Das Potenzial der Älteren

Wie lange können, müssen, wollen wir arbeiten?

Passanten auf einer Einkaufsstraße in Darmstadt.
Die Deutschen altern, und langsam macht sich das auch in den Betrieben bemerkbar. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Brigitte Schultz · 14.07.2015
Viel mehr Menschen als erwartet nutzen die Möglichkeit, schon mit 63 in Rente zu gehen - ein Schock für die Unternehmen, die unter Fachkräftemangel leiden. Vor allem Großkonzerne entwickeln daher Strategien, um ihre Beschäftigten länger im Berufsleben zu halten.
"Wir gehen davon aus, dass wir im Jahr 2030 um die 3 Millionen weniger Erwerbspersonen in Deutschland haben, und die Arbeitskräfte, die zur Verfügung stehen, werden gleichzeitig auch noch älter."
"Die älteste Mitarbeiterin, die wir derzeit haben, ist Jahrgang 1938, das heißt, die ist derzeit 76 Jahre alt."
"Wer arbeiten möchte und wer einen Arbeitsplatz hat, der soll gerne auch bis 70 oder 75 arbeiten können."
Werkrundgang: Hier müssen wir lang, über die nächste Brücke auch noch drüber weg, hier auch noch, ja.
"Da sehen sie sie jetzt, auf den Skits, da stehen die Karossen drauf. Das heißt, die Karossen sind nicht mehr an Spreizgehängen aufgehängt, sondern stehen auf einem Skit, der an der Höhe variiert werden kann vom Meister, das heißt wenn da Mitarbeiter sein sollten, die zu klein oder zu groß sind, dann kann der Meister per Computer jeden einzelnen Takt in der Höhe variieren."
Volkswagenwerk Wolfsburg, Halle 54, langsam fahren die Karossen heran. In Teams von 10 bis 16 Mitarbeitern werden die Teile montiert: im Stehen oder Sitzen; liegend über Kopf muss heute kaum noch jemand arbeiten. Es gibt Hebehilfen und variable Fahrgestelle, was die körperliche Anstrengung deutlich reduziert, erklärt Werkärztin Christine Bader:
"Das bedeutet, dass die Belastungen, die dort auftreten, so bemessen sind, dass sie nicht zu einer übertriebenen Ermüdung des Mitarbeiters führt, beziehungsweise Mittel- und langfristig natürlich keine gesundheitlichen Beschwerden oder gar Erkrankungen hervorruft. Andererseits natürlich, dass im Sinne der Produktivität ohne Verschwendung und unter möglichst kurzer Zeitverwendung sozusagen optimal produziert wird. Also, es sind beiderlei Aspekte: im Sinne des Mitarbeiters, aber auch im Sinne der Produktivität."
Seit 2007 gilt der Tarifvertrag "Demografischer Wandel"
Heute ist das Durchschnittsalter bei VW 42, doch schon in zwölf Jahren dürfte die Hälfte der Belegschaft über 50 sein – auch, weil das Renteneintrittsalter für die Jüngeren steigt: Wer 1964 und später geboren ist, hat erst mit 67 Anspruch auf Rente. Deshalb gilt seit 2007 der Tarifvertrag "Demografischer Wandel", in dem die Volkswagen AG sich verpflichtet, die Arbeitssituationen kontinuierlich zu verbessern, damit möglichst viele Mitarbeiter bis zur Rente arbeiten können.
Bis vor Kurzem wurden Altersteilzeit und Vorruhestand betrieblich und staatlich gefördert. Doch wie VW haben viele Unternehmen umgedacht und möchten ihre Mitarbeiter so lange wie möglich halten. Ein Grund ist, dass durch den demografischen Wandel immer weniger Junge auf den Arbeitsmarkt kommen, vor allem kleine und mittelständische Betriebe klagen schon jetzt über Fachkräftemangel. Dass seit einem Jahr schon mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen kann, wer 45 Jahre gearbeitet hat, verschärft die Situation. Neue Lösungen werden dringend gesucht, und so forderte Anfang des Jahres der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise, man solle Anreize schaffen, damit mehr Ältere freiwillig bis 70 arbeiten.
Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, hält diese Idee für illusorisch: "Bei den 64-Jährigen sind es noch gut 15 Prozent, die in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sind. Je näher es auf das Renteneintrittsalter zugeht, um so weniger haben hier noch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung."
