Das Residenzleben, es entwickelte sich

Von Matthias Biskupek · 03.04.2013
Die Verwaltungsreform bedroht den uralten Residenzstadthorizont in Thüringen. Die Residenz als feste Größe für Kultur und Mentalität – im Kopf des Thüringers muss sie sich heftiger Angriffe erwehren. Und scheint irgendwie unverwüstlich.
Ein Residenzbewohner, wie stolz das klingt. Dabei sind das fast alle Thüringer ‒ wenn sie nicht gerade in der freistaatlich verordneten Hauptstadt Erfurt leben. Jenem Ort, der mal von Mainz und mal von Berlin aus regiert wurde. Der echte Thüringer aber musste immer nur ‒ dann aber um so mehr ‒ seinem eingeborenen Fürsten gehorchen. Reichsunmittelbar, wie das wundervolle Wort heißt, waren sie alle. Die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt oder Schwarzburg-Sondershausen mit ihren jeweiligen Ober- und Unterherrschaften, die Reußen mit den sieben jüngeren und den vier älteren Linien und vor allem die Groß- und Normalherzogtümer, die im Vornamen samt und sonders Sachsen sind: Sachsen-Hildburghausen, Sachsen-Gotha, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar-Eisenach und wie die Flecken alle hießen.

Wenig verwunderlich daher: einen bunten, akustischen Flickenteppich bilden auch die Ansichten des gemeinen Thüringers zu seinem weltweiten Alleinstellungsmerkmal.

"Also meine Großmutter hat mir immer erzählt, die stammt ja auch dem Nachbarort, aus Möschlitz, wie der Fürscht kam und die Prinzessinnen.. ‒ Ich entstamme einer alten Fürstenerzieherfamilie. Mein Urgroßvater war Fürstenerzieher. ‒ Residenz mit Fürsten ist unvorstellbar für mich. ‒ Die haben eigentlich nach der Wende nichts Eiligeres zu tun gehabt, als ihren Fürsten möglichst bald wieder auf den Sockel, auf dem Denkmal aufm Langen Berg zu stellen. ‒ Das hat doch damals der Grotewohl verbrochen, dass wir zu Thüringen mussten. ‒ Wenn ich ins befreundete Saalfeld fahre, ist das für mich ’ne Auslandsfahrt. ‒ Die Residenzdebatte sehe ich eher mit einem Lächeln. ‒ Von mir aus lege ich keinen Wert darauf, dass es unbedingt Residenzstadt sein muss. ‒ Ich bin stolz, zur Saalfelder Höhe zu gehören."

Residenzen allüberall
Wir sind in eine Gemengelage geraten, so unüberschaubar wie die politische Landkarte Thüringens vor hundert Jahren. Manche Residenzen lagen dicht bei dicht, sind aber bis heute durch Sprach-, Kultur- und Landkreisgrenzen getrennt. Wo hingegen eine einstige Landesgrenze aufgehoben wurde, ist es noch schlimmer. Wie zwischen den Städten Saalfeld und Rudolstadt. War die eine doch nur Provinzkreisstadt des Herzogtums Sachsen-Meinungen, die andere aber Hauptstadt des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt – dessen Fürst übrigens als letzter in Deutschland abdankte. Zwischen den Marktplätzen der fast gleichgroßen Städte liegen genau 12 Kilometer. Und ein Berg von Unterschieden. Doch zu dieser Spezialität später – zunächst klären wir die Hauptstadtfrage. Denn auch diese ist wiederum sehr speziell. Ein Historiker spricht es aus:

Jens Henkel: ""Merkwürdig bleibt ja im Falle Thüringens, dass ’ne Stadt wie Erfurt, die ja weitgehend bis nach dem Krieg preußisch ‒ besetzt hätte ich beinahe gesagt – blieb, dass genau so eine Stadt, die im engeren Sinne ja gar nichts mit Thüringen zu tun hatte, zumindest als politisches Gebilde – geografisch sicher – dass es jetzt ’ne Landeshauptstadt geworden ist. Und ich behaupte einfach: eine akzeptierte Landeshauptstadt."

Was eine Erfurterin nur bekräftigen kann:

"Ich finde, Erfurt ist eine wunderschöne Stadt. Ich lebe gerne hier und von mir aus lege ich keinen Wert darauf, dass es unbedingt Residenzstadt sein muss."

Und was sagt die zugewanderte Sächsin dazu?

