"Das kulturelle Zentrum der Metropole"

Christoph Metzger im Gespräch mit Joachim Scholl · 15.10.2013
Mit dem Bau der Berliner Philharmonie vor 50 Jahren hat Hans Scharoun einen Meilenstein der Architekturgeschichte gesetzt. Ohne einen technikverrückten Orchesterleiter wäre das nicht gelungen, sagt Christoph Metzger, Hochschul-Professor aus Braunschweig.
"Der Geist der Harmonie, dem dieser Bau geweiht ist, möge von hier ausstrahlen zu einem wahrhaft friedlichen Aufbau von Berlin."

Joachim Scholl: Herbert von Karajan, der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker im Jahr 1960, als er den Grundstein für die neue Berliner Philharmonie legte. Drei Jahre später, am 15. Oktober 1963, wurde das Haus dann feierlich eröffnet und alle Besucher staunten, nicht nur über den Bau, seine goldgelbe Farbe, die Kuppel, sondern vor allem über die Gestaltung der Konzertsäle. Das war wirklich etwas Neues und es sollte in der Architektur von Konzerthäusern eine Revolution auslösen. Am Telefon begrüße ich jetzt Christoph Metzger von der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Dort lehrt er die Theorie und Geschichte der Klangkunst. Guten Tag, Herr Metzger!

Christoph Metzger: Schönen guten Tag!

Scholl: Inzwischen haben wir uns an den Anblick in vielen modernen Konzerthäusern gewöhnt: in der Mitte eine Bühne, drum herum aufsteigend die Ränge. Warum war das 1963, als Besucher zum ersten Mal den großen Saal der Berliner Philharmonie betraten, so sensationell?

Metzger: Die Antwort ist einfach: Die Idee der Gläsernen Kette, in den 20er-Jahren von Bruno Taut, Finsterlin und auch Scharoun entwickelt, geht von der Außengestalt aus und arbeitet sich von außen ins Innere. Was wir sehen, ist eine alpine Struktur, wir haben einen Berg, eine Krone, eine Stadtkrone, wie es bei Finsterlin heißt, die als Konzertsaal sozusagen sich als Weinberg darstellt, verbindet zwei unterschiedliche Gestaltungsebenen.

Scholl: Gläserne Kette, Herr Metzger? Das sollten Sie uns noch mal erläutern!

Metzger: Ja, die Gläserne Kette ist eine Architekturvereinigung kurz nach dem Ersten Weltkrieg gewesen, bei der verschiedene Künstler mitgewirkt haben. Die wurde von Bruno Taut ins Leben gerufen und es bestand der gemeinsame Wunsch, eine Architektur der Zukunft zu denken. Die Architekten haben im Nachkriegsdeutschland weniger Aufträge bekommen, also wurden sie utopisch, wurden sie literat, wurden sie künstlerisch. Und da sind eine ganze Reihe von Aquarellen und auch Skizzen entstanden, wo bereits die von Scharoun dann ja erst in den 60er-Jahren fertiggestellte Philharmonie, bereits in den 20er-Jahren und eben auch in Berlin schon als Struktur gedacht war.

Scholl: Es heißt auch, die Ränge verlaufen ja nicht einfach rundherum aufsteigend, sondern sie sind gegeneinander unregelmäßig versetzt. Was ist das für ein Prinzip, was bringt das für den Raumklang?

Metzger: Jeder Platz in der Philharmonie, und das ist das Neue, das unterscheidet diese Philharmonie auch von dem Wiener Konzertsaal, vom Großen Konzertsaal in Wien, hat eine nahezu gleichmäßig gute Akustik. Das Prinzip der Kuppel wird umgekehrt, man sitzt in einer Schale und diese Schale ist gegliedert, sodass die Frequenzen sich nicht gegenseitig sozusagen minimieren, sondern dass ein ausgeglichenes Klangbild entsteht.

Scholl: Was hat sich hier also akustisch getan, im Gegensatz zur früheren frontalen Gestaltung, wo also das Orchester vorne saß, das Publikum brav davor?

Metzger: Ja, es gibt keine privilegierten Plätze mehr.

Scholl: Das heißt, die vorne sitzen, hörten früher das Orchester lauter, die hinten auf den sogenannten billigen Plätzen eben leiser, und jetzt, ganz unten, ganz oben derselbe Klang?

Metzger: Annähernd derselbe Klang, ja.

Scholl: 1963, das ist ja musikhistorisch, Herr Metzger, noch nicht so lange her. Warum ist man da eigentlich nicht schon viel früher draufgekommen?

Metzger: Man kann davon ausgehen, dass der Faschismus natürlich einiges verstellt hat. Man kann auch davon ausgehen, dass die Präsenz des Wiener Konzertsaals, also der Große Wiener Musikvereinssaal, dass der nach wie vor auch für Karajan im Bereich der Kastenarchitektur das Nonplusultra dargestellt hat. Man muss sich vorstellen, dieser Raum ist mit zusätzlichen Resonatoren ausgestattet, man kommt hinein, man riecht das Holz und befindet sich nahezu in einem Instrument. Vitruv-Resonatoren unter verschiedenen Rängen verstärken den Eigenklang, dieser Raum hat eine wunderbar ausgeglichene Akustik. Allerdings, muss man auch sagen, mit Schwerpunkt für Streicherklang. Die Holzbläser funktionieren ganz gut, die Blechbläser werden in diesem Raum etwas zu weich abgestrahlt. Also, das, was später dann in Berlin die Philharmonie ausmacht, nämlich auch einen sehr, sehr brillanten, einen Hochglanz-Blechbläserklang, bekommt man in der Wiener Philharmonie, so wie ich sie bis jetzt erlebt habe, in der Form nicht ganz hin.

