Das "Paradies" verwalten

Von Kerstin Zilm · 27.12.2011
Das Getty Research Institute in Los Angeles ist das wohl größte kunstgeschichtliche Archiv der Welt. Es wird geleitet vom deutschen Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens, der seine Arbeit als Privileg empfindet.
Thomas Gaethgens blättert durch Katalog der Spezialsammlungen.

"Wenn Sie jetzt mal hingehen, schlagen jetzt hier mal auf ..."

Mit glänzenden Augen und sichtlichem Stolz präsentiert Thomas Gaehtgens den mehrere Kilo schweren Katalog der Spezialsammlungen des Getty Research Institutes. Spricht er über das Archiv von über einer Million Zeugnissen der Geschichte bildender Kunst - darunter Manuskripte, Tagebücher, Briefe, Drucke, Fotografien, optische Geräte und Architekturmodelle - fallen immer wieder die Begriffe "Wunderkammer" und "Schatztruhe".

"Monet - 200, 200 Stück. Da haben wir also alle möglichen Briefe, 'letters adressed to his wife', Briefe an Camille Pissaro, an Sisley und so weiter und so weiter, das ist unglaublich!"

Das Getty Research Institut ist berühmt für die sorgfältige Aufarbeitung künstlerischer Hinterlassenschaften und ebenso dafür, diese in Seminaren, Ausstellungen, Schriften und Digitalisierungen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hauptkriterium bei der Auswahl von Neuerwerbungen ist deren Potenzial für Forschungszwecke. Gerade wurden unter anderem acht Container mit der Hinterlassenschaft des 2005 verstorbenen Schweizer Kurators Harald Szeemann nach Los Angeles verschifft und die Tagebücher von Man Ray im Seminarraum der Bibliothek ausgelegt.

"Da ist dann eingetragen 'Dinner bei Getrude Stein', am nächsten Tag 'Lunch mit Picasso'. So ging das da durch. Das sind Sternstunden. Da sagt man sich - mein Gott, hier kommst du jetzt plötzlich in dieses tägliche Leben dieser Künstler. Gehen Sie runter! Können Sie unten nachgucken!"

Laut Statut ist es die Aufgabe des Instituts "das Wissen und Verständnis für die bildende Kunst durch Sachverstand, Sammlungen, öffentliche Programme, internationale Zusammenarbeit, digitale Leistungen und wissenschaftliche Stipendiatenprogramme zu fördern". Rund 200 Mitarbeiter sorgen dafür, diese Aufgabe zu erfüllen. Jeden Dienstag stellt Institutsleiter Gaehtgens seinen Abteilungsleitern die immer wieder gleiche Frage:

"What can we do that others cannot do?"

"Was können wir tun, was andere nicht können?" Dazu gehört dank eines Haushalts von jährlich 23 Millionen Dollar aus Zinsen des Getty-Fonds auch das Stipendienprogramm des Institutes. Jedes Jahr werden 50 bis 60 Wissenschaftler aus aller Welt für drei bis 12 Monate nach Los Angeles eingeladen, um gemeinsam unter einem Hauptthema zu forschen.

Nicht nur in Arbeitsgruppen, Seminaren und auf Podien tauschen die Teilnehmer ihr Wissen und ihre neu gewonnenen Erkenntnisse aus. Sie leben auch zusammen in einem Haus am Sunset Boulevard und treffen sich jeden Nachmittag um drei zu Kaffee, Tee und Plätzchen mit Blick auf den glitzernden Pazifik.

Zu den geladenen Forschern gehören in diesem Jahr Professor Thomas Kirchner aus Frankfurt am Main, ein Experte für französische Portraitmalerei des 17. Jahrhunderts, und der wissenschaftliche Referent des Generaldirektors der Staatlichen Museen zu Berlin, Bernd Ebert. Beide sind begeistert von den Forschungsbedingungen am Getty Institut.

"Wenn es etwas nicht gibt, dann wird es besorgt - Bücher von überallher. Vor allem, was das ganz Tolle ist hier, ist die Gemeinschaft. Aus aller Welt kommen die Scholars hierher und arbeiten zu ganz unterschiedlichen Einzelthemen, die zusammengefasst werden in einem großen Scholarsthema, das in diesem Jahr 'artistic practice' ist. Das ermöglicht einem in dem Einzelthema noch ganz andere Blickwinkel einzunehmen.

Aber zum Teil ist es doch überraschend, was an Material hier ist und wie es aufgearbeitet ist, dass man damit auch wirklich sehr gut umgehen kann. Dass zum Beispiel Archivmaterialien sehr gut zugänglich sind, dass sie auch elektronisch aufgearbeitet sind, was nicht immer so anzutreffen ist."

Die Digitalisierung von Archiv und Bibliothek ist eines der größten Anliegen des Getty Research Institutes, um Kunstgeschichtsforschung an jedem Ort der Welt unter besten Bedingungen zu ermöglichen.

Im Keller des Getty Research Instituts werden täglich Tausende Dokumente mithilfe modernster Technologie digitalisiert. In Zusammenarbeit mit Instituten in Heidelberg und Paris soll ab Februar 2012 ein digitales Portal den kostenlosen Zugriff auf eine riesige Bibliothek der Kunstgeschichte ermöglichen.

"Das wird natürlich alles Mögliche revolutionieren, das Zugänglichmachen dieser ganzen Quellen der Kunstgeschichte für jedermann. Dadurch wird sich auch unser wissenschaftliches Arbeiten in der Kunstgeschichte ändern. Wie schreiben wir? Wie forschen wir? Es verändert unser Denken und unser Arbeiten natürlich gewaltig."

Dass er bei dieser Revolution am Getty Research Institut unter paradiesischen Bedingungen eine führende Rolle einnimmt, sieht der deutsche Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens als ein Privileg und denkt mit 71 Jahren noch lange nicht an Ruhestand.