Das heißt, noch nicht einmal jeder Fünfte schafft es heute, bis 65 zu arbeiten. Für die Arbeitnehmer bedeutet das beträchtliche Abschläge bei der Rente, für die Betriebe weniger Fachkräfte. Deshalb gehe es nicht darum, das Renteneintrittsalter unterschwellig weiter zu erhöhen, so Annelie Buntenbach, denn darauf laufe der Vorschlag hinaus, mehr Ältere zu motivieren, bis 70 zu arbeiten.
"Ich glaube, wir brauchen nicht den Anreiz, auf ewig im Erwerbsleben zu bleiben. Es baut sonst einen Druck auf, als wäre es der Normalfall: Man arbeitet bis 70 und 75, und ich finde, das sollte nicht der Normalfall werden."
Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Migranten fördern
Es gebe effektivere Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, so Annelie Buntenbach: beispielsweise, indem man Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Migranten verstärkt fördere und in den Arbeitsmarkt integriere. Außerdem müssten die Unternehmen Arbeitsplätze und -bedingungen so gestalten, dass mehr Berufstätige gesundheitlich überhaupt in der Lage sind, bis ins Rentenalter zu arbeiten:
Buntenbach: "Es gibt in der Tat Arbeitgeber, die hier investieren, die auch gute Maßnahmen machen, um Älteren die Arbeitsmöglichkeiten zu erleichtern und zu verbessern. Das ist gerade in großen Betrieben des Öfteren der Fall, aber das sind Leuchttürme und in der Fläche sieht es da viel schlechter aus: Insgesamt sind es nur 17 Prozent der Betriebe, die in altersgerechtes Arbeiten investieren, das finde ich, ist nach wie vor viel zu wenig."
In fast jedem Arbeitsgang ist irgendwie kontinuierlich ein Hilfsmittel entstanden, sei es nur ein Keil zum Drücken, sei es nur ein Werkzeug, das aussieht wie ein Schraubenzieher, sehr viel ist auch von den Mitarbeitern selbst gekommen. Wenn das dann nach größeren Veränderungen eine Hilfe bringt, wird es auch im großen Rahmen umgesetzt.
Obwohl die Volkswagen AG Vorreiter und einer dieser Leuchttürme ist, spricht zumindest die PR-Stelle nicht gerne von "altersgerechten Arbeitsplätzen" – zu muffig und wenig dynamisch scheint der Begriff zu sein. Es gehe vielmehr darum, die Arbeitsbedingungen für Jung und Alt optimal zu gestalten, so der Pressesprecher, der mit durch die Halle führt – "Ergonomie" heißt das Zauberwort.
Dass die körperliche Belastung in den letzten Jahrzehnten tatsächlich stark reduziert wurde, kann der 57-jährige Uwe Dageförde bestätigen:
"Ich kann ihnen sagen, wie es vor 38 Jahren war, als ich damals angefangen hatte: Damals war eine Kettenförderung, Bandförderung, das heißt, der Mitarbeiter musste immer im gleichen Tempo, wie das Band gelaufen ist, mit der Karosse mitgehen, das braucht er heute nicht mehr. Er steht auf dem Mitfahrband auf so einem Gummiband und fährt mit, bis er seine Arbeit getan hat und geht dann wieder zu seiner nächsten Karosse. Die größte Tätigkeit war, dass wir diese Rotation nicht gehabt haben, wir haben wochenlang, monatelang die gleiche Tätigkeit teilweise gemacht und länger."
Wechsel der Tätigkeiten soll Belastungen vorbeugen
Heute können alle Mitarbeiter eines Teams die unterschiedlichen Arbeitsgänge verrichten. Sie wechseln nach der Pause, manchmal nach einem Tag oder gar einer Woche, um einseitige körperliche Belastung zu reduzieren.
"Dann dieses Arbeiten auf Betonfußboden, was auch nicht mehr ist und dann eben sehr viele ergonomische Maßnahmen, die da eingeflossen sind in den letzten Jahren, die wir damals einfach nicht hatten: Wir mussten kraftvoller arbeiten, wir mussten größere Lasten tragen, und dann die ständig gleiche Bewegung, die gleiche Belastung am Körper."
