Das Leben des neugierigen Goethe

01.09.2013
Auch wenn es heißt: Schon wieder das Leben Goethes? - Rüdiger Safranski hat eine Biographie geschrieben, für die ihm Respekt gebührt. Er beschreibt den Dichter als einen Menschen, der die Kunst des Lebens zu meistern, zu tragen und zu genießen wusste. Und er zeigt, <em>wie</em> Goethe das gelang.
Mit einer Goethe-Biographie klopft der Biograph an die Pforten des Biographien-Olymps. Es braucht neben Sachkenntnis eine gehörige Portion Mut, um sich auf das Wagnis einzulassen. Angesichts eines intensiv gelebten Lebens und eines in vielfältigen Facetten leuchtenden dichterischen Universums, gilt es bei einer Goethe-Biographie einerseits den Überblick zu behalten und zugleich biographische Wendepunkte und werkspezifische Details herauszuarbeiten. Bei Goethe wird genauer - um nicht zu sagen: kleinlicher - geschaut, ja mit Argusaugen gewacht.

Rüdiger Safranski wusste, dass er mit einer Goethe-Biographie vermintes Gelände betreten würde. Zu den Naiven zählt der 1945 geborene Philosoph nicht. Nach erfolgreichen Büchern über den Freundschaftsbund zwischen Goethe und Schiller und einem Buch über die Romantik hat er eine Goethe-Biographie geschrieben, für die ihm Respekt gebührt.

Kühn ist bereits der gewählte Untertitel: "Kunstwerk des Lebens". Das klingt nach Positivismus. Erlebtes und Erlerntes wird so im dichterischen Werk des Autors gespiegelt, das dessen Leben letztendlich als das eigentliche Kunstwerk anzusehen ist. Safranski, der weiß, dass sich diese Assoziation unweigerlich einstellt, ist davon nicht nur unbeeindruckt, sondern er scheint sie zu beabsichtigen. In vierunddreißig Kapiteln entwirft er sein Goethe-Bild auf der Grundlage der Quellen, wobei er Goethe als einen Menschen vorstellt, der die Kunst des Lebens zu meistern, zu tragen und zu genießen wusste. Das ist die große Leistung von Safranskis Biographie: Er zeigt das Genie Goethe, der diesseits kaum zu fassen scheint, nicht, indem er einen Entrückten Bewohner des Elfenbeinturms vorstellt, sondern sein Goethe ist ein dem Leben zugewandter Mann der Tat.

In erster Linie zieht Safranski, um dieses Bild plastisch werden zu lassen, Goethes Briefe, die Autobiographie "Dichtung und Wahrheit" und natürlich das Werk des 1749 in Frankfurt Geborenen zu Rate. Auf eine Auseinandersetzung mit der kaum zu überschauenden Sekundärliteratur wird weitgehend verzichtet. Das ist durchaus legitim, aber zugleich mit der Gefahr verbunden, dass sich der Biograph nur in einem von Goethe selbst abgesteckten Feld bewegt. Doch auch das will abgeschritten werden. Denn Goethe war 82 Jahre alt, als er am 22. März 1832 in seinem Weimarer Wohnhaus am Frauenplan starb. Diese Aufgabe meistert Safranski, wobei auffällig ist, dass ihm der späte Goethe mehr zu liegen scheint als der "Stürmer und Dränger".

Der Autor des "Götz von Berlichingen" und des "Werther", der sich nicht um die Regeln kümmerte und frech die Literatur revolutionierte, als er Anfang zwanzig war, gerät in Safranskis Darstellung ein wenig zu gesetzt und behäbig.

Safranski beschreibt das Leben eines außergewöhnlichen Mannes, der 1782, im Alter von 33 Jahren, bereits auf dem Gipfel seiner Amtskarriere stand. Er war "Geheimer Rat", Minister für Militärwesen, Berg- und Wegebau, Direktor der Zeichenakademie, wohnte standesgemäß am Frauenplan und durfte offiziell an der Hoftafel speisen. Mehr konnte ein "Bürgerlicher in Weimar" nicht erreichen. Er hatte aber auch mit dem "Götz" nationales und mit dem "Werther" internationales Aufsehen erregt. Er hätte das weitere Leben gelassen angehen können. Das Laue aber lag Goethe nicht, dem Ruhm kein Ruhekissen war. Diesen stets neugierigen Goethe, der stets das eigene Selbst zu vervollkommnen suchte, stellt Safranski in seiner souverän geschriebenen und gut lesbaren Biographie vor.

Besprochen von Michael Opitz

Links auf dradio.de:

Wahrhafte, ganze Menschen - W. Daniel Wilson: "Goethe Männer Knaben. Ansichten zur 'Homosexualität'", Insel Verlag, Berlin 2012, 503 Seiten
Lernen von den ganz Großen - Thomas Steinfeld: "Der Sprachverführer", Carl Hanser Verlag, München 2010, 270 Seiten