Stille mit Kneipengeräusch

Richtig. Nichts. Was soll man als Zentralstaatssächsin auch zu diesen thüringischen Besonderheiten sagen?

Wir sitzen in der zentral gelegenen, politisch bedeutsamen Gaststätte "Willy B", erinnert sie doch an den Besuch Willy Brandts 1970 in Erfurt, als ganz andere Grenzen drückten. Doch auch diese spielen eine wichtige Rolle für den gemeinen Thüringer. Weil sie an eine Zeit erinnern, als Bezirkshauptstädte die Residenzen rigoros liquidieren sollten. Um eine zentralistische Herrschaft der Arbeiterklasse zu errichten. Als uralte Ländergrenzen ausradiert wurden – um nur die eine Grenze gen Westen zu vertiefen. Ein Vogtlandfahrer weiß davon zu erzählen:

Wedel: "Als ich einst nach Mühltroff kam, herrschte heillose Verwirrung im Bäckerladen, als ich fragte, zu welchem Land sie sich denn hier zugehörig fühlten. Die Mühltroffer. Eine Frau sagte: Na wie immer: Zu Thüringen. Die andere sagte: Wie immer, zu Sachsen. Zu Brandenburg sagte keine. Aber dann lag auch noch eine Zeitung aus, aus der ich entnahm, dass sie zu Thüringen gehören müssen. Schließlich hieß es: Sie gehören doch zu Sachsen. Und eine sagte noch: Weißt du nicht mehr, Erna – Erna war die Verkäuferin – das hat doch damals der Grotewohl verbrochen, dass wir zu Thüringen mussten."

Andernorts erinnert man sich sehr, sehr gern, welchem Duodezfürsten man Untertan war. Der Historiker und Kustos der Rudolstädter Heidecksburg:

Jens Henkel: "Das Thema Fürstentümer und Ähnliches war ja zu DDR-Zeiten verpönt und es ist ja kein Zufall, dass nach der Wende überall plötzlich Autos rumfahren mit dem Aufkleber "Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt", also man überspringt zwei Generationen und lässt das Fürstentum wieder hochleben, der letzte Fürscht, interessiert sich dafür, die Bücher werden verkauft, die Ausstellungen werden gut besucht. Das sind alles Signale, die wahrscheinlich irgendwas damit zu tun haben, dass das irgendwas über tausend Jahre Gewachsenes, Sicheres ist."

Furchtbar unangenehme Erinnerungen
Bewohner von Burgflecken stolz und kühn, wo das Bächlein plätschert, das Jagdhorn tönte, wo allerlei an den jeweiligen Fürsten erinnert, haben ein besonderes Verhältnis:

Renate: "Natürlich häng ich sehr an meiner Stadt, weil die eben verbunden ist, mit Plätzen der Kindheit, das Schloss über der Stadt, das gehörte alles dazu."

Constanze: "Ich bin auf der Fasanerie großgeworden, was ja ein Jagdschloss gewesen ist vom schwarzburgischen Fürsten und hab so’n bisschen für ’ne Haus-Chronik recherchiert."

An die ab 1952 verordneten Verwaltungssitze erinnert man sich weniger gern. Auch wenn es – wie im Falle Gera ‒ selbst eine Residenz war. Denn aus der öffentlichen Verwaltung, die nicht so hieß …

Jens Henkel: "… musste man jede Woche nach Gera, in die Bezirkshauptstadt fahren. Das ist mit furchtbar unangenehmen Erinnerungen verbunden. Das heißt also aus der Residenzstadt in eine administrativ besetzte Stadt Gera, wo ich hin muss, um Unangenehmes zu erleben, um politisch auf Linie gebracht zu werden. Und das hallt – ist meine Erfahrung – bis heute nach. 20 Jahre danach."

Ein bisschen verstehen wir jetzt, warum man sich zu dieser Stadt hingezogen fühlt – zu jener nicht. Gehen wir ein Stück weiter ins Gebirge. Ins Gebirge der Absurditäten. Wo der einstige Lokalredakteur um Animositäten weiß. Einesteils gehörte man zum Großherzogtum Weimar – Stichwort Goethe, doch hinter deren Bergen lauerten gleich zwei Schwarzburger Fürstentümer.