Nachdem Uwe Dageförde 28 Jahre als Meister im Werk tätig war, musste er die Schichtarbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Heute ist er Sachbearbeiter in der Lernwerkstatt. Mit seinem jahrelang erworbenen Wissen unterstützt er Neuanläufe bestimmter Modelle, die Qualifizierung von Mitarbeitern und berät bei ergonomischen Veränderungen. Er ist kein Einzelfall: Wenn jemand auf seiner Stelle nicht mehr weiterarbeiten kann, versucht das Personalmanagement zusammen mit ihm und den Werkärzten, eine neue Tätigkeit zu finden.
Das betrifft nicht nur die Produktion, sondern auch die Büroangestellten, so Betriebsrat Andreas Heim:
"Hier sind wir auf einem sehr, sehr guten Weg, beispielsweise elektrisch verstellbare Schreibtische einzubauen, in allen Bereichen. Das heißt, wenn eine Kollegin, ein Kollege, ein Rückenproblem hat, so sind die Kollegen in der Lage, den Schreibtisch hochzufahren und beispielsweise mal einige Zeit im Stehen zu arbeiten. Das hat man mit dem Betriebsrat lange verhandelt, wir sind dann irgendwann aber sehr schnell übereingekommen und haben festgestellt, in einem mittleren Angestelltenbereich, wenn man zwei Ausfalltage weniger hat, dann hat sich dieser Schreibtisch, den man elektrisch hoch- und runterfahren kann, schon bezahlt gemacht."
VW bietet seiner Belegschaft nicht nur Gesundheits-Checkups und Vorsorgeuntersuchungen an, sondern auch Fitness- und Entspannungstrainings: Alles Maßnahmen, um mit einer alternden Belegschaft auch in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben, so Werkarzt Jörg Lambert:
"Damit sinkt natürlich auch die Beschwernisrate oder die Krankenrate bzw. sinkt vor allem der Anteil der Mitarbeiter, die nicht alle Arbeitsplätze ausfüllen können. Wir wollen natürlich gucken, dass Mitarbeiter möglichst lange auch an ihrem Arbeitsplatz verbleiben können. In Zukunft arbeiten die Leute eben 50 Jahre, sie kommen mit 18 zu uns, deshalb ist die Ergonomie so wichtig."
Bislang fehlte der Druck zum Umdenken
In den letzten zehn Jahren ist der Anteil älterer Arbeitnehmer in Deutschland deutlich gestiegen: Nach aktuellsten Angaben des Statistischen Amtes der EU, Eurostat, arbeiten hier 65,6 Prozent der 55- bis 65-Jährigen. Doch während Großkonzerne wie VW, Daimler und Bosch schon länger Strategien für altersgerechtes Arbeiten entwickeln, tun sich kleine und mittelständische Unternehmen damit noch schwer. Bislang fehlte der Druck zum Umdenken, denn wenn Ältere ausschieden, rückten genug Jüngere nach. Das ist heute anders.
Marcel Hölterhoff: "Der Fachkräftemangel trifft sie vielleicht sogar noch ein Stück weit früher als die Großunternehmen, weil gerade kleine und mittlere Unternehmen vom Standort her oftmals in strukturschwachen Regionen gelegen sind, und dort haben wir früher als jetzt in den Ballungsräumen die Situation, dass es zu wenig Nachwuchs gibt, weil Jüngere abgewandert sind, und dass die kleinen und mittleren Unternehmen vor der Herausforderung stehen, das Personal, das sie haben, so lange wie möglich arbeitsfähig zu halten und gleichzeitig eben auch auf dem Arbeitsmarkt zu schauen, dass sie attraktiv werden vielleicht auch für Ältere, weil das sind vielleicht noch die Erwerbspersonen, die noch da sind in der Region."
Marcel Hölterhoff arbeitet für Prognos, ein Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen. Dort arbeitete er an einer Studie mit, die kleinen und mittelständischen Betrieben Möglichkeiten aufzeigt, die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu erhalten.
Prognos versteht unter Arbeitsfähigkeit nicht allein die Gesundheit: Entscheidend seien auch Motivation, Erfahrung, Kompetenzen sowie die Fähigkeit, die aktuellen Arbeitsaufgaben erledigen zu können. All das kann sich im Laufe des Berufslebens ändern und dann geht es darum, neue Aufgaben zu finden, die zu Kompetenzen und Gesundheitszustand des älteren Personals passen:
Marcel Hölterhoff: "Die körperliche Leistungsfähigkeit geht zurück, aber die so genannte kognitive Leistungsfähigkeit, also beispielsweise Problemlösungskompetenz oder die Fähigkeit, neues Wissen aufzubauen, nimmt im Alter kaum ab. Und es gibt einige andere Kompetenzen, die gerade im Arbeitsleben sehr relevant sind, die eigentlich auch bis ins hohe Alter zunehmen, also definitiv bis ins hohe Alter nimmt das Erfahrungswissen zu."
