"Das ist ein bisschen rückwärtsgewandt"

Moderation: Matthias Hanselmann · 30.08.2013
Keine Gedanken, kaum Recherche: Mit einem überhitzten Wasserkocher hat die "Spiegel"-Erbin Franziska Augstein den deutschen Onlinejournalismus verglichen. Der Blogger Wolfgang Michal hält dagegen - und macht einen originellen Vorschlag zur Zukunft des "Spiegel".
Matthias Hanselmann: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat seit fast 40 Jahren eine besondere Form der Mitbestimmung: Die "Spiegel" Mitarbeiter KG. Ihre Mitglieder besitzen 50,5 Prozent des Blattes und haben bei wichtigen Entscheidungen, also auch personellen, ein Mitbestimmungsrecht. Der designierte neue Chefredakteur Wolfgang Büchner ist daran schon mit einer Entscheidung gescheitert, bevor er seinen Dienst überhaupt angetreten hat: Er wollte Nikolaus Blome holen, einen Mann der "Bild"-Zeitung, und zwar gleich als seinen (stellvertretenden) Chefredakteur. Damit ist er an der Mitarbeiter KG gescheitert. Einen "Bild"-Mann als stellvertretenden Chefredakteur beim "Spiegel", das ging offenbar zu weit.

Jetzt hat die Mitarbeiter KG dem Kompromissvorschlag des Chefredakteurs Büchner zugestimmt – des zukünftigen, übermorgen ist er dran. Dieser will Blome jetzt nur, in Anführungsstrichen, noch als Mitglied der Chefredaktion haben. Stille Gesellschafter aus der "Spiegel"-Redaktion sprechen allerdings von einem Vertrauensverlust, einem Einknicken oder sogar von Verrat und haben den Rücktritt der KG-Geschäftsführer gefordert, die diese Entscheidung befürworten. Wir sprechen mit Wolfgang Michal vom renommierten Online-Magazin "Carta", das vor vier Jahren den Grimme-Online-Award bekommen hat und besonders Entwicklungen in den Medien kritisch verfolgt und kommentiert. Guten Tag, Herr Michal!

Wolfgang Michal: Guten Tag!

Hanselmann: Zunächst: Kann man es als das Gewinnen des ersten Machtkampfes beim "Spiegel" bezeichnen, dass der neue Chefredakteur Büchner den "Bild"-Mann Blome jetzt doch holen darf?

Michal: Ja, das würde ich eher als Pyrrhussieg bezeichnen, das wird sich erst zeigen, wie dann der neue Chefredakteur mit diesem Vorlauf tatsächlich mit den Mitarbeitern beim "Spiegel" zurechtkommen wird. Aber man kann sagen, dieser Machtkampf ist jetzt nichts Besonderes, eigentlich dauert der Machtkampf jetzt schon seit über zehn Jahren an und er begann mit dem Tod von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein.

Hanselmann: Damals ging der Machtkampf los und das war auch nicht der erste, der im "Spiegel" überhaupt jemals stattgefunden hat. Machtkämpfe sind doch eigentlich nichts Neues in der Führung von solchen Blättern.

Michal: Das ist nichts Neues. Also Rudolf Augstein hat ja selbst noch Stefan Aust als Chefredakteur geholt, damals auch gegen den Willen der "Spiegel"-Redaktion, und nach dem Tod von Augstein sagte ja Aust als erstes, es könne jetzt keinen weiteren "Spiegel"-Herausgeber mehr geben, was für Unmut in der Redaktion sorgte und auch bei den Erben, also besonders bei Franziska Augstein, und kurz darauf begann schon eigentlich der Stellungskrieg gegen Aust. Schon 2004 gab es dann Vertragsverlängerungsprobleme, später hat Aust dann einen Beitrag über Windkraft, einen positiven Beitrag aus dem Blatt gekickt und ersetzt durch einen Titel, der hieß "Der Windmühlenwahn", also auch das gab schon großen Ärger. 2005 dann, im Wahlkampf, hat er sich gegen Schröder positioniert, und da merkte man: Das gibt jetzt einen Richtungswechsel insofern, als man eher einen Pro-Merkel-Kurs gefahren hat.

