Das Land wäre ohne Ausländer "unwirklich und unwirtschaftlich"

Pitt von Bebenburg im Gespräch mit Marietta Schwarz · 11.05.2012
Was wäre, wenn die Ausländer Deutschland verlassen würden? Das Szenario haben Matthias Thieme und Pitt von Bebenburg entworfen. Dann würden zum Beispiel die Banken ihre Zentralen nach New York oder London verlegen, sagt von Bebenburg.
Marietta Schwarz: Mehr als sieben Millionen Ausländer leben in Deutschland, wobei man hier schon anfangen kann zu streiten: Ausländer, Einwanderer, Migranten oder Deutsche mit Vorfahren aus anderen Ländern. Wir bleiben mal bei dem Wort "Ausländer", denn das ist ja der Begriff, den viele in den Mund nehmen, wenn sie ihre Abneigung gegen sie ausdrücken.

Rund 30 Millionen erwachsene Deutsche, also fast die Hälfte, empfinden ausländische Menschen als Störung im eigenen Land - einem Land, das seit einem halben Jahrhundert mit ihnen lebt.

Aber was wäre, wenn sie wirklich verschwinden würden? - Ein solches Szenario haben Matthias Thieme und Pitt von Bebenburg in ihrem Buch "Deutschland ohne Ausländer - Die Sarrazins bleiben unter sich" entworfen, und Pitt von Bebenburg ist jetzt am Telefon. Guten Morgen und hallo!

Pitt von Bebenburg: Schönen guten Morgen, Frau Schwarz.

Schwarz: Herr von Bebenburg, bevor wir über das Buch sprechen, was hat Sie denn überhaupt dazu veranlasst? War es Thilo Sarrazin?

von Bebenburg: Nicht in erster Linie, sondern wir verfolgen seit Jahren das, was Sie auch gerade gesagt haben. Die Umfragen haben sich ja nicht verändert über die Jahrzehnte. Es sind immer ziemlich genau 50 Prozent der Deutschen in Ost und in West, die sagen, wir haben hier zu viele Ausländer, und es gibt schon seit vielen, vielen Jahren auch die Debatte darüber, dass man sagt, na ja, schaut euch doch mal an, wie das Land aussehen würde ohne sie.

Aber wir waren selber ganz erstaunt zu sehen: Nie hat sich jemand die Mühe gemacht, das wirklich mal durch alle Gesellschaftsbereiche durchzugehen und zu schauen, wie wäre es denn wirklich. Wir haben jetzt dieses Szenario aufgemacht und sind da auf einige Dinge gestoßen, mit denen wir so nicht gerechnet haben.

Schwarz: Zum Beispiel?

von Bebenburg: Es gibt viele Fakten, die wir vorher nicht so kannten, zum Beispiel das, was Sie beschrieben haben. Ausländer, der Begriff, den wir auch gewählt haben, also Menschen ohne Pass, sind nur der kleinere Teil der Migranten in unserem Land, im Moment 7,4 Millionen. Dem stehen gegenüber 8,5 Millionen, also deutlich mehr Menschen, die Migranten sind, einen Migrationshintergrund haben, Einwanderungsgeschichte in ihrer Familie, aber einen deutschen Pass haben.

Und außerdem haben wir erfahren - das war uns auch nicht klar -, dass von diesen 7,4 Millionen Ausländern zwei Drittel, also fünf Millionen rund, alle Voraussetzungen erfüllen, sich einbürgern lassen zu könnten. Die leben schon seit acht Jahren oder länger hier, die könnten Deutsche werden, wenn sie wollten, wollen aber nicht. Und dann gibt es noch so einiges, was wir im politischen Rückblick gelernt haben darüber, wie kontraproduktiv Politik in Ausländerfragen sein kann, wie sie genau das Gegenteil dessen erreicht, was zum Beispiel erreicht werden sollte.