Während Gewerkschaften kritisieren, dass Unternehmen sich immer noch viel zu wenig um die Bedürfnisse und Belange Ältere kümmern und Arbeitslose ab 50 schwer vermittelbar sind, sieht Marcel Hölterhoff die Haltung der Arbeitnehmer im Wandel begriffen:
"Ich denke schon, dass ein Wertewandel stattgefunden hat und die Unternehmern lernen jetzt stärker mit ihren älteren Mitarbeitern umzugehen, aber lernen auch, welchen positiven Effekt und welchen Nutzen sie letztendlich daraus ziehen können, dass sie noch ihre älteren, erfahrenen Mitarbeiter an Bord haben."
"Eine ernsthafte Einstellung zur Arbeit, Teamfähigkeit und Flexibilität"
Zu Besuch bei der GRG Gebäudereinigung in Berlin, ein Familienunternehmen mit knapp 3500 Beschäftigten; gegründet wurde es vor fast 100 Jahren. Zehn Prozent aller Beschäftigten sind über 60 Jahre alt, etwa ein Drittel ist zwischen 50 und 60 – ein erstaunlich hoher Teil angesichts der Tatsache, dass Gebäudereinigung harte körperliche Arbeit fordert. Voriges Jahr prämierte die Bundeagentur für Arbeit die Firma als "Unternehmen mit Weitblick", da sie gezielt ältere Arbeitnehmer über 50 sucht und einstellt, so Personalleiterin Kathrin Schmadtke:
"Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass ältere Mitarbeiter mehr über die wesentlichen Schlüsselqualifikationen, die für unseren Bereich notwendig sind, verfügen, das sind zum Beispiel eine ernsthafte Einstellung zur Arbeit, Teamfähigkeit, Flexibilität, das sind Dinge, die jüngeren Mitarbeitern, ich möchte es nicht pauschalisieren, aber ganz oft einfach fehlen, und deswegen haben wir uns dafür entschieden, einfach diesen Weg zu gehen, weil wir sagen: Das Fachwissen können wir jemandem aneignen oder weitergeben, aber die Schlüsselqualifikationen, die muss von einem selber kommen, das kann man niemandem beibringen."
Gebäudereiniger: Hilfreich ist, wenn Ältere und Jüngere zusammenarbeiten.
Gebäudereiniger: Hilfreich ist, wenn Ältere und Jüngere zusammenarbeiten.© picture alliance / dpa-ZB / Ralf Hirschberger
In den Reinigungsteams arbeiten Jüngere und Ältere zusammen.
"Ich würde sagen von Jung zu Alt hat das ganz viel mit Technik zu tun, also dass jüngere Mitarbeiter zum Beispiel Reinigungsmaschinen, den Umgang damit schneller erfassen und das den älteren Kollegen einfach besser beibringen können. Da gibt es aber auch ganz klare Regeln: dass zum Beispiel ältere Mitarbeiter die körperlich stärkeren oder härteren Tätigkeiten einfach nicht mehr machen, das überlassen wir den jüngeren."
Fällt ein Mitarbeiter wegen Krankheit länger aus, führt die Personalleitung ein sogenanntes Fürsorgegespräch mit ihm: Gemeinsam versucht man zu klären, welche Belastungen zu vermeiden wären, ob die Schichten passen oder ob ein anderer Arbeitsplatz in Frage kommt. Auch die GRG bemüht sich um ergonomische Maßnahmen: Maschinen, die schwere körperliche Tätigkeiten abnehmen, verstellbare Wischmopps, um Bücken möglichst zu vermeiden. Das Unternehmen verwendet ökologische Reinigungsmittel sowie Schutzkleidung und man versucht, den Mitarbeitern bei Wünschen nach Arbeitszeiten entgegenzukommen. Es gibt eine Betriebsrente, Geburts- und Sterbebeihilfe sowie Zuschüsse beim Zahnersatz. Für das Unternehmen zahle sich dieses Engagement aus, so Marketingleiter Ingmar Hötschel, denn Fluktuation und Krankenstand seien relativ gering:
"Putzen, das klingt jetzt erstmal nach na ja, das lernt man schnell, aber jetzt stellen Sie sich aber mal vor, Sie sind in einem Objekt wie bspw. der O2 World Berlin, die hat 60 000 Quadratmeter und das dauert einige Wochen, bis man sich wirklich in diesem gesamten Objekt zurechtfindet. Dementsprechend versuchen wir schon, unsere Mitarbeiter zu halten, zu motivieren, feste Teams zu haben, dementsprechend legen wir natürlich auch viel Wert drauf, dass diese Mitarbeiter auch lange gesund bleiben, damit wir sie entsprechend für diese Objekte und in den festen Teams behalten können."
