Das "Jena Experiment"

Mit verkabelten Feldern wird Ökobilanz gezogen

Anne Ebeling, Institut für Ökologie Uni Jena auf den Feldern des "Jena Experiments"
Anne Ebeling, Institut für Ökologie Uni Jena auf den Feldern des "Jena Experiments" © dpa / Sebastian Kahnert
Von Annegret Faber · 19.04.2018
Regenwürmer sind vom Aussterben bedroht. Das ist eine der Folgen der zivilisatorischen Klima- und Umweltveränderungen. Die genauen Folgen der reduzierten Artenvielfalt auf das Ökosystem untersucht das "Jena Experiment". Die erste Ergebnisse der Forscher liefern Grund zur Sorge.
Die Gärtnerin Katja Kunze sitzt auf einem umgedrehten Eimer und ruht sich aus. Zehn Hektar Versuchsfläche liegen ihr zu Füßen. Darauf über 500 abgesteckte Felder von unterschiedlicher Größe – die meisten zwischen fünf und zwanzig Quadratmeter. Wenn sie aufschaut sieht sie den großen Gleisberg, östlich von Jena. Eine idyllische Kulisse. Doch meist schaut sie auf den Acker, zusammen mit vielen anderen Helfern. Sie hält ihn von Unkraut frei und zwar mit mühevoller Handarbeit. Gerade geht die Saison wieder los und es gibt viel zu tun.
Katja Kunze: "Wir stecken die Flächen nochmal neu ab, weil diverse Bambusstäbe umgefallen sind, bringen neue Schilder an, die durch die Winterschäden kaputt gegangen sind, haben auch viele Maulwurfschäden."

Ein lustiges Gewirr von Kabeln

Von einer Pflanzenart pro Versuchsfläche bis hin zu 60 wachsen da. Das Gärtnerteam zupft Unkräuter, notiert welche Pflanzen wann Knospen oder Samen bilden, oder wie hoch sie wachsen, die Zahl der Insekten über der Erde. Sie entnehmen den Böden Regenwürmer oder andere Tiere, um zu schauen, wie sich das auf die Bodenqualität auswirkt.
"So lange die Witterung das hergibt, sind wir hier, so lange es nicht gewittert oder blitzt."
Seit 15 Jahren ist Katja Kunze dabei. Auch Ihre Kollegin Anne Ebeling, wissenschaftliche Koordinatorin des Jena-Experiments:
"Das ganze Feld ist schwer verkabelt, das sieht man ihm nicht an. Wenn man die Erde hier wegnehmen würde, würde hier ein lustige Gewirr von Kabeln sein. Da vorne ist eine Installation die Bodenwasser zieht."
Aus dem Bodenwasser ermitteln die Forscher den Gehalt von Kohlestoff, Wasserstoff und Stickstoff.
"Wir können auch Nährstoffkreisläufe messen, in dem wir genau quantifizieren, was kommt rein ins System, was wird durch die Pflanzen aufgenommen, was ist im Bodenwasser."

Streit um Folgen abnehmender Biodiversität

Das Feld sei einzigartig sagt Anne Ebeling. Forscher aus der ganzen Welt kommen nach Jena um Datenreihen zu sammeln:
"Es gibt bei den Doktoranden unglaublich viele Nationalitäten, von Kanada, Belgien, Australien, Neuseeland ist alles dabei."
Die Daten werden an der Universität in Jena und am deutschen Zentrum für Biodiversitätsforschung, dem iDiv in Leipzig, ausgewertet. Für Prof. Nico Eisenhauer, dem Sprecher des "Jena Experiments" am iDiv, sind sie hoch brisant, denn die Rolle der Artenvielfalt im Boden in Bezug auf Erträge und Bodengesundheit, sei nach wie vor umstritten:
"Wenn wir uns anschauen den Zusammenhang und Pflanzendiversität und Prozesse im Boden - da gab es 2010 noch Bücher, die ich Ihnen zeigen kann, die gesagt haben, dass es da keinen großartigen Zusammenhang gibt. Und das haben Experten geschrieben!"
Höchste Eisenbahn also für wissenschaftliche Datenreihen fährt Nico Eisenhauer fort, der in Leipzig außerdem an der Universität experimentelle Interaktionsökologie unterrichte. Er wendet allerdings auch ein, dass die Abläufe im Boden tatsächlich weitestgehend unbekannt waren. In der Literatur werde er oft als Black Box bezeichnet, als eine schwarze Box, wovon nur sehr wenig bekannt ist.
"Und was wir überhaupt nicht wissen ist, wie diese Arten miteinander interagieren."
Nico Eisenhauer erklärt es am Beispiel der Nemathoden. Das sind winzig kleine Fadenwürmer. Sie leben an von den Wurzeln der Pflanzen.

