Das Pferd als Sinnbild erotischer Begierde

Von wilden Zentauren und keuschen Einhörnern

06:29 Minuten
Eine junge, nackte Frau reitet ein eingekleidetes Pferd.
Lady Godiva in einer Darstellung von 1900. Ihr nackter Ritt durch Coventry wurde zur Legende. © imageBROKER
Von Gerd Brendel · 23.02.2019
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Von Ovids ungezügeltem Zentaur Eurytus über Nietzsche bis zur heutigen SM-Szene: Die Geschichte von Mensch und Pferd beflügelt seit Jahrtausenden die sexuellen Fantasien - ein kleiner Ritt durch die Kulturgeschichte.
Aus der Fetischszene sind Utensilien wie Reitgerte oder Pferdegeschirr - englisch "Harness" - nicht wegzudenken. In einem Reklame-Clip heißt es:
"Und fertig ist der 'Harness'. Die Reitgerte wird wie der Name es sagt im Reitsport verwendet. Ein anderes Anwendungsgebiet ist allerdings natürlich im BDSM als Züchtigungs-, Schlaginstrument, Folterinstrument."

Symbol ungezügelter Libido

Eine Faszination, die in die Antike zurückreicht. Die klassische Mythologie kennt nicht nur die edlen Rosse, auf denen göttergleichen Heroen in den Kampf ritten. Sondern auch die Zentauren, halb Hengst, halb Mann, die als Symbol ungezügelter Libido galten.
Zeichnung eines ineinander verschlungenen Kentaurs und Fauns in Naturlandschaft.
Liebesspiel unter freiem Himmel: ein Kentaur und ein Faun. Bild von Giovanni Domenico Tiepolo, etwa 1775.© imago/Artokoloro
Allen voran Eurytus, der sich auf der Hochzeit des sagenhaften Königs Pirithous ziemlich daneben benahm:
"Denn dir, Ungestümster der ungestümen Zentauren,
Eurytus, brennt's wie vom Weine, so heiß von dem Blicke der Jungfrau
Unter der Brust; und die Trunkenheit herrscht mit Begierde verdoppelt.
Schleunig verwirrt ein Gerassel zerrütteter Tische das Gastmahl;
Und mit Gewalt wird gerafft am ergriffenen Haar die Vermählte."
So schildert Ovid die versuchte Vergewaltigung der Braut durch den Pferdemenschen. Die anschließende Erzählung vom Kampf und der Niederlage der Zentauren liest sich fast wie eine Parabel auf die Domestizierung des Pferdes durch die Menschen und der Kontrolle des tierischen Paarungstriebs zu Zuchtzwecken.

Das Pferd im Krieg

Den Gang der realen Geschichte aus Eroberungszügen und Schlachten bestimmten Reiter und ihre ergebenen Rosse. Von Alexander dem Großen auf seinem Pferd Bukephalos bis Napoleon auf seinem arabischen Schimmelhengst "Marengo".
Berittene Pferde galoppieren über Soldaten hinweg.
Auseinandersetzungen in Marengo im Juni 1800. Zeichnung von Louis Bombled.© imago stock&people
Ungezügelte Lust wurde zur Funktion des Krieges. Und als Gegenmodell zu den sexprotzenden Zentauren tauchte im Mittelalter das Einhorn als Unschuldssymbol, das sich nur von der Jungfrau Maria zähmen lässt und ihr gehorsam aus der Hand frisst.
Das keusche Paar erinnert an ein andere Reiterin deren Geschichte ab dem 12. Jahrhundert von England aus in Europa die Runde macht: Lady Godiva. Ihr nackter Ritt durch die Straßen Coventrys, um ihren Ehemann, den Earl von Mercia davon zu überzeugen, die drückende Abgabenlast zu senken, wurde Legende.
Ihr langes Haar bedeckte ihre Blöße. Alle Bürger der Stadt verrammelten die Fenster um nicht Zeuge des erniedrigenden Akts zu werden. Nur einer, "peeping Tom", wollte einen Blick auf die nackte Lady erhaschen und erblindete prompt - ein göttlicher Strafakt.

Dominanz und Unterwerfung

Die berühmtesten Darstellungen der nackten Reiterin stammen aus dem 19. Jahrhundert. Es ist die Zeit, in der die Zweckgemeinschaft zwischen Pferd und Mensch immer mehr an Bedeutung verliert. Das Automobil tritt an die Stelle der Kutschen, motorisierte Einheiten treten an die Stelle der Kavallerie.
Das Verhältnis von Pferd und Mensch wird zur Metapher von Dominanz und Unterwerfung. Für Freud gleicht das Verhältnis von "ICH" und Es "dem Reiter, der die überlegene Kraft des Pferdes zügeln soll."
Ein paar Jahre zuvor erregte eine Fotografie das sittenstrenge Europa um 1880, Jahrhundertwende: Es zeigt zwei Männer, die Philosophen Friedrich Nietzsche Paul Ree, die anstatt von Pferden einen Karren mit der stehenden Lou Salomé ziehen. Die skandalumwitterte "Femme fatale" hebt spielerisch eine Reitgerte. "Reiten" selbst wird zum Fetisch und das Reittier zum Sexualobjekt.
Paul Ree und Friedrich Nietzsche stehen wie Pferde vor einem Wagen, Lou Salomé schwingt im Hintergrund die Gerte.
Lou Salomé schwingt die Gerte, Paul Ree und Friedrich Nietzsche geben brav die Pferde.© imago/Leemage
"Und daher umarmen sie sich immer. Das Tier drückt seinen schweißnassen Kopf an seine Wange. Sie stehen da wie ein verliebtes Paar. Ich sehe immer diesen riesigen Kopf wie er den Jungen küsst", so beschreibt der Psychiater Dysart in Peter Shaffers "Equus" von 1972 die Pferde-Erlebnisse seines Patienten Alan, der den tierischen Objekten seiner Begierde die Augen aussticht. "Peeping Tom" mit vertauschten Rollen.

Der Sexualparnter wird zum Pferd

Seit den 70er-Jahren gehören Reitzubehör wir Gerte und Geschirr fest zur SM-Szene. Im "Ponyplay" tritt der Sexualpartner, die Sexualpartnerin allerdings gleich an die Stelle des realen Pferds.
Einen Schritt weiter – oder viele zurück - ging vor ein paar Jahren der Fashion-Designer Rick Owens: In seinem Video "Horse" sieht man ihn selbst als antikes Fabelwesen - halb Mensch, halb Pferd.
Der Mensch als sexy Zentaur oder Pony, davon profitiert am Ende auch das Pferd: "Tiere kommen bei dieser Freizeitbeschäftigung nicht zu Schaden".
Pferde – sie mögen aus unserem Alltag verschwunden sein, in unserer Fantasie leben sie weiter.
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