Wer den OP reinigt, bekommt mehr als den Mindestlohn
Neben Angelernten gibt es auch Fachpersonal, Gebäudereiniger ist ein Ausbildungsberuf mit vielen Spezialgebieten wie zum Beispiel dem Reinigen von Operationssälen oder von Glasfassaden an Hochhäusern - diese Mitarbeiter sind besonders schwer zu ersetzen. Das Einkommen der Angelernten ist nicht gerade hoch, doch es liegt immerhin über dem Mindestlohn und es gibt einen Betriebsrat.
Vor zwei Jahren wählten die Mitarbeiter in Berlin, Hamburg und München ihr Unternehmen zum "besten Arbeitgeber": Danach nahmen die Bewerbungen deutlich zu.
Die GRG war als einziges von vielen kleinen und mittelständischen Betrieben sofort zu diesem Interview bereit, alle andern lehnten ab, auch wenn sie in Studien und Ausschreibungen in puncto altersgerechte Arbeitsplätze als vorbildlich galten. "Kein Interesse" war die lapidare Antwort, oder man sehe keinen Gewinn darin, mit diesem Themenschwerpunkt bekannt zu werden. Marketingleiter Ingmar Hötschel kann das nicht nachvollziehen – das Familienunternehmen ist stolz darauf, Ältere einzustellen und sich um sie zu kümmern. Dies auch öffentlich zu machen, habe nur Vorteile:
"Viele Kunden, die wir in den letzten Jahren gewinnen konnten- wir sind in den letzten fünf Jahren um etwa 40 Prozent gewachsen – sehen, dass wir qualitative sehr hochwertige Gebäudereinigung anbieten und unser Mitarbeiter fair und anständig behandeln und das spielt wirklich eine extrem wichtige Rolle. Das hören wir immer wieder in Kundengesprächen, dass ihnen sehr gut gefällt, was wir für unsere Mitarbeiter tun."
Wenn ältere Mitarbeiter ausscheiden, nehmen sie oft einen wertvollen Wissens- und Erfahrungsschatz mit sich. Damit dieser nicht verloren geht, holt der Automobilkonzern Daimler seit zwei Jahren seine Ruheständler zurück: befristet auf ein halbes Jahr und für ein bestimmten Projekt, bezahlt wird nach Tagessatz.
Einer der Senior-Experten ist der 62-jährige Emil Kniel: "Wenn man fit ist, warum soll man aufhören, das war für mich das Argument. Und warum soll ich nicht der Firma die Erfahrung, die ich über 35 Jahre gesammelt habe, zurückgeben. Und auf der anderen Seite das Gefühl zu haben, noch gebraucht zu werden, das ist natürlich auch eine tolle Sache."
35 Jahre lang hat Emil Kniel als Ingenieur und Abteilungsleiter neue Werke mit aufgebaut. Nun leitet er bei Daimler die Initiative "Generationsmanagement". Ziel ist die Zusammenarbeit zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern in altersgemischten Teams, um den Wissenstransfer zu fördern:
"Die positiven Eigenschaften bei jüngeren Arbeitnehmern sehe ich in der Schnelligkeit vom Denken, in der Kreativität von Lösungsansätzen, in der Dynamik, im Vorgehen, in der Leichtigkeit im Umgang mit neuen Medien und natürlich bei einer hohen Flexibilität. Die der Älteren, dass sie etwas gelassener an die Sachen herangehen, dass sie manche Sachen wesentlich besser ein- und abschätzen können, was realistisch ist, was weniger realistisch ist, und sie können, wenn man dann in der Phase ist, wo man was umsetzen muss, was man für welche Tätigkeiten an Zeitbausteinen braucht, dass man das besser abschätzen kann."
