler Hamburg-Fan gewesen, und bei seinem Verlag hier in Hamburg quasi schon fast literarischer Hanseat geworden. Ich weiß nicht, in welcher Tradition Ihr Kritiker mich dort sieht, aber in der Tradition von Literaturkritik, die ich dort sehe, reihe ich mich da gerne ein.

Scholl: "Risiko des Ruhms" hieß Ihr allererstes Buch, Herr Schamoni, zehn Jahre ist es her. Inzwischen kann man Sie mit Fug als Bestsellerautor bezeichnen, also "Dorfpunks" hat sich über 100.000 Mal verkauft, wenn es stimmt, und Ihr Verlag geht beim neuen Roman auch gleich mit 50.000 an den Start, eine große Lesetournee ist annonciert. Wie riskant ist denn solcherlei Ruhm für Sie?

Schamoni: Also das monitäre Risiko ist mir dabei vollkommen egal, denn das Risiko ist der Verlag eingegangen, und alles andere und jede Form von Risiko, die sonst dabei ist, die nehme ich bereitwillig auf mich, denn es ist ein Versuch, das Thema anzugehen. Die Auflagenhöhe am Anfang ist mir persönlich auch ehrlich gesagt schnuppe, wenn der Verlag glaubt, dass er 50.000 am Anfang losschlagen kann, freut mich das. Das hat wenig Einfluss auf das, was ich da später bei den Tourneen erlebe. Und wenn neue Bücher rauskommen, zumindest bei mir, sind meistens die Hallen ganz gut gefüllt, und darauf freue ich mich jetzt gerade.

Scholl: Na ja, ich meinte eher mal so der Ruhm als Gefühl. Ich meine, als Schriftsteller sind Sie jetzt richtig berühmt geworden und nicht nur mehr die eingeschworene Rocko-Schamoni-Gemeinde von früher, sondern Hunderttausende von Lesern, das ist ja schon ein anderes Stück Brot, oder?

Schamoni: Ja, dazu muss ich aber sagen, dass also der Begriff Risiko des Ruhms eine sinnfreie Wortschöpfung meines Lektors Marcel Hartges gewesen ist. Ich wüsste also nicht, worin das Risiko jetzt bestehen könnte, außer dass ich jetzt in einen Bereich reinlappe, den man normalerweise als Mainstream bezeichnet und gegen den ich mich jahrelang gewehrt habe. Wenn das also das Risiko des Ruhms sein sollte, das ich gerade eingegangen bin, dann will ich mich dagegen gerade nicht wehren.

Scholl: Die Lesereise beginnt übrigens nächste Woche schon, am 12. Januar in Bremen, und führt dann quer durch die Republik. "Tag der geschlossenen Tür" von Rocko Schamoni ist soeben im Pieper Verlag erschienen mit 256 Seiten zum Preis von 16,95 Euro. Alles Gute, Herr Schamoni, und besten Dank für das Gespräch!

Schamoni: Ich danke Ihnen auch!