Eckhard: "Also wir haben damals, als es um die Festlegung der künftigen Kreisstadt des einheitlichen Kreises Arnstadt-Ilmenau, jetzt Ilmkreis genannt, ging, unter anderem auch mal in die Vergangenheit geschaut. Und haben festgestellt, dass die eigentlich würdige Kreisstadt Gehren gewesen wäre, weil die Vorgängerin der Kreisstadt Arnstadt war das Amt Gehren. Das gehörte zu Schwarzburg-Sondershausen, ist also sozusagen mit eigenem Amtsgericht und eigenem Sommerschloss der Schwarzburger Fürsten ausgestattet gewesen. Das Schloss ist 1933 abgebrannt, aber die Leute haben natürlich lange davon gelebt, nicht zuletzt, weil sie die Steine dieses Schlosses für die Bauten ihrer privaten Anlagen verwendet haben."

Privat ging offenbar dann doch vor Residenz.

Eckhard: "In Arnstadt war das Bewusstsein, früher Sitz von Fürsten gewesen zu sein, natürlich extrem stark ausgeprägt, es steht dort die Neideckruine, es steht das Schloss am Schlossplatz, in dem heute das berühmte Puppenmuseum "Mon plaisir" ist. Das war den Arnstädtern bewusst, das hammse den Ilmenauern auch immer gern vorgehalten. Ilmenau hatte nur Goethe und nur eine Hochschule und nur Glasindustrie, aber ansonsten war mit Fürstlichkeiten in Ilmenau nicht allzu viel los."

Ilmenau, die stolze Industrie-, Hochschul- und Goethestadt, wie einst auf Stadtschildern geschrieben stand. Arnstadt dagegen ‒ Fürstennest? Der Arnstädter Bundestagsabgeordneter Jens Petermann formuliert so, wie es Bundestagsabgeordneten zukommt. Ausgewogen. Traditionen berücksichtigend. Blick aufs Ganze:

"Ich sehe diese ganze Fragestellung vor allem unter kulturpolitischen Aspekten. Es ist ganz wichtig, dass wir das kulturelle Erbe erhalten, pflegen und natürlich auch schützen. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Die Residenzdebatte sehe ich eher mit einem Lächeln. Wir haben eine europäische Entwicklung, das heißt die Entwicklung geht in eine ganz andere Richtung. Und das ist auch für die Menschen auch ein wichtigeres Thema, zu sehen, wo stehen wir in Europa. Die doch etwas kleingeistige Sicht, die hat da nichts zu suchen."

Goethe als Residenz
Kleingeistig? Sprachen wir nicht vom Weltkind Goethe und vom Weltort Weimar? Zu beidem muss man doch ein gutes Verhältnis haben.

Eckhard: "Die Ilmenauer haben zu Weimar so lange ein positives und gutes Verhältnis gehabt, solange die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten Weimar die Ilmenauer Goethestätten kräftig mit Personal und Geld unterstützt habe. Seit das nicht mehr der Fall ist, neigt Ilmenau eher dazu, Distanz zu Weimar zu halten."

Obwohl alles hier Goethe atmet.

Eckhard: "Manche Dinge, wo wir heute wissen, dass der Fürst derjenige war, der die Bauersfrauen in Stützerbach geschwängert hatte, wurden ja damals Goethe zugeschrieben und es ging immer die Rede, es laufen heute noch viele Nachkommen von Goethe in Stützerbach herum. In Wirklichkeit sind das alles die Förster, die der Carl August hinterlassen hat."

Also hat die Anhänglichkeit an den jeweiligen Fürsten womöglich genetische Gründe. Doch wie war das mit den verordneten Strukturen nach 1952? Die alte Residenzen vergessen machen wollte:

Jens Henkel: "Der Bezirk Suhl ist ja auch ’ne Kopfgeburt gewesen, die mitten ins Herz der kämpfenden Arbeiterklasse im Thüringer Wald vorstoßen sollte. Und Suhl ist ja nicht umsonst heute eine Stadt, die einen dramatischsten Einwohnerverlust hat. Auch das ist wieder damit begründet, dass man da immer hin musste, um irgendwas zu erfahren."

Wobei neue Behördenstrukturen die Bevölkerung – sagen wir mal: mobilisierte.

Eckhard: "Also die alte Kreisgrenze zwischen Kreis Ilmenau und Kreis Arnstadt war zu DDR-Zeiten auch Bezirksgrenze. Bezirksgrenze Suhl zu Bezirk Erfurt und war für die Ilmenauer zum Beispiel damit verbunden, dass sie, um frisches Gemüse preiswert kaufen zu können, die Bezirksgrenze überschreiten mussten, weil: Die Bezirke mussten sich selbst versorgen. Arnstadt als Kreis mit viel Landwirtschaft hatte Blumenkohl zu zehn Pfennig, während Ilmenau ohne Landwirtschaft Blumenkohl zu einer Mark hatte."

