"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen"

Von Susanne Güsten · 02.04.2011
Knapp zwei Jahre ist es her, dass die Bundesregierung ihre finanzielle Unterstützung für den Ilisu-Staudamm in der Türkei zurückzog. Hauptgrund für diese Entscheidung war die geplante Flutung der jahrtausendealten Stadt Hasankeyf am Tigris.
Der Tigris: Noch fließt der uralte Fluss friedlich an Hasankeyf vorbei, so wie seit Jahrtausenden schon – aber wohl nicht mehr lange. Flußabwärts, in Ilisu, wird längst gebaut an dem Staudamm, mit dem das Tigris-Tal und auch diese uralte Stadt geflutet werden sollen. Es geht zügig voran: Die Umleitungstunnel sind fast fertig, am Kraftwerk wird bereits gebaut.

Und die Arbeiten an der Staumauer selbst sollen in diesem Monat beginnen. Schon in drei Jahren soll der Damm fertig sein, so hat Ministerpräsident Erdogan es angeordnet. Ohne die europäischen Kreditgeber gehe es viel schneller voran, freut sich Umweltminister Eroglu. Nur Kulturminister Ertugrul Günay versucht zu bremsen:

"Wir untersuchen in Hasankeyf noch, wie die Bauten geschützt werden können. Diese Arbeiten werden meiner Ansicht nach noch länger dauern. Innerhalb dieser Zeit könnte vielleicht über eine revidierte Version des Ilisu-Damms gesprochen werden. Diese Entscheidung liegt zwar nicht bei mir, aber ich sage immer wieder zu meinen Kabinettskollegen: Können wir nicht einen Weg finden, Hasankeyf aus dem Ilisu-Stausee heraus zu halten? Bisher habe ich zwar noch keine sehr hoffnungsvolle Antwort erhalten, aber wir drücken in Hasankeyf nicht aufs Tempo."

Seit Mitte der 50er-Jahre plant die Türkei den Ilisu-Staudamm, und darin liege das Problem, sagt der Minister. Heute wäre so etwas nicht mehr möglich, glaubt er:

"Der Ilisu-Staudamm ist ein altes Projekt. Damals war unser Bewusstsein für den Schutz historischer Kulturgüter noch nicht so entwickelt. Deshalb stecken wir bei diesen älteren Projekten heute in einer Klemme zwischen der Nutzung dieser Staudämme und dem Schutz der Kulturgüter."

Der Ilisu-Staudamm ist nicht der einzige Fall. Erst im vergangenen Monat versank der römische Badeort Allianoi in der Westtürkei in den Fluten eines neuen Stausees, als der Yortanli-Staudamm mit zehnjähriger Verzögerung in Betrieb ging. Die Wartezeit hatten die Kulturbehörden genutzt, um die römischen Ruinen mit Sand und Lehm abzudecken, um sie unter Wasser zu erhalten. In Hasankeyf liege der Fall aber anders, sagt Günay:

"Um Allianoi bin ich eigentlich nicht sehr besorgt. Wir haben schon Orte ausgegraben, die vor tausend Jahren bei einer Naturkatastrophe von Schlamm verschüttet wurden und die wir in allerbestem Zustand vorgefunden haben. Wir haben Allianoi mit ebenso einer Schutzschicht abgedeckt. Und ich bin überzeugt, dass die Stadt in 50 Jahren wohlbehalten wieder auftaucht aus dem Stausee.

In Hasankeyf ist es anders, da haben wir mehr Sorge. Denn dort ist die Bausubstanz nicht so, dass sie 50 Jahre lang unter Wasser erhalten werden kann. Im römischen Allianoi sind die Bauten aus Marmor. Aber Hasankeyf ist eine artukidische Stadt, die ohnehin schon von der Witterung zerfressen ist. Deshalb bin ich um Hasankeyf sehr viel besorgter."

Auch von der Bedeutung sei Hasankeyf nicht mit anderen Stätten zu vergleichen, die bisherigen Staudämmen geopfert wurden, meint Günay. So handele es sich bei Allianoi zwar um einen wichtigen römischen Thermalort, aber bei weitem nicht den einzigen seiner Art in Anatolien. Anders in Hasankeyf, wo Byzanz und Rom, Assyrer und Artukiden, Seldschuken und Sassaniden ihre Spuren hinterlassen haben, wo ein Dutzend verschiedene Zivilisationen sich verewigt haben. Eine wahrlich einmalige Stadt sei das, sagt Günay, der deshalb mit dem Vorgehen seiner Kabinettskollegen nicht einverstanden ist:

"Natürlich sind die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei, die Staudämme und die Wasserenergie sehr wichtig. Aber bei einer einmaligen historischen Stadt wie Hasankeyf müssen wir nach meiner Überzeugung sehr viel sorgfältiger und geduldiger vorgehen."
Mit dieser Meinung ist Günay ziemlich alleine in der Regierung. Energie und Bewässerung, Arbeitsplätze und Aufschwung versprechen sich seine Kabinettskollegen von dem Ilisu-Projekt, das mit voller Kraft vorangetrieben wird. Günay gibt Hasankeyf aber noch nicht verloren:

"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das letzte Wort kann weder ich sprechen noch der Energieminister, das letzte Wort werden die Wissenschaftler sprechen, die in Hasankeyf arbeiten. Gut, die Bauarbeiten haben begonnen, aber bis Wasser gestaut wird, haben wir noch Zeit. Und selbst wenn das Wasser erst einmal gestaut wird, dann dauert es noch, bis es Hasankeyf erreicht. Es ist noch nicht zu spät für Hasankeyf."