Das Klavierwerk von Pierre Boulez (1/3)

Bekenntnisse eines Jungen Wilden

Rigoros und scharfzüngig in jungen Jahren, aber keineswegs humorlos: Pierre Boulez auf einer undatierten Fotografie in London
Rigoros und scharfzüngig in jungen Jahren, aber keineswegs humorlos: Pierre Boulez auf einer undatierten Fotografie in London © imago images / ZUMA / Keystone
Moderation: Olaf Wilhelmer · 02.01.2021
Zeitlebens hat sich der Komponist und Dirigent Pierre Boulez mit dem Klavier auseinandergesetzt. Die Werke für "sein" Instrument spiegeln die Musikgeschichte von 1945 bis zum frühen 21. Jahrhundert wider. Michael Wendeberg hat sie eingespielt – und einige Fundstücke dazu.
Mit dem Klavier beginnt es, mit dem Klavier endet es: das Schaffen von Pierre Boulez (1925-2016) ist mit diesem, "seinem" Instrument untrennbar verbunden. Nach jugendlichen Anfängen schreibt Boulez Mitte der 1940er Jahre als Schüler von Olivier Messiaen in Paris seine ersten gültigen Werke.
In schneller Folge entstehen bis in die frühen 1960er Jahre hinein Kompositionen für Klavier, die weithin beachtet und schnell zu Klassikern der Moderne werden. Ab den späten 1980er Jahren fügt Boulez seinem Œuvre noch einzelne Klavierstücke hinzu – funkelnde Virtuosenmusik aus dem Geist der Avantgarde.
An den Quellen: Der Pianist und Dirigent Michael Wendeberg hat Boulez‘ Klavierwerke noch zusammen mit dem Komponisten einstudiert
An den Quellen: Der Pianist und Dirigent Michael Wendeberg hat Boulez‘ Klavierwerke noch zusammen mit dem Komponisten einstudiert© Magdalena Hoefner / karstenwittmusikmanagement
Seit vielen Jahren setzen sich Pianisten mit diesem Repertoire auch im Aufnahmestudio auseinander. Im Umfeld des 5. Todestages von Pierre Boulez am 5. Januar 2021 erscheint nun eine neue Gesamteinspielung aller Boulezschen Klavierwerke, die Michael Wendeberg in einer Koproduktion von Deutschlandfunk Kultur, dem Label bastille musique und dem Pierre Boulez Saal aufgenommen hat. In den "Structures" für zwei Klaviere gesellt sich Nicolas Hodges als Duopartner dazu.
Mit dieser Produktion liegt nun Boulez‘ gesamtes Schaffen für Klavier – von den nicht zur Aufführung freigegebenen Jugendwerken abgesehen – in einer Interpretation vor, die Wendeberg noch gemeinsam mit dem Komponisten erarbeiten konnte. In den Jahren 2000 bis 2005 gehörte der Pianist und Dirigent dem von Boulez begründeten Ensemble intercontemporain in Paris an; heute ist er Chefdirigent der Oper an den Bühnen Halle und Professor für Klavier und Kammermusik an der Barenboim-Said-Akademie Berlin.

Noten statt Fußnoten

Diese Einspielung trägt indes nicht nur Bekanntes zusammen: Michael Wendeberg hat das Projekt mit philologisch geschärftem Blick vorbereitet und im Nachlass des Komponisten Material erschlossen, das weit mehr als eine Fußnote darstellt. So ist in der ersten Folge dieser dreiteiligen Reihe die Erste Klaviersonate (1946) in einer Frühfassung zu hören, die einen völlig anderen Charakter als das abgeschlossene Werk hat und viel von den Einflüssen verrät, mit denen sich der junge Boulez auseinandersetzte – etwa die beschwörende Musik von André Jolivet.
Standesgemäßer Ort für die Entstehung dieser "Besonderen Aufnahme": Der 2017 eröffnete Pierre Boulez Saal im ehemaligen Magazingebäude der Berliner Staatsoper
Standesgemäßer Ort für die Entstehung dieser „Besonderen Aufnahme“: Der 2017 eröffnete Pierre Boulez Saal im ehemaligen Magazingebäude der Berliner Staatsoper© imago images / Future Image
Der erste Teil dieser "Besonderen Aufnahme" von Boulez‘ Klaviermusik endet mit dem umfangreichsten Werk des Komponisten für Klavier solo, der Zweiten Sonate (1946-48). Hier war es ein anderer Einfluss, mit dem – und gegen den – Boulez musikalisch rang, kann doch dieses Werk als Überschreibung der "Hammerklavier"-Sonate Beethovens verstanden werden. Der junge Boulez nimmt sich darin die klassische Sonate zum Vorbild, um sie mehr und mehr in Frage zu stellen und schließlich kreativ zu zerstören.
Pierre Boulez: Sämtliche Klavierwerke (1/3)
Frühwerke
"Douze Notations" (1945)
Première sonate (1946)
Première sonate: Erstfassung des 1. Satzes – Ersteinspielung (1946)
Deuxième sonate (1946-1948)

Michael Wendeberg, Klavier

Koproduktion: Deutschlandfunk Kultur, bastille musique & Pierre Boulez Saal 2018-2020
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