Viel Spaß und viel Staub
Doch bevor sich Blumenkohlprobleme einstellten, wurde erst mal aufgeräumt mit all den Fürstlichkeiten. Zum Beispiel in der Residenzstadt von Reuß, jüngere Linie, in Gera.

Wedel: "Gera wurde Bezirkshauptstadt, sagte man sogar, Bezirkshauptstadt. Und es war ein unwahrscheinlicher Elan in der ganzen Republik, auch in Gera. Und ich entsinne mich noch, dass zum Beispiel unter tatkräftiger Mitwirkung meiner Mutter, die da an der Oberschule Lehrerin war, die FDJ dazu organisiert wurde, die Fürstendenkmäler in Gera zu stürzen. Das hat viel Spaß gemacht, viel Staub und viel Spaß. Der alte Posthumus, das weiß ich noch. Die Jugend war begeistert, und die Bürger haben – wie immer – geschwiegen."

Nein, immer schwiegen sie nicht, sondern gaben freche Widerworte. Zwar war der Fürst nah, aber der Nachbarfürst ebenfalls. Drum ist die folgende Kneipen-Anekdote nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Äcker nebenan unter der Herrschaft der Nachbarresidenz standen. Oder kursächsische, gar preußische Exklaven waren …

Querengässer: ""Es sols’ch also folchendermaßen zugetraan haa. Ä Bauer hat – in der Nähe von Rudlschdaad war das Dorf – hat geackert, war bald fertsch, war schon dabei, seine Kuh auszespann. Da kam ääner geriddn. Der häld an midd sein Faare (Pferd) und sääd: Warum grüßet er mich nicht? Unn der Bauer sääd: Nu here mah, ich kennsch doch gar nich. Ich grieß doch nich jädn. Unn da sääd der uffn Faare, ganz streng: Ich bin Euer Fürst. Von Schwarzburg-Rudolstadt! Nu! Da hadd der Bauer gesachd. Nu Mänsch! Da hasde abern schinn Bosdn. Bass nur auf, dass de denn nich verlierst."

Was ja 1918 auch eintrat. Bereits vorher aber musste manch Fürst gehen. Die Wettiner ordneten 1826 ihre Thüringer Besitzungen neu – das unter Schuldenzwangsverwaltung stehende Fürstentum Sachsen-Hildburghausen verschwand. Doch dessen regierender Fürst bekam Altenburg, wo er sich und seine Bauten ausbreitete. In der einst stolzen Residenz Hildburghausen hingegen ist heute wenig geblieben. Das Schloss wurde gar Kaserne, schließlich zerbombt und abgerissen.

Jürgen: "Das Theater ist sozusagen das einzige große Zeichen der Residenzstadt Hildburghausen. In Städten wie Meiningen ist das ganz anders. Da ist dieses Residenzvölkchen erhalten geblieben – aber hier in Hildburghausen, muss ich sagen ‒ gibt’s das nicht mehr."

Der SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Höhn sieht deutliche Unterschiede von Stadt zu Residenzstadt. Eine Einzelstimme mitten aus dem Volksgemurmel heraus:

"Also wenn ich mir die Residenzler in unserer Gegend anschaue, ob das die Meininger sind, oder ob das die Gothschen sind, obs die Coburger sind – die Residenzler, die haben alle irgendwas Elitäres."

Ein Staat mit vier Dörfern
Dann müsste jeder Dorfbewohner im thüringischen Vogtland elitär sein. Fast jeder Flecken war dort irgendwann mal Residenz, im dünn besiedelten thüringischen Südosten. Dort wirken sie bis heute: die alten Grenzen.

Die Reußenfürsten hatten ihre sieben jüngere Linien von Schleiz bis Gera, von Lobenstein bis Hirschberg – und die vier älteren – mit lediglich zwei Städten im Herrschaftsgebiet: Greiz und Zeulenroda.