Zum Beispiel hat uns ein Experte erzählt, wie der Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer dazu geführt hat, dass richtig viele Ausländer ins Land gekommen sind. Das waren nämlich die Familienangehörigen, die gefürchtet haben, dass sie danach nicht mehr hinterherkommen können.

Schwarz: Jetzt haben Sie einen Experten schon erwähnt. Wie sind Sie denn bei der Recherche vorgegangen? Es spielen ja auch einige Prominente in dem Buch eine Rolle.

von Bebenburg: Ja. Darüber waren wir sehr froh, dass sich so viele hochrangige Fachleute aus vielen Bereichen darauf eingelassen haben, auf dieses Gedankenspiel, dass sie auch fanden, man sollte mal schauen, was wäre wenn, und so haben wir neben den Statistiken, die wir ausgewertet haben, sehr viele Gespräche führen können, Statements bekommen.

Zum Beispiel haben wir uns überlegt, wie würde die Bundesliga aussehen, und haben darüber mit Dr. Theo Zwanziger, dem früheren DFB-Präsidenten und Bernd Hölzenbein, dem Fußball-Weltmeister, sprechen können. Wir haben über die Entwicklung in der Autoindustrie uns unterhalten mit Matthias Wissmann, wir haben uns unterhalten mit Politikern wie Rita Süssmuth, Wolfgang Thierse, Cem Özdemir, Cohn-Bendit oder Gregor Gysi.

Also es gibt viele namhafte Leute, auch Günter Wallraff, der Schriftsteller, hat sich mit uns gemeinsam Gedanken gemacht über ein Szenario und all diese Äußerungen findet man in unserem Buch "Deutschland ohne Ausländer" wieder.

Schwarz: Es ist ein Buch auch, das zeigt, wo überall Ausländer, Migranten unsere Gesellschaft mitgestalten, nenne ich es jetzt mal, eigentlich ja auch ein Buch über Integration, oder?

von Bebenburg: Ja! Natürlich ist es ein Buch für Integration. Es ist ein Buch, das letztlich zeigt, dass wir sehr viele Ausländer, sehr viele hilfreiche Ausländer im Lande haben, wie unwirklich und unwirtschaftlich dieses Land ohne Ausländer wäre. Aber natürlich gibt es Probleme, die am besten gelöst werden können durch eine gute Integration, durch gute Sprachbildung, durch Schulen und so weiter.

Wir haben aber auch gelernt, dass diese Problemperspektive, die so oft diskutiert wird, manchmal überschätzt wird, denn wir haben eben sehr, sehr viele hochqualifizierte gute Ausländer im Lande - denken Sie nur an die Banken.

Ohne Ausländer würden alle Banken ihre Zentralen aus Deutschland, also aus Frankfurt, wegverlegen, würden nach New York oder London gehen.

Schwarz: Warum?

von Bebenburg: ... , weil sie sich nur nach den höchstqualifizierten Mitarbeitern richten können. Denen ist egal, welche Nationalität die haben. Und wenn sie eben die ausländischen Fachkräfte nicht nach Deutschland holen können, dann würden die hier zumachen. - Oder ein anderer Aspekt, den ich auch nicht wusste: in der Autoindustrie. Man denkt immer zuerst an die Bandarbeiter und die Niedrigqualifizierten.

Das ist natürlich auch ein Teil von Ausländern. Aber denken Sie mal: Alle deutschen Autos werden designed von Ausländern. Die Designs der BMWs, VWs oder Mercedes, die Sie auf den Straßen sehen, alles Werk von Ausländern in Deutschland.

Schwarz: Also viel Einfluss von Ausländern in Deutschland, auch jenseits der vielzitierten Dönerbude und der Bundesliga. "Deutschland ohne Ausländer - Die Sarrazins bleiben unter sich - ein Szenario", dieses Buch ist soeben erschienen und ich sprach darüber mit einem der beiden Autoren, Pitt von Bebenburg. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

von Bebenburg: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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