Das Schicksal des SC Oberstüter

Erst stirbt das Dorf, dann der Verein

Die Erinnerung greifbar, die Zukunft ungewiss: im Vereinshaus des SC Oberstüter
Die Erinnerung greifbar, die Zukunft ungewiss: im Vereinshaus des SC Oberstüter © Deutsch
Von Heinz Schindler · 23.10.2016
Wenn im Dorf die Kinder weggezogen sind und die Enkel nach ein paar Jahren auch nur zu Besuch kommen, ist keiner mehr da, der Fußball spielen will. Im Hattinger Hügelland kämpft der SC Oberstüter damit, dass der Opa der einzige ist, der dem Ortsverein die Treue hält.
Tief im Süden des Ruhrgebietes, im zersiedelten Hattinger Hügelland liegt in einer Senke der Aschenplatz des SC Oberstüter, von Grün umgeben, idyllisch. Doch diese Idylle bedeutet auch eine ungewollte Einsamkeit, weiß der Geschäftsführer des SC Oberstüter, Thomas Kattenstein: "Also ich kann mich noch an Zeiten erinnern in den Siebzigern, als ich noch Kind war. Da war hier regelmäßig Sonntag sehr viel los auf dem Sportplatz. Da waren hundert Zuschauer und mehr – für einen Kreisligaverein in unserer Lage durchaus positiv. Viele Bürger aus dem Ort waren hier, viel Interesse war da. Spieler waren über Jahre im Verein, haben sich nicht bei der ersten Kleinigkeit abgemeldet.
Und Kattenstein betont: "Der Fußball war damals die Nummer Eins und ich glaube auch generell, die Einstellung von Spielern war damals noch 'ne andere." Denn viele kannten sich von der Arbeit auf der kleinen Zeche im Ort. Nach ihr benannt wurde der Verein 1954 als SC Petrus-Segen gegründet. Und nicht nur er, erinnert sich Klaus Jost, einer der alteingesessenen Oberstüteraner: "Das ging bei der freiwilligen Feuerwehr denn los, unser Verein, der Männergesangverein Eintracht Oberstüter, war natürlich auch sehr stark vertreten. Und die anderen Vereine: dazu gehörte der Knappenverein, da gab's den Taubenverein, da gab's den Kaninchenzuchtverein, Rassegeflügelverein. Jeder hatte seine Interessen und jeder konnte seine Interessen auch in Gemeinsamkeit vertreten."

Von Generation zu Generation zu Generation, aber nun?

Klaus Jost war Vorsitzender des Männergesangsvereins wie vor ihm schon sein Vater und sein Großvater. Und er löste den Verein schweren Herzens nach 133 Jahren auf. "Mit siebzehn Sängern kann man einen Chorleiter heute nicht mehr finanzieren. Das ist das Problem. Und deswegen haben wir dann gesagt, wir schließen die Vereinsbücher und haben alles, was den Chor anging, ins Stadtarchiv nach Hattingen gegeben."

Ein Gemeinschaftsgefühl ist im Dorf mit seinen 250 Einwohnern noch vorhanden, das breit gefächerte rege Vereinsleben aber ist Geschichte. Was einerseits an den veränderten Gewohnheiten liegt – viele arbeiten in den umliegenden Städten –, aber auch an der Struktur des Ortes. "Einen richtigen Ortsmittelpunkt gibt es in dem Sinne nicht. Wenn es einen Mittelpunkt im Ort gibt, dann würde ich schon sagen, ist das hier oben mit dem Sportverein und ein Stück weiter die Straße runter, wo jetzt noch der Löschzug ist, freiwillige Feuerwehr und das Bürgerzentrum", so Ortsbürgermeisterin Ulrike Brauksiepe.


Die freiwillige Feuerwehr wird bald wegziehen. Schule, Kaufmann, Kneipe gibt es nicht und über die Einstellung des sonntäglichen Busverkehrs wird bereits nachgedacht. Der SC Oberstüter hat seit mehr als zwanzig Jahren keinen Nachwuchs mehr, jetzt hat Vorsitzender Andreas Scheibe die letzte Seniorenmannschaft abgemeldet: "Wir haben schon zum Anfang der letzten Saison die zweite Mannschaft abgemeldet in der Hoffnung, dass dann Spieler über bleiben, die in der Ersten aushelfen können, die auch schon knapp war. Aber das ist leider nicht so gekommen, es war dann gar keiner mehr da von der zweiten Mannschaft. Und so mussten eben immer noch wieder Altherren- Spieler in der ersten Mannschaft aushelfen und das macht auf Dauer keinen Spaß."

Idyllisch und verlassen: der Sportplatz "Bergeshöhe" des SC Oberstüter.
Idyllisch und verlassen: der Sportplatz "Bergeshöhe" des SC Oberstüter.© Deutschlandradio / Heinz Schindler

Nur die alten Herren spielen noch - aber in keiner Liga

Nur die alten Herren spielen im SC Oberstüter noch Fußball. Im Vereinsheim dokumentieren Pokale und gerahmte Zeitungsartikel, die kleinen Erfolge früherer Tage. Mit dem Verein in einer Gastgeberrolle sieht Ortsbürgermeisterin Brauksiepe für den Ort Oberstüter durchaus eine Zukunft: "Doch, das Dorf hat auf jeden Fall noch eine Perspektive und ich hoffe, dass der Verein als Verein auch weiterhin bestehen bleibt, dass wir diese Anlage hier erhalten können und dass die Stadt uns weiterhin auch behilflich ist mit Zuschüssen, damit dieser Ortsteil nicht stirbt, sondern ein Zusammenleben weiter hier möglich ist."

Das Überleben des SC Oberstüter als Fußballverein wäre damit noch lange nicht gesichert. Aus der Ü40 wird irgendwann die Ü50 – und dann? Andreas Scheibe sieht den kontrollierten Niedergang auf Raten: "Die Vereine kämpfen alle mit ihren Problemen und viele haben uns ja auch schon ein Ende vorhergesagt. Aber jetzt ist es halt so."

Im Gespräch dazu im "Nachspiel": Martin Schweer, Prof für pädagogische Psychologie an der Uni Vechta, über das Vereinssterben in Deutschland. Audio Player

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