Schloss Burgk war Hauptstadt – also Hauptdorf eines der vier Dörfer einer älteren Linie. Von hoch droben überblickt man die gesamte Herrschaft. Heute residiert dort Museumsleiterin Sabine Schemmrich:

"Man orientiert sich nach Zeulenroda, nach Greiz, notfalls auch noch nach Lobenstein oder nach Gera, also das war die jüngere Linie, aber man orientiert sich nicht nach Saalfeld und gleich gar nicht nach Pößneck. Und ich stell das auch immer wieder fest an den Verkehrsverbindungen. Man kann ganz problemlos in den Bus steigen und nach Zeulenroda oder nach Greiz fahren, aber es gibt, meines Wissens, immer noch keine durchgehende Linie von Schleiz nach Pößneck."

Man lebt oben oder unten. Was nicht den gesellschaftlichen Stand meint – hie Fürst, da Plebs – sondern Berg und Tal.

Sabine Schemmrich: "Zwischen- nenn ich wieder Pößneck, ich bedauere das immer – und Schleiz gibt es immer diese Probleme Oberland und Unterland. Und die verstehen sich nicht. Die sprechen wirklich eine andere Sprache, nicht nur vom Dialekt, sondern es ist ganz sicher auch die Art zu denken, zu leben."

Selbstfeier als Untertan
Genau das wird auch von der schärfsten innerthüringischen Grenze gesagt, zu der wir noch einmal zurückkehren: der zwischen Rudolstadt und Saalfeld.

Jens Henkel: "Wenn ich ins befreundete Saalfeld fahre, ist das für mich ’ne Auslandsfahrt. Ich kann nicht begründen, warum das so ist, das ist’n irrationaler Vorgang – aber ich glaube, es stimmt."

Der Künstler und Webdesigner Stefan Jüttner hat eine andere Sicht:

"Eigentlich bin ich in Saalfeld wohnhaft und natürlich auch im ganzen Landkreis in Verbindung mit Rudolstadt und Bad Blankenburg, aber das geistige Leben, denk ich mal, spielt sich weltweit ab. In meinem Kopf."

Die Saalfelder Schüler Dustin und Benny erörtern die Wohnsitzfrage pragmatisch:

Dustin: "Ich möchte nich’ in Saalfeld wohnen, weil ich lieber auf mei’m Dorf wohnen bleib."
Benny: "Ich will in ein’ großen Haus wohnen und nich’ im Block."

Und Annabell, aus Bayern zugezogen, hat auch eine einfache, klare Meinung: "Saalfeld ist größer als mein altes Dorf."

Damit sind wir bei kommenden Generationen angelangt. Wird dieses Denken innerhalb des Residenzhorizontes künftig überhaupt noch eine Rolle spielen?

Der Museumsmann aus dem Schwarzburgischen und die Museumsfrau aus Reußischen Landen sehen das jeweils unterschiedlich:

Jens Henkel: "Also wenn ich meine Kinder frage, denen ist das völlig egal, was da historisch gewachsen ist. Aber die Älteren, die Großeltern, wo im besten Falle der Großvater noch sachsen-weimarischer Hofbäcker war oder Ähnliches – das ist Familientradition, das hält man hoch."

Sabine Schemmrich: "Auch in meiner Generation, auch in der Kindergeneration, da wird sehr, sehr viel weitergegeben. Ich erzähl das meiner Tochter: Deine Urgroßoma, die hat vorm Fürsten die Weihnachtslieder gesungen. Ich denke, ich bin nicht die Einzige, die das macht. Denn hier kommen immer wieder Besucher auch an, die wesentlich jünger sind als ich noch und die sagen: Das war doch mal so, das war doch mal so. Die können das unmöglich mit eigenen Augen gesehen haben, sondern das sind Erzählungen. Also das wird weitergegeben."

Ganz konkret und im täglichen Leben aber, Fürstensitz hin, Verwaltungssitz her, sagt die Bürgerin von der Straße durchaus fröhlich:

Marko: "Mir isses egal, ob Saalfeld Kreisstadt bleibt oder nicht. Ich fühl mich auf alle Fälle wohl, weil es ein kleines niedliches Städtchen ist mit allem, was man sich so vorstellt."

Ein Rudolstädter würde hier sofort einhaken: Na wenn’s egal ist, muss unsere Hauptstadt des ältesten Thüringer Grafengeschlechts wenigstens wieder Verwaltungssitz werden. Darauf ein Saalfelder mit seiner abschließenden Replik:

Stefan Jüttner: "Kleingeistiger Lokalpatriotismus, auch wenn man in der Residenz lebt, ist in meinen Augen eigentlich immer nur eine Selbstbefeierung als Untertan."
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