"Das Lied in mir"

09.02.2011
Im Filmdebüt von Florian Cossen reichen die Schatten der argentinischen Militärdiktatur bis nach Deutschland. Michael Gwisdek und Jessica Schwarz als Vater und Tochter haben in "Das Lied in mir" eine komplizierte Konfliktlage zu bewältigen.
In einem als Kammerspiel inszenierten psychologischen Drama gelingt Florian Cossen mit seinen hervorragenden Schauspielern die Darstellung einer der großen Tragödien des vergangenen Jahrhunderts, die nicht nur in den lateinamerikanischen Diktaturen die Schicksale Tausender Menschen bestimmt hat.

Der Film beginnt im Heute und hat eigentlich nur einen Schauplatz: die argentinische Hauptstadt Buenos Aires. Sie war nicht das Ziel der jungen deutschen Schwimmerin Maria (Jessica Schwarz), die aus Deutschland kommend, an einem Wettkampf in Chile teilnehmen sollte. Doch auf der Durchreise hört sie auf dem Flugplatz von Buenos Aires ein Lied, das eine Mutter ihrem Kind singt, und kann plötzlich die spanischen Textzeilen mitsprechen.

Dieses Erlebnis, auf das sie mit einem Zusammenbruch reagiert, wird ihr Leben verändern. Denn woher kennt sie dieses Lied, woher die Stoffpuppe, die sie bei ihrem Irren durch die Straßen der chaotischen Metropole in einem Schaufenster sieht? Maria wird die Stadt nicht mehr verlassen, bevor sie sich diese Fragen beantwortet hat. Was ihr nie gelungen wäre, würde nicht plötzlich ihr Vater (Michael Gwisdek) auf ihren verwirrten Anruf hin, eintreffen.

Jetzt muss er ihr das Geständnis machen, das er solange hinausgezögert hat: Maria ist das Kind von in der Diktatur verschleppten und wohl ermordeten Eltern, das er und seine Frau, damals Geschäftsleute in Buenos Aires, durch eine Adoption gerettet haben. So jedenfalls seine Erklärung, doch war es nicht eher eine Entführung?

Marias Vertrauen ist nach diesem langen Schweigen so erschüttert, dass sie dem Vater die einfache Erklärung nicht abnimmt, selbst auf die Suche geht und wirklich ihre Familie, oder das, was von ihr übrig ist, findet. Mit ein wenig Spanisch und einem Polizisten, den sie zufällig kennengelernt hat und der in Deutschland ausgebildet wurde, findet sie sich im Kreis tief traumatisierter Verwandter, die ihre "Entführung" nicht hinnehmen wollen. Illegale Adoption verjährt in Argentinien nicht, auch das sicher eine Lehre aus der Diktatur.

Regisseur Florian Cossen hat sich entschlossen, diese auch politisch komplizierte Konfliktlage einzig über die Gefühle der Protagonisten zu erzählen - ohne erklärende Hintergrundinformationen und ohne eine bis ins Letzte gehende Auflösung von Schuldfragen. Und das gelingt, dank der intensiven schauspielerischen Leistungen von Jessica Schwarz und Michael Gwisdek.

Der Zuschauer kann sich, unterstützt von einer Kamera, die die Stadt, das Hotel, die Umwelt immer gefärbt von der Gefühlslage der jungen Frau abbildet, so in das Drama dieser Menschen hineinversetzten, dass er sich ständig herausgefordert fühlt, vergangene und gegenwärtige Entscheidungen aus eigenem moralischen Kontext heraus nachzuvollziehen. Eine - wie auch immer - befriedigende Erlösung aus solch einer Tragödie kann es weder im Leben noch im Film geben.

Deutschland / Argentinien 2009, Regie: Florian Cossen, Darsteller: Jessica Schwarz, Michael Gwisdek, Rafael Ferro, Beatriz Spelzini, Carolos Portaluppi, Alfredo Castellani, Marcela Ferrari, ab 12 Jahren, 95 Minuten

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