Das muss man 2016 gehört haben (3)

Jazz als Rettungsanker

Der Jazzpianist Michael Wollny (links) und der Akkordeonist Vincent Peirani.
Der Jazzpianist Michael Wollny (links) und der Akkordeonist Vincent Peirani. © ©ACT Jörg Steinmetz
Von Matthias Wegner · 14.12.2016
In diesem Jahr kann sich die Tonart-Redaktion nicht auf ein Jazz-Album einigen, das herausragend war. Dafür waren die Jazzer in 2016 zu fleißig - unser Autor Matthias Wegner stellt die Lieblings-Alben der Redaktion für dieses Jahr vor.
Gleich vorweg: Das Album des Jahres – gab es auch 2016 nicht. Natürlich nicht. Jazz ist ein sich ständig weiterentwickelndes Medium, Alben sind nur kurze Momentaufnahmen. Die Künstler sind schon wieder drei Schritte weiter. Aber um keine Spaßbremse zu sein: natürlich gab es in den letzten zwölf Monaten viele erfreuliche Veröffentlichungen.
Der deutsche Wunderpianist Michael Wollny traf beispielsweise auf den Akkordeon-Virtuosen Vincent Peirani und das Ergebnis war so hinreißend, dass man völlig vergaß, dass Klavier und Akkordeon sich auch ganz schnell behindern und neutralisieren können. Wollny und Peirani aber haben hier alles richtig gemacht und finden zu einer eigenen Sprache. Daumen hoch!

Für einen ist immer Platz

Pianotrios – und kein Ende… die Geschichte dieses Formates ist noch immer nicht zu Ende erzählt. Oder doch? Vielen Musikern ist das sowieso egal. Und wie der Posaunist Nils Landgren immer so schön sagt, es ist immer Platz für noch einen Musiker und für noch eine Band… wenn sie gut ist. Beglückende Piano-Trio-Momente kamen in diesem Jahr u.a. von Pablo Held, von The Bad Plus und und und und – wo wir gerade dabei sind: Bemerkenswertes gab es auch von mindestens einem Gitarren-Trio, das die Zartheit und vor allem: die Klangkunst zelebriert – das Trio des dänischen Gitarristen Jacob Bro….

Erstaunliche Isländerin

Ein weiteres Phänomen im Jahr 2016 - Jazz und Popmusik nähern sich weiter an. Hatte nicht David Bowie im Januar kurz vor seinem Tod ein Jazz-Album veröffentlicht? Na klar und was für eines! Und es gibt viele weitere Beispiele: Der frühere Wüstenrocker Howe Geld erweitert das "Great American Songbook" und schlägt sich erstaunlich gut, die Isländerin Emiliana Torrini trifft auf eine Truppe innovativer Belgier und hat das wohl interessanteste Album ihrer bisherigen Karriere aufgenommen. Oder?

Langeweile hat viele Gesichter

Man hatte 2016 verstärkt das Gefühl, viele Pop-und Rock-Musiker seien von ihrer eigenen Musik derart gelangweilt, und händeringend auf der Suche nach Risiko, Spontaneität und neuen Spielformen, dass die Hinwendung zum Jazz die logische Konsequenz ist – und ein Rettungsanker. Die Langeweile hat bekanntlich viele Gesichter. Robbie Williams und Lady Gaga haben das schon hinter sich und dass die Stones nach langen Jahren der Stille kürzlich ein Blues-Album vorgelegt haben (also fast ein Jazz-Album), geht genau in dieselbe Richtung.

Vom Jazz kommend zum Pop

Vergessen dürfen wir natürlich nicht den umgekehrten Weg, nämlich vom Jazz kommend auf die Popmusik zuzugehen und einen Teil ihres Publikums wieder aus dem Tiefschlaf zu reißen. US-Amerikaner wie Kamasi Washington, Robert Glasper und Markus Strickland, die Kanadier von "BadBadnotgood", aber auch europäische Musiker wie das Melt Trio oder die Band des Franzosen Sylvain Riflet begeistern ein heterogenes und immer jünger werdendes Publikum ohne sich einzuschleimen oder sich selbst zu verraten. Einfach, in dem sie natürlich auch elektronische Musik, Progressive Rock, HipHop oder Weltmusik und vieles andere verinnerlicht haben und sich an dem bedienen, was sich gut anfühlt.
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