Das irische Nein

Von Jochen Thies · 14.06.2008
Irland hat Nein zum EU-Vertrag gesagt und Europa damit in eine politische Krise gestürzt, die in ihren Auswirkungen und Konsequenzen noch nicht abzusehen ist. Die Risse im europäischen Gesellschaftsvertrag sind tiefer geworden, sie lassen sich nicht überstreichen.
Zwei Szenarios zeichnen sich zu diesem Zeitpunkt ab: Der Europäische Zug fährt weiter und Irland schafft es auf irgendeine Weise wieder auf ihn aufzuspringen, oder was wahrscheinlicher ist: Europa gerät in eine Legitimationskrise.

Man kann nun nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, wie führende deutsche Europapolitiker in ersten Stellungnahmen forderten. Denn überall dort, wo Referenden stattgefunden haben, haben die Bürger Nein gesagt, nicht zu Europa, sondern, weil sie mit der Vorgehensweise ihrer Regierung nicht einverstanden waren und weil sie die Texte, um die es ging, nicht verstanden, den Text der Europäischen Verfassung nicht in Frankreich und in den Niederlanden und nun die abgespeckte Version ebenfalls nicht in Irland. Dabei gelten die Iren als ausgesprochen europafreundlich.

Darüber hinaus hat sich wieder einmal gezeigt, dass es so etwas wie Dankbarkeit im politischen Betrieb nicht gibt. Vergeblich hat die irische Regierung im Vorfeld des Referendums darauf hingewiesen, wie sehr das kleine Land, lange Zeit ein Armenhaus und Auswandererland, von den Segnungen der EU profitiert hat. Binnen 35 Jahren mauserte es sich zum sogenannten Keltischen Tiger, und wies in der Hauptstadt Dublin Immobilienpreise auf, die denen von London nicht nachstanden. Nicht weniger als 55 Milliarden Euro flossen aus den Kassen der EU auf die Grüne Insel und bescherten den rund vier Millionen Iren einen bespiellosen Wirtschaftsaufschwung, der nur mit dem von China, Taiwan oder Singapur zu vergleichen war. Ungünstig mag sich jetzt ausgewirkt haben, dass das Referendum zeitlich mit dem Ende des großen Booms in Irland zusammenfiel. Denn die Arbeitslosenquote ist angestiegen, Investoren zogen sich zurück, weil Irland zu teuer geworden ist und ähnlich wie in Spanien läuft auch die Bauindustrie nicht mehr gut.

Der EU-Verfassungsvertrag kann somit nicht in Kraft treten. Er existiert juristisch nicht mehr, wie der französische Europastaatssekretär Jean-Pierre Jouyet gestern sagte, dessen Land in wenigen Tagen den Ratsvorsitz in der Gemeinschaft übernimmt. Aus der verbesserten Arbeitsfähigkeit der EU wird somit fürs erste nichts. Dies ist umso mehr zu bedauern, weil Europa in diesen Tagen zumindest verbal den Amerikanern die Muskeln bei der Abschiedstournee von Präsident Bush zeigte. Dass der schwere Rückschlag für den europäischen Einigungsprozess ausgerechnet in die Tage des Europa-Trips des ungeliebten Amerikaners fällt, entbehrt daher nicht einer gewissen Symbolik. Zwei verunsicherte Kontinente stehen sich gegenüber.

Das irische Nein ist schließlich ein Warnschuss an alle europäische Regierungen, auch die deutsche, den Wählerwillen ernst zu nehmen und nicht derartig geräuschlos und ohne öffentliche Debatte, wie es hierzulande geschah, den EU-Vertrag durch Bundestag und Bundesrat zur Unterschrift an den Bundespräsidenten durchzuleiten. In einer globalisierten Welt hat sich die Geschäftsgrundlage für die Europäische Gemeinschaft verändert. Welche Konsequenzen dies hat, muss mit dem Bürger besprochen werden. Die ehrlichste Antwort auf die Pleite von Dublin wäre daher, ein lesbares Vertragswerk allen Bürgern in der EU in ein bis zwei Jahren an die Hand zu geben und in allen 27 Mitgliedsstaaten am selben Tag Referenden abzuhalten. Dann wäre Europa mit Sicherheit sehr viel besser ausgestattet, sich in den Stürmen der Weltpolitik zu behaupten als mit der Kabinettspolitik dieser Tage, die die Iren mit einem klaren Nein, vermutlich stellvertretend für alle Europäer, beantwortet haben.