Also solche Kämpfe gab es schon in den vergangenen Jahren auch, und 2007 hat dann die Mitarbeiter KG angefangen, den entscheidenden Schlag gegen Aust zu führen. Erst wurde sein Vertrag nicht verlängert, dann hat man seinen Geschäftsführer rausgekegelt, den langjährigen Aust-Freund Karl Dietrich Seikel, und schließlich auch den Kronprinzen Gabor Steingart, der inzwischen beim "Handelsblatt" ist, der sollte ja aufgebaut werden – der war damals übrigens auch Leiter des Hauptstadtbüros in Berlin, das ist eine wichtige Funktion, und eigentlich sind Leiter des Hauptstadtbüros immer designierte Chefredakteure. Insofern kann ich die Angst der "Spiegel"-Redakteure schon verstehen, dass sie damit einen Richtungswechsel beim "Spiegel" verbinden.

Hanselmann: Erwarten Sie denn jetzt noch eine kleine Revolution im Hause "Spiegel", das Absetzen der Chefs der Mitarbeiter KG? Was müsste passieren, damit Blome noch die Tür vor der Nase zugeknallt wird?

Michal: Das glaube ich nicht, dass das passiert. Man muss auch, glaube ich, sehen, dass die Mitarbeiter KG ja nicht nur aus Redakteuren besteht. Die Mitarbeiter KG umfasst etwa 800 Menschen, das sind, würde ich sagen, 300 aus der Redaktion, 300 aus dem Verlag und ungefähr etwas über 100 von der Dokumentation. Das heißt, die Redaktion ist eigentlich innerhalb der Mitarbeiter KG eine Minderheit. Sie hat von den fünf Geschäftsführern auch nur zwei Posten besetzt. Insofern muss die Redaktion auch immer Rücksicht nehmen auf die Verlagsmitarbeiter, und ich würde mal sagen, die Verlagsmitarbeiter tendieren wahrscheinlich eher dazu, jetzt so eine Art Burgfrieden zu schließen.

Hanselmann: Blome soll sich ja auch und besonders um die Online-Zukunft des "Spiegel" kümmern, interessant ist in diesem Zusammenhang, was die Journalistin Franziska Augstein – Tochter des früheren "Spiegel"-Herausgebers Rudolf Augstein, Sie haben es angesprochen, und Miteigentümerin des "Spiegel" –, was sie überhaupt zum Thema Online sagt. Sie meint nämlich, damit könne man zurzeit kaum Geld verdienen, der Druck wäre überwiegend wichtiger, und den Zugang Blome, den hält sie sowieso für eine Katastrophe. Was sagen Sie dazu?

Michal: Ja, ich finde, das ist ein bisschen rückwärtsgewandt, diese Argumentation, jetzt immer noch sozusagen Print gegen Online auszuspielen. Ich glaube, dass man damit keinen Schritt weiterkommen wird. Online wird kommen, wird immer stärker werden, und irgendwann wird auch der auf Papier gedruckte "Spiegel" wahrscheinlich in einer Minderheitenposition sein. Es käme jetzt eher darauf an, Finanzierungsmodelle zu finden für das Internetzeitalter, und ich finde, da ist eigentlich der "Spiegel" in einer ganz guten Position, weil er schon ein Modell hat, das möglicherweise ausgebaut werden kann in einer Zeit, in der die Anzeigen nicht mehr die alleinigen Finanzierer des Journalismus sein werden, weil eben Anzeigen auch andere Wege finden, um an die Kunden zu kommen.

Also es gibt beim "Spiegel" ja ein Miteigentum über diese Mitarbeiter KG, und ich finde, das könnte man ausbauen, dieses Modell, oder reformieren, und die Mitarbeiter KG könnte sich durchaus mal an die eigene Nase fassen und sagen: Wenn wir schon die Erben des großen Rudolf Augstein sind, dann müssen wir auch einen ähnlich großen und großartigen Vorschlag machen, wie Augstein selber das damals gemacht hat, als er die Hälfte seines Besitzes an die Mitarbeiter verschenkt hat.

Also ich könnte mir vorstellen, eine richtig große Geste wäre es, wenn die Mitarbeiter KG die Hälfte ihres Besitzes auch an die Online-Kollegen und die Mitarbeiter von "Spiegel TV" verschenken würde. Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und das wäre noch zukunftsweisender: Es wäre gut, wenn die Mitarbeiter KG die Hälfte ihres Besitzes an die Leser verschenken würde, nämlich an die langjährigen Abonnenten, und sozusagen ein soziales Netzwerk aufbaut, eine Community. Das wären wirklich zukunftsweisende Modelle.

Hanselmann: Und damit auch eine interaktive Redaktion sozusagen. Wir sollten an der Stelle anmerken, dass "Spiegel Online"-Mitarbeiter ja gar nicht in die Mitarbeiter KG dürfen. Das geht ja eigentlich gar nicht dann, oder?

Michal: Ja, das ist ein restriktives Modell und ich kann natürlich verstehen, dass man ungern seine jährliche Gewinnausschüttung mit weiteren Kollegen teilt, aber ich glaube, man muss sich da wirklich auch an dem orientieren, der damals eben die Hälfte seines Vermögens, seines Besitzes am "Spiegel" verschenkt hat und auch die Hälfte der Gewinne verschenkt hat. Und diese Großzügigkeit erwarte ich eigentlich von der Mitarbeiter KG, um aus diesem Dilemma des seit zehn Jahren andauernden Machtkampfs herauszukommen und wirklich sich mal der Zukunft zuzuwenden.

Also bei der "taz" gibt es ja das Modell der Genossenschaft, da gibt es 13.000 Genossen, die gewisse Beträge einzahlen und dadurch natürlich den Journalismus mit finanzieren. Es gibt Stiftungen wie zum Beispiel beim "Guardian", da gibt es den Scott Trust, der die Zeitung finanziert, und bei der "FAZ" ist es ja ähnlich, da gibt es die Fazitstiftung. Solche Modelle sollten stärker ausgebaut werden – und da hätte der "Spiegel" mit der Mitarbeiter KG und diesem Mitbesitz eigentlich eine gute Position. Aber da muss man wirklich mal einen großen Schritt machen und nicht nur immer einen kleinen.

Hanselmann: Gibt es auch vielleicht internationale Vorbilder für Geschäftsmodelle zum Thema investigativen Journalismus und unabhängigen Journalismus vor allen Dingen?

Michal: Na ja, da wäre ja der "Guardian" zu nennen. Da wird dann natürlich immer gesagt, der fährt ja Verluste ein, aber es ist zum Beispiel ein großer Vorteil in einer Zeit, in der das Geld nicht mehr so üppig ist, dass der "Guardian" zum Beispiel keine Gewinne machen muss. Der "Spiegel" muss ja noch Gewinne machen und alle normalen Unternehmen müssen Gewinne machen. Aber bei einer gemeinnützigen Stiftung ist es so, dass im Grunde genommen die Kosten gedeckt werden müssen. Also das würde schon mal ein guter Weg sein, um Journalismus auch in schwierigen Zeiten finanzieren zu können. Und man muss, glaube ich - und das wird ja jetzt schon gemacht, indem man die Abopreise erhöht, dass die Leser stärker an den Kosten beteiligt werden, während die Anzeigen zurückgehen, und dann kann man auch sozusagen den Schritt gleich ganz gehen und eben solche Modelle, solche Community-Modelle aufbauen oder Genossenschaftsmodelle oder eben gemeinnützige Stiftungen oder einen Verein. Also es gibt ja da die verschiedensten Organisationsmodelle.

Hanselmann: Zukunftsmodelle für investigativen Journalismus und unabhängigen Journalismus hat beschrieben anlässlich der Debatte um die neue "Spiegel"-Spitze Wolfgang Michal, Journalist und Blogger bei carta.info. Danke schön, Herr Michal, schönen Tag noch!

Michal: Bitte!

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