Senior Experten setzt die Daimler AG vor allem dann ein, wenn ein Werk in Betrieb genommen wird oder ein neues Auto auf den Markt kommt: Die Senior-Experten haben die umfangreichen Prozesse, die dazugehören, schon mehrfach durchlaufen; sie wissen, worauf es ankommt und verfügen über ein gutes Netzwerk innerhalb der Daimler AG.
Über 550 so genannte Space Cowboys stellen Daimler ihr Know-how zur Verfügung
Sie nennen sich auch "Space-Cowboys" nach dem gleichnamigen Film von Clint Eastwood: Vier ehemalige Mitarbeiter der NASA im Rentenalter begeben sich auf eine Mission ins Weltall, um einen Satelliten zu reparieren, mit dem sich keiner der Jungen mehr auskennt. Über 550 Space Cowboys stehen Daimler mittlerweile mit dem unterschiedlichsten Know-how zur Verfügung, selbstverständlich gibt es auch Space-Cowgirls.
"Dann hat man mir gesagt, Herr Kniel, das wäre jetzt eine Aufgabe für Sie, Sie waren schon immer innovativ und haben aus den Aufgaben was gemacht. Am Anfang habe ich gedacht, oh Gott, was kommt da auf mich zu, aber es lief von Tag zu Tag besser und inzwischen habe ich auch eine hohe Anerkennung von unseren Sozialpartnern und unserer Geschäftsleitung, und das gibt natürlich wieder Rückenwind."
Die Arbeitszeiten der Senior-Experten sind flexibel und hängen vom Projekt und den Bedürfnissen des Einzelnen ab. Emil Kniel arbeitet drei Tage die Woche. Einer seiner Schwerpunkte sind ergonomische Verbesserungen beim Autobau: Dass er sehr viele Werke und Kollegen persönlich kennt, hilft ihm dabei.
Bei der Daimler AG gehen die Abteilungsleiter spätestens mit 62 in den Ruhestand, die Zeit bis zur Rente erhalten sie ein Überbrückungsgeld und eine Betriebsrente. Hätte Emil Kniel da nicht gleich weiterarbeiten können? Nein, sagt er, denn nun habe er viel weniger Druck, müsse nicht an so vielen Sitzungen teilnehmen und zahlreiche Prozesse gleichzeitig im Auge behalten. Vor allem aber hat er mehr Zeit:
"Die Freizeit hat sich früher immer auf das Wochenende konzentriert und ich hatte immer das Gefühl, das Wochenende reichte mir nicht aus, weil Familie, Hobby, Ehrenamt usw. war immer dann am Wochenende unterzubringen, und wenn ich dann die andren vor den Cafés sitzen sehen habe, dann war das für mich immer nicht ganz befriedigend. Und das ist heute optimal: Ich kann am Montag und am Freitag meinen Garten machen, ich kann am Samstag mir einen Kaffee im Café genießen und ich kann mit meinen Enkeln und mit meinen Kinder einiges unternehmen und mit meiner Familie und das ist natürlich jetzt optimal."
Auch diese Erfahrung bringt Emil Kniel ins Generationsmanagement ein: Dort diskutiert man gerade ein Altersteilzeitmodell, bei der Beschäftigte sich schrittweise aus dem Berufsleben zurückziehen und nicht, wie bisher, ein paar Jahre früher ganz zu arbeiten aufhören.
Fachkräftemangel gibt es bei Daimler nicht, doch in zehn Jahren wird auch hier jeder zweite Mitarbeiter über 50 sein. Um als Unternehmen konkurrenzfähig zu bleiben, werden alle Beschäftigten kontinuierlich weiterqualifiziert, so Oskar Heer, Leiter der Abteilung Arbeitspolitik:
"Jedes neue Produkt heißt auch, es sind neue Qualifikationen erforderlich, und es gibt wenige Tage, an denen in einem Produktionsbereich keine Änderungen einfließen und für ständige Qualifizierungsbedarfe sogen, die natürlich auch umgesetzt werden, sodass der Mitarbeiter auf der einen Seite flexibel bleibt, auf der anderen Seite immer auf dem aktuellen Stand der Technik ist."
Vorsorgemaßnahmen für Muskeln und Skelett
Für Mitarbeiter ab 50 gibt es spezielle Seminare, bei denen Perspektiven und Herausforderungen in dieser Berufsphase thematisiert werden.