Der Fadenwurm - ein Unbekannter

"Ein paar Nematoden sind bedeutende Pflanzenschädlinge z.B., aber es gibt auch Nematoden, die an Bakterien im Boden fressen und an Pilzen und dann Nährstoff Rückführung wieder antreiben."
Etliche Millionen Fadenwürmer soll es geben. Bekannt sind aber weniger als drei Prozent. Wie beeinflussen sie die Pflanzen, die Bodenqualität und was, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr tun, weil einige Pflanzen nicht mehr wachsen und so auch ihre Wurzeln aus dem Boden verschwinden? Nach 15 Jahren können die Forscher ein paar Antworten geben. Aber die Erkenntnisse von den beprobten Feldern in Jena wirken auf den ersten Blick wie Bauernweisheiten. D ie Forscher stellen fest, dass artenreiche Böden gesünder sind. Sie nehmen mehr Wasser auf, mehr Kohlenstoff und beherbergen mehr Bodentiere. Über dem Boden leben mehr Insekten und die Pflanzen sind gesünder. Böden hingegen, auf denen Monokulturen wachsen, oder nur wenige Arten, nehmen weniger Kohlenstoff auf und die Pflanzen sind Krankheitsanfälliger.
Nico Eisenhauer: "Ganz konkretes Beispiel wäre, dass wir gesehen haben, desto mehr Pflanzenarten wir haben, desto mehr unterschiedliche Krankheitserreger haben wir. Allerdings ist die einzelne Pflanze weniger betroffen, von diesen Krankheitserregern. Das heißt, wir haben einen Schutz in der Artenreicheren Pflanzengemeinschaften."

Ein Feld sorgt für Aufsehen

Auf der anderen Seite zeigen die Forscher in 15 jährigen Datenreihen: Monokulturen verschlechtern die Bodenqualität stark. Und Computermodelle zeigen, dass sich das im Laufe der Zeit immer mehr verstärkt. Allerdings müsse auch das noch mit Daten, sprich, Langzeitstudien über die 15 Jahre hinaus, unterlegt werden. In diesem Frühjahr entscheidet die Deutsche Forschungsgemeinschaft, ob das Projekt weiterhin förderungswürdig ist.
In Jena und Leipzig heißt es: Unbedingt! Das Feld sorgt weltweit für Aufsehen. Für Nico Eisenhauer wäre es ein herber Verlust, wenn die Datenreihen jetzt abreisen würden. Auch Gärtnerin Katja Kunze würde gerne auf den Versuchsfeldern von Jena weiter arbeiten. Allerdings könnte sie hier auf eine Art gut und gerne verzichten, scherzt sie zusammen mit der wissenschaftlichen Koordinatoren Anne Ebeling. Auf den Maulwurf:
"Wir dürfen auch nichts gegen die Maulwürfe machen, wir können nur aufnehmen wie hoch der Schaden ist. Was war denn der höchste Prozentsatz, der zerwühlt war?"
"Na 35 Prozent. Das klingt zwar wenig, aber auf so ner kleinen Fläche ist das schon ganz schön viel", sagt die Gärtnerin mit einem säuerlichen Lächeln und macht sich wieder an die Arbeit.
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