"Herbert von Karajan trägt großen Verdienst
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Scholl: Gab es eigentlich auch Widerstände dagegen, Kritik an dieser neuen Form der Musikarchitektur, wie sie Hans Scharoun in der Berliner Philharmonie durchgesetzt hat?

Metzger: Also, Scharoun hat ja sehr, sehr viele erste Preise gewonnen. Und Scharoun steht unzweifelhaft für einen Wiederaufbau. Man wollte mit Sicherheit eine auch architektonische Landmarkierung setzen. Man darf nicht vergessen, dass Herbert von Karajan zu einer Zeit auch eine Blüte mit den Berliner Philharmonikern erzeugt hat, die dieses Bauwerk zum Symbol gemacht haben. Man darf nicht unterschätzen, dass die Deutsche Grammophon circa ein Drittel ihres Gesamtumsatzes mit Herbert von Karajan erwirtschaftet hat, dass Herbert von Karajan einer der absolut fleißigsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts war mit um die 700 Werken, die er eingespielt hat. Er hat wahnsinnig viele Tonträger produziert, auch an den Veränderungen der Aufnahmetechnik kleinteiligst gefeilt, eigene Produktionsstudios gehabt und so weiter. Also, das Bild der Philharmonie, was wir Scharoun und der Gläsernen Kette ursprünglich zu verdanken haben, fußt letztendlich auch auf diesem technischen Ehrgeiz von Herbert von Karajan, immer wieder die beste Aufnahmetechnik, die neusten Rauschunterdrücker zum Einsatz zu bringen. Und das verbinden wir heute mit der Philharmonie.

Scholl: 50 Jahre Berliner Philharmonie, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Christoph Metzger von der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig. 2004 haben Sie, Herr Metzger, einen Band herausgegeben, "Musik und Architektur". Darin schrieb der Komponist Wolfgang Rihm von Statik und Proportion, dass die Musik nämlich denselben Gesetzen gehorche wie der Raum. Trifft dieses Wort im übertragenen Sinn auch auf die Berliner Philharmonie zu?

Metzger: Das ist wunderbar, dass Sie das zitieren, vielen Dank! "Musik und Architektur", entstanden damals mit dem Internationalen Musikinstitut in Darmstadt, dieser Satz von Wolfgang Rihm zeigt sozusagen den Historismus, wie vom 15. bis 17. Jahrhundert über Musik gedacht wurde. Musik und Architektur als proportionale Bezüglichkeit außerhalb weiterer sensorischer Qualitäten. Dieser Satz trifft für die Philharmonie in dieser Ausführung von Wolfgang Rihm auf gar keinen Fall mehr zu.

""Herzog und de Meuron werden mit dem Modell scheitern"
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Scholl: Nun hat die Gestaltung von Hans Scharoun bei der Philharmonie aber auch einen politischen Aspekt, und der wurde auch immer betont, diese sozusagen Rundum-Bestuhlung sollte auch demokratischer sein. Trägt dieser Gedanke, diese Absicht auch zur Wirkung bei?

Metzger: Ach, der passt ins Zeitbild, aber ich würde dem jetzt nicht eine sehr, sehr starke Gewichtung geben. Also, auch ein sehr guter Konzertsaal ist der Konzertsaal der Frankfurter Alten Oper, der Ende der 80er-Jahre und im Prinzip auch nach einer klassischen Kastenarchitektur funktioniert. Also, beides funktioniert. Natürlich hat man einen wesentlich besseren Blick auf die Musiker, zum Teil sieht man Musiker auch von hinten, für meinen Geschmack auch gewöhnungsbedürftig. Als Bild, meinetwegen! Ich empfinde die Philharmonie von außen als Zeichen extrem wichtig. Dieses Modell heißt Stadtkrone und es will das kulturelle Zentrum einer Metropole sein, ähnlich wie später dann ja auch die Elbphilharmonie von Herzog und de Meuron.

Scholl: Wieso besonders die Elbphilharmonie?

Metzger: Die Elbphilharmonie zitiert unmittelbar die Außengestalt der Scharoun’schen Philharmonie in Berlin, Stadtkrone, von außen, und zitiert den Weinberg nach innen. Das Problem der Elbphilharmonie: wesentlich komplizierter der Außenraum, Elbphilharmonie, auf einen Speicher gesockelt, der einem Tidenhub von dreieinhalb Metern ausgesetzt ist. Das heißt, der Konzertsaal wird gestimmt, der Außenraum ist kompliziert, die Innenschale ist auf über 70 Trägern befestigt, die den akustischen Innenraum von dem Außenraum entkoppeln soll. Ob das funktioniert, ich habe da meine Bedenken! Bei Scharoun funktioniert das Modell Stadtkrone, Konzertsaal, weil die Außengeräusche im Umfeld der Philharmonie durch den Tiergarten relativ gedämpft sind. Ich glaube, Herzog und de Meuron werden mit dem Modell scheitern.

Scholl: Christoph Metzger, Professor für Theorie und Geschichte der Klangkunst an der Hochschule für Bildende Kunst in Braunschweig, über die Bedeutung und Wirkung der Berliner Philharmonie als Bauwerk und Konzertraum. Heute vor 50 Jahren wurde das Haus eingeweiht – besten Dank für das Gespräch Herr Metzger.

Metzger: Ich danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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