Ein wichtiger Baustein, um dem demografischen Wandel zu begegnen, ist das Gesundheitsmanagement: Dazu gehört auch bei Daimler modernste Technik, die schwere körperliche Arbeit erleichtert; auch hier wird die Ergonomie unter Einbeziehung der Mitarbeiter stets verbessert. Da die Beeinträchtigung von Muskeln und Skelett zu den häufigsten Krankheitsursachen gehört, gibt es Vorsorge- und Behandlungsmaßnahmen direkt am Arbeitsplatz. Ein Beispiel, um die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen, ist das Kraftwerk-Mobil.
Oskar Heer: "'Kraftwerk Mobil' ist eine Vorgehensweise, wo Mitarbeiter speziell unterstützt werden, insbesondere wenn sie jetzt motorische Einschränkungen haben und eventuell auch mit Hinweisen von Fachärzten analysiert, was hilft dem Mitarbeiter, dieses mit dem Mitarbeiter bespricht und der dann zum Beispiel spezielle Übungen macht. "Kraftwerk mobil" deswegen, weil das mobile Kraftwerk nicht an einem einzigen Platz stationiert ist, sondern das Gerät mit einem Experten kommt beim Mitarbeiter vorbei und der Mitarbeiter macht dann einige Minuten seine Übungen, so wie sie andere Menschen im Fitnessstudio machen und dann kann er wieder weiterarbeiten."
Fitnessstudios "Hard Candy Fitness" in Berlin, Oktober 2013
Regelmäßiges Training erhält die Gesundheit - und die Arbeitskraft.© picture alliance / ZB / Britta Pedersen
Besonders wichtig, um Motivation und Gesundheit lange zu erhalten, ist der Einfluss des Einzelnen auf Arbeitszeit und -ort. Während die Schichten bei der Produktion vorgegeben und wenig beeinflussbar sind, gelten in den Büros meistens gleitende Arbeitszeiten. Daimler ist auch dabei, die mobilen Tätigkeiten auszubauen, denn wer öfter einen Tag zu Hause arbeitet, hat meist weniger Stress. Gut angenommen werden auch die Langzeitarbeitskonten: Wenn jemand projektweise länger arbeiten muss, kann er diese Zeit ansparen und später einlösen. Anders als bei einem Sabbatical ist diese freie Zeit jedoch immer an ein bestimmtes Vorhaben gebunden:
"Der Mitarbeiter kann kommen und kann sagen beispielsweise, ich möchte eine Weiterbildung machen, ich möchte mich weiterqualifizieren, ich bräuchte unbedingt mal ein Jahr frei weil ich da auf eine Schule, Meisterschule oder auch Bachelorstudium oder irgendetwas machen will, dann kann er beispielsweise aus dem Langzeitkonto das vorher Ersparte entnehmen. Ein anderer sagt, ich möchte lieber etwas früher in Rente gehen und spare mir alles auf."
Dass Menschen aus dem Ruhestand zurückkehren ins Arbeitsleben, ist längst keine Seltenheit mehr: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der arbeitenden Rentner mehr als verdoppelt: 1,2 Millionen sind es schätzungsweise, die Selbständigen mitgerechnet. Das klingt viel, aber bislang sind es nur fünf Prozent der Ruheständler. Eine Studie des Deutschen Instituts für Rentenvorsorge kam zu dem Ergebnis, dass die wenigsten arbeiten, weil sie an der Armutsgrenze leben. Bei einer Umfrage der Universität Duisburg-Essen gaben allerdings 30 Prozent ein Renteneinkommen an, das sie als armutsgefährdet ausweist. Der Verdienst spielt bei allen eine wichtige Rolle, zum Beispiel, um sich etwas Zusätzliches leisten zu können - wie ein Auto, eine Reise oder die finanzielle Unterstützung von Kindern. Die nicht-materiellen Gründe dagegen sind ganz unterschiedlich, so Jutta Schmitz, die für das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen die Umfrage durchführte.
Jutta Schmitz: "Die persönlichen Motive schwanken sehr stark, die hängen ganz stark von der Haushaltskonstellation und mit der eigenen Erwerbs- und Familien Biografie zusammen, wir haben zum Beispiel eine Reihe von Rentnern getroffen, die mit sehr viel jüngeren Frauen zusammenleben, und angegeben haben, dass sie mit der vielen Zeit, die ihnen jetzt im Ruhestand zur Verfügung steht, nichts anzufangen wissen, möglicherweise auch ihrer Frau im Weg sind und sich Schwierigkeiten ergeben haben, im Ruhestand sich neu aufeinander einzustellen, so dass es sinnvoll ist, eine Aufgabe zu haben und auch auswärts noch tätig zu sein."
