Das muss man gehört haben – oder auch nicht!

Ein Flügel wie ein Alfa Romeo

Ernst-Erich Stender spielt an einer Kirchenorgel.
Ernst-Erich Stender würdigt mit seinem neuen Album den Organisten Franz Tunder. © picture alliance/dpa-Zentralbild
Von Holger Hettinger · 13.02.2019
Das neue Album der Cembalistin Rebecca Maurer rankt sich um Klaviersonaten von Joseph Haydn. Organist Ernst-Erich Stender interpretiert Franz Tunders neu. Und Helmut C. Jacobs nähert sich Mozart auf beeindruckende Weise.

Rebecca Maurer - "Joseph Haydn and his London disciples"

Der historischer Broadwood-Flügel von 1819 erinnert entfernt an den Anlasser einer Alfa Romeo Giulia 1300 TI. Rebecca Maurer stellt auf diesem besonderen Instrument ein klug durchdachtes Programm dar, das sich um Joseph Haydns letzte Londoner Klaviersonaten rankt. Haydns späte Sonaten in C-Dur und Es-Dur treten in der Einspielung in ein beziehungsreiches Miteinander mit Werken der Haydn-Schüler Christian Latrobe und Thomas Haigh. Von Letzterem ist dieses Stück mit dem Auto-Anlasser-Beginn, das sich im weiteren Verlauf zu einer munteren, augenzwinkernd-gewitzten Variationskette über "Gott erhalte Franz, den Kaiser" aufschwingt, gewürzt mit sinfonischen Versatzstücken aus dem Fundus des verehrten Lehrers Haydn.
Rebecca Maurer interpretiert diese Werke mit größtmöglicher Transparenz und kristallklarer Auflösung und ringt dem Broadwood-Flügel Farben und Nuancen, insbesondere aber einen Wumms ab, den man diesem zarten Instrument niemals zugetraut hätte. Eine wohltuende, klangprächtige Alternative zu anderen Darstellungen auf diesen Instrumenten, bei denen der Ton schon mal auf halbem Weg ohnmächtig nach hinten wegkippt. Muss man gehört haben? Aber sowas von!

Ernst-Erich Stender - "Franz Tunder: Complete Organ Works"

Der Kirchenmusiker Ernst-Erich Stender hat über 35 Jahre lang das musikalische Geschehen an der traditionsreichen Lübecker Marienkirche geprägt. In seiner umfangreichen Diskographie befindet sich eine beachtliche Gesamteinspielung der Orgelwerke von Dietrich Buxtehude, der ebenso wie Stender langjähriger Organist der Marienkirche zu Lübeck war. Und auch die neueste CD-Veröffentlichung von Ernst-Erich Stender beleuchtet die Ahnenreihe der Marienorganisten. Er würdigt Franz Tunder, Buxtehudes Vorgänger als Organist von 1641 bis 1667, mit einer Gesamteinspielung.
Tunders stahlige Präludien gelten als modellhaft für den norddeutschen Orgelbarock. Es sind die Choralfantasien, die hier aufhorchen lassen: Ernst-Erich Stender modelliert sie als sprechende, gestenreiche Textausdeutungen, mit einem sehr hohen sinnlichen Gestus und nachdrücklicher Klang-Rede. Die geschmeidig federnde Artikulation Stenders und die insgesamt warm zeichnende Metzler-Orgel in der Marienstiftskirche Trier-Pfalzel tauchen Tunders Werke in ein fast schon italienisch anmutendes, in Pastellfarben leuchtendes Kolorit. Ganz große Klasse!

Helmut C. Jacobs - "Reflections & Self-reflections"

Und schließlich: Tasten, aber kein Klavier, Vorhang, die dritte. Originalkompositionen für Harmonium, die Helmut C. Jacobs für das Akkordeon bearbeitet und eingespielt hat. Janaceks wehmütige Erinnerungszyklus "Auf verwachsenem Pfade" spiegelt sich hier in Sigfrid Karg-Elerts "33 Portraits", einer stilistisch virtuosen Anstrengung durch musikalische Epochen und Stationen. Wenn sich Karg-Elert den Meistern der Vergangenheit nähert, wie hier beispielsweise Mozart, dann tut er es mit zugespitzer Kürze. Da wird ein Personalstil nicht schnöde nachgeahmt, sondern in seiner Charakteristik erfasst und auf charakteristische Merkmale fokussiert. Dieses Verfahren bringt den Portraits eine beträchtliche Leichtigkeit. Helmut C. Jacobs setzt diese vielgestaltigen Vorlagen pointiert und mit wandlungsfähigem Ton sowie mit spürbarer Lust an der musikalischen Camouflage um.
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