Das Kulturschiff MS Stubnitz

Den Konzertraum im Bauch

Kulturschiff MS Stubnitz
Das Kulturschiff MS Stubnitz liegt in Hamburg vor Anker. © imago/Chris Emil Janßen
Von Juliane Reil · 28.01.2019
Ursprünglich war die MS Stubnitz ein Kühl- und Transportschiff der DDR-Hochseeflotte. Nach der Wende wurde sie jedoch zum fahrenden Kulturschiff umfunktioniert. Seitdem läuft sie Hafenstädte in ganz Nordeuropa an.
"Okay, die Gitarre." – "Willst Du Zerre noch hören?" – "Ja, mach mal."
Ein Tontechniker beim Soundcheck, der gleichzeitig Geschäftsführer ist, das ist ungewöhnlich. Der konzentrierte Asket am Mischpult ist Urs Blaser – kurz "Blo" genannt. Seit 1994 leitet der heute 58-Jährige die MS Stubnitz, zwei Jahre, nachdem das Schiff zur mobilen Kulturplattform umfunktioniert wurde. Der gebürtige Schweizer war lange Zeit selbst als Musiker und Toningenieur kreuz und quer in Europa unterwegs. Was ihn besonders an der Stubnitz fasziniert: der Konzertraum tief unten im Bauch des Schiffes mit seiner Stahl-Akustik. Cooler Industrie-Charme ohne Tageslicht. Später an diesem Abend spielt dort zum Beispiel Herr D.K., eine junge Nachwuchsband aus Hamburg.

340 Live-Acts in einem Jahr

Allein im letzten Jahr standen hier 340 Live-Acts unterschiedlicher Nationalitäten auf der Bühne. Das kleine Seeschiff von immerhin knapp 80 Metern Länge liegt seit 2014 an den Docks unweit der Hamburger Hafencity. Anders als in der Umgebung ist an Bord nichts auf Hochglanz poliert, labyrinthartige, abgerockte Korridore mit klaustrophobisch-kleinen Kajüten. Der eigentliche Gedanke der MS Stubnitz ist allerdings ein mobiles Setup: mit dem Schiff in verschiedene Regionen zu fahren, um dort lokale Bands auf die Bühne im Schiffsbauch einzuladen. In zwölf nordeuropäischen Ländern lag die Stubnitz schon vor Anker, in Hafenstädten wie Riga, Amsterdam, London, Kopenhagen und ihrem alten Heimathafen Rostock.
Die Ludwigsluster Nachwuchsband „Die Kerzen“ beim Soundcheck vor dem Konzert in der MS Stubnitz.
Die Ludwigsluster Nachwuchsband „Die Kerzen“ beim Soundcheck vor dem Konzert in der MS Stubnitz.© Marcus Wojatschke
"Aus meiner Sicht findet viel musikalische Identität tatsächlich in den Regionen statt. Das ist nicht automatisch so, dass alle interessanten Projekte durch Europa ihre Touren machen. Oftmals ist es sogar umgekehrt, eine Gruppe, die kommerziellen Erfolg hat, die sind dann in Bewegung und alle anderen sind im Prinzip verrückt, wenn sie Europa-Touren machen, weil sich das alles nicht rechnet. Das sind dann Überzeugungstäter."

Wunsch nach mehr Unterstützung

Mit denen die Stubnitz sehr viel arbeitet. Urs Blaser ist selbst so ein Überzeugungstäter. Genauso wie die Crew-Mitglieder, die teilweise sogar an Bord leben. Reich werden sie mit der Kulturarbeit auf der Stubnitz nicht. Vom Bund, der Stadt und der Stiftung Denkmalschutz gibt es zwar Fördermittel für das Industriedenkmal. Als Kulturveranstaltungsort arbeitet die Stubnitz aber wie ein "normaler Club" am Festland, eigenwirtschaftlich. Nur sind Betriebskosten für ein Schiff viel höher als an Land, genauso wie die Instandhaltung. Blaser würde sich grundsätzlich mehr Unterstützung wünschen.
"Die aktuelle Musik hat einen schlechten Stand in Deutschland. Sie wird wenig gefördert. In Hamburg ist noch stärker die Philosophie, dass man sagt: 'Die Clubmusik, die muss irgendwie wirtschaftlich funktionieren.' Und es gibt auch viele Clubs, die das vertreten und sagen: 'Nee, wir brauchen keine Unterstützung.' Ich glaube, dass das nicht so bleiben kann. Man wird begreifen müssen, dass die aktuelle Musik einen Stellenwert hat."
Und was ist "aktuelle Musik"?
"Alles, was innovativ ist. Ein aktuelles Weiterdenken von musikalischer Form."

Die MS Stubnitz ist ein lebendiger Organismus

Bands, die auf der Stubnitz spielen, wie "Die Gruppe König" aus Rostock, übernachten an Bord und bekommen vor ihrem Auftritt gemeinsam mit der übrigen Crew ein warmes Essen. Die MS Stubnitz ist ein lebendiger Organismus, der kulturellen Austausch wirklich lebt. Nicht nur mit ihren musikalischen Expeditionsfahrten. Das geheime Herzstück der Stubnitz befindet sich unter der Konzertbühne, erklärt Crew-Mitglied Felix. Ein grauer Schrank wie ein Tresor, der rauscht und brummt. Gleich neben dem Maschinenraum.
"Jetzt sind wir hier in unserem Archiv angekommen. Ich glaube, es sind 90 oder 95 Terrabyte Server, der hier liegt. 26 Jahre Stubnitz-Geschichte. Also, es ist eigentlich jedes Konzert, das hier im Laufe der Zeit stattgefunden hat, ist hier in Bild und Ton mitgeschnitten worden und das lagert hier."
Große Teile davon sind auf der Homepage der Stubnitz als Video abrufbar. Bands haben auf diese Weise ein Sounddokument von sich. Andererseits können sich Musikinteressierte über neueste Bands und ihre Livequalität informieren. Früher gab es unter Deck sogar eine kleine Radiostation. Das kulturelle Sendungsbewusstsein der MS Stubnitz ist geblieben. Hoffentlich wird es sie noch lange geben. Das meint auch "Die Gruppe König".
Musiker: "Das ist halt ein Stück Zeitgeschichte und generell, alles was man hier macht, ob man auf dieser Bühne steht, später in Kojen schläft oder im Kapitänbesprechungsraum isst. Das halt schon etwas Super-Besonderes."
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