Die meisten Befragten haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, viele sind Akademiker. Bemerkenswert ist, dass der Großteil von ihnen einen Job ausübt, der unter ihrer Qualifikation liegt:
"Das gilt insbesondere für die abhängig Beschäftigten und weniger für die Selbständigen im Rentenalter. Es ist zunächst ja mal durchaus erstaunlich, dass wirklich gut qualifizierte Facharbeiter dazu bereit sind, im Rentenalter Tätigkeiten auszuüben, die über sehr viel weniger Prestige verfügen, es kann also hier nicht darum gehen, berufliche Anerkennung vorzuführen, sondern es geht vielmehr darum, eine Aufgabe zu haben, dem Alltag eine Struktur zu geben, möglicherweise auch soziale Kontakte zu pflegen, all das sind große Ziele und Motive der Rentner, mit denen wir gesprochen haben, aber sie sind gleichzeitig nicht dazu bereit, den Druck und den Stress, den sie im Erwerbsleben erlebt haben, im Rentenalter fortzuführen."
In Zukunft könnten mehr Ruheständler gezwungen sein zu arbeiten
Doch Motivation und Arbeit im Rentenalter als freie Entscheidung könnten sich bald ändern. Jutta Schmitz fürchtet, dass in Zukunft weit mehr Ruheständler gezwungen sind zu arbeiten, denn die Berufsbiografien haben sich geändert: Zeiten der Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und immer weniger Festanstellungen haben niedrige Renten zur Folge. Auch Annelie Buntenbach vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes sieht dieses Problem auf uns zukommen:
"Ich fürchte, das werden in Zukunft mehr, denn wenn bei der Rentenpolitik nicht umgesteuert wird, damit die Menschen dann im Alter eine Rente haben, von der sie in Würde leben können, dann wird die Altersarmut weiter zunehmen in den nächsten Jahren."
Buntenbach plädiert dafür, den Rentensatz zu erhöhen und damit auch die Unternehmer mehr in die Pflicht zu nehmen; außerdem müssten die Demografiereserven aufgebaut und für die Altersrente verwendet werden. Aber es fehlen auch Modelle für die Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen früher ausscheiden müssen, so Buntenbach: Diese hätten heute viel zu hohe Abschläge bei ihrer Rente:
"Es gibt Branchen, Menschen im Arbeitsprozess, die es gar nicht schaffen können bis zu 65 zu kommen gesund in Lohn und Brot, geschweige denn bis 67, z.B. die Bauarbeiter gehen im Schnitt mit 58 in Rente, nicht deshalb, weil sie gerne so früh rausgehend das sind für die auch hohe Abschläge und es zeigt, dass es ein hoher Anteil an Erwerbsminderungsrente ist, und da gibt es dann für diese Gruppen und für diese Branchen keine Möglichkeiten, bis jetzt überhaupt abgesichert bis zur Rente zu kommen, die dann am Ende ihres Lebens so kaputt sind, dass sie es nicht schaffen können, und für die brauchen wir Möglichkeiten, abgesichert aus dem Arbeitsleben auszusteigen, damit sie dann nicht am Schluss noch abstürzen und damit ihre ganze Lebensleistung entwerten."
Auch für andere Brachen gilt: Egal, wie optimal die Arbeitsbedingungen und ergonomischen Maßnahmen sind, irgendwann treten körperliche und seelische Verschleißerscheinungen auf. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, hat ein Recht auf einen abgesicherten Ruhestand, eine der wichtigsten Errungenschaften des Sozialstaats.
Schmitz: "Wir dürfen aber nicht der Gefahr verfallen, die Erwerbstätigkeit als vierte oder fünfte Säule der Alterssicherung zu denken und den jetzigen Trend sozusagen als Grund dafür nutzen, dass es möglich sei, im Alter noch hinzuzuverdienen, denn das eigentliche Sozialstaatsmodell, das wir verfolgen, sieht vor, dass die Ruhestandsphase von der Erwerbstätigkeit befreit ist und eine Freiwilligkeit besteht, ob man hinzuverdienen möchte oder nicht."
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