Das Insekt, an dem kaum ein Dichter vorbeikam

06.03.2012
Sie steht für Fleiß, Frühling und Fülle: Die Biene fasziniert seit Jahrtausenden Dichter in aller Welt, sie inspirierte hinduistische Mythen und Autoren wie Vergil und Rilke. Ralph Dutli widmet dem Honig-Insekt nun eine eigene Kulturgeschichte.
"Es war eine reine Zufallsbegegnung, wie vieles, was einem im Leben zustößt." Nein, für diesen ersten Satz hätte Ralph Dutli kein Lob verdient, wie überhaupt für den Anfang seines Büchleins. Verwunderlich bei einem Autor, der unter anderem mit dem Johann-Heinrich-Voss-Preis der Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wurde. Fast hätten die ersten Seiten, auf denen er den Zufall schildert, der ihn auf dem Heimweg am Garten eines Imkers vorbeiführte, in einer Gegend, wo die Wege verlockend "Obstgartenweg" und "Blütenweg" heißen, dazu geführt, sein Buch aus der Hand zu legen. So banal, ja kitschig liest sich das.

Wer aber diszipliniert weiter liest, trotz Groll im Bauch, der wird am Ende belohnt. Denn Ralph Dutli räumt in seiner "Kulturgeschichte der Biene" nicht nur mit einigen scheinbar feststehenden Wahrheiten auf, er entführt in die Welt eines Wesens, das für Fleiß und Ordnung, für Reinheit, Frühling und Fülle steht.

Beim Wort "Biene" denkt man sofort an dieses soziale Wesen, das der deutsche Bienenforscher Jürgen Tautz den "Bien" nennt, ein Staatenwesen, das in seinen Gruppenfähigkeiten den Säugetieren durchaus gewachsen ist. Ralph Dutli, der natürlich Tautzs Bücher gelesen hat, erinnert daran, dass die Mehrheit der Bienen im Gegenteil Einzelgänger sind. Weil aber Biene und Honig ein untrennbares Begriffspaar sind, erzählt auch er die Geschichte des geflügelten Wesens, das uns seit Jahrtausenden beschenkt. Wobei die Beschreibung der Entstehung von Honig als Ergebnis von Sekreten und Ausscheidungen fast vergessen machen, dass am Ende eine süße, goldfarbene Köstlichkeit entsteht.

Seit zwölftausend Jahren sammelt der Mensch Honig und so lange besingt er auch die Biene, die immer mehr war als Honiglieferantin. Ihre Wahrnehmung wandelte sich, wie auch ihre Farbe. So wurde der Gott Vishnu im hinduistischen Mythos (700 bis 500 v. Chr.) von einer dunkelblauen Biene verkörpert. Blau als Farbe des Äthers, dem die Götter entstammen. Kein Wunder, dass ein Imperator wie Napoleon seinen Krönungsmantel mit Bienen besticken ließ, allerdings in Gold.

Der erste deutschsprachige Text, an den Dutli erinnert - der sich in seinem vorigen Buch mit der Poesie des Mittelalters befasst hat - war das 1140 entstandene Trudperter Hohelied, das seinen Namen dem zeitweiligen Aufbewahrungsort verdankt, einem Kloster im Südschwarzwald. Zufällig liegt im Münstertal, ganz in der Nähe, heute eines der weltweit schönsten Bienenkundemuseen.

Von Rilke bis Dickenson, Schopenhauer bis Beuys, Aristoteles und Hofmannsthal - Ralph Dutli erzählt von einem Insekt, an dem kaum ein Dichter vorbeikam. Einige von ihnen, wie Vergil, sogar doppelt: als Dichter und Imker. Eine Gruppe berühmter Maler fand im Pariser 15. Bezirk in dem La Ruche (Bienenstock) genannten Bau ihre künstlerische Heimat. Und auch Waldemar Bonsels "Biene Maja" darf nicht fehlen.

Schön, dass Ralph Dutli seiner Bienen- und Honig-Geschichte "eine Wabe voller Gedichte" hinzugefügt hat. Und an so wunderbare Sätze wie den von Silvia Plath erinnert: "Die Bienen fliegen. Sie probieren den Frühling."

Besprochen von Liane von Billerbeck

Ralph Dutli: Das Lied vom Honig. Eine Kulturgeschichte der Biene
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
208 Seiten, 14,90 Euro