"Das hat mit Migrationshintergrund gar nichts zu tun"

Günter Piening im Gespräch mit Marietta Schwarz · 24.07.2010
Die Debatte um libanesischstämmige Dealer im Kindesalter hatte in den ersten Tagen "eine gewaltige Schieflage", findet Günter Piening. Der Berliner Integrationsbeauftragte warnt davor, die Themen Kriminalität und Einwanderung undifferenziert zu vermischen.
Marietta Schwarz: Prügeleien in Freibädern, dealende Flüchtlingskinder und das Buch der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig "Am Ende der Geduld" – Themen, die in diesem heißen Sommer gerade hochkochen, auch wenn sich die Außentemperaturen etwas abgekühlt haben. In der Luft liegen sie immer noch, die plakativen Begriffe: Jugendliche mit Migrationshintergrund, arabische Großclans oder geschlossene Heime. Und am Ende dieser Woche sind wir eigentlich nicht schlauer als am Anfang in der Frage, wie man mit diesen Integrationsproblemen umgehen kann. Nur dass es noch eine neue Forderung gibt: Beim Thema Integration sollen Medien eine kultursensible Sprache anwenden, findet die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan. Günter Piening ist uns telefonisch zugeschaltet, der Integrationsbeauftragte von Berlin. Einen schönen guten Morgen, Herr Piening!

Günter Piening: Guten Morgen!

Schwarz: Integrationsthemen bergen ja immer Zündstoff, was geht Ihnen denn in diesen Tagen durch den Kopf, wenn Sie die Schlagzeilen lesen, zum Beispiel über libanesischstämmige Kinderdealer, Herr Piening?

Piening: Ich finde, die Diskussion darüber in Berlin ist sehr gut verlaufen, weil es keine Diskussion um Integration gibt, sondern um die Frage, wie wir mit Straftätern umgehen, die derzeit vom Strafgesetz nicht erfasst werden. Am Anfang, in den ersten Tagen, da gab es in der Tat eine gewaltige Schieflage. Da wurde so getan, als ob hier Legionen von jugendlichen und Kinderdealern eingeschleust werden, aber gerade die Debatte danach hat gezeigt, dass es sich hier um absolute Einzelfälle handelt und dass wir hier eine gewisse Schwierigkeit in den Verfahren haben, schnell zu reagieren. Inzwischen ist klar, dass dieses eine Kind, um das es sich vor allem eben handelt, sicherlich bald nach Brandenburg in ein Heim kommt, wo es unter besserer Kontrolle ist, aber das dauert eben seine Zeit.

Also insofern kann man sagen, gerade die Debatte um diese Kinderdealer hat eben gezeigt, dass in einem Prozess, wenn er denn offen geführt wird, wenn alle Tatsachen auf den Tisch kommen, eine hohe Differenziertheit in die Diskussion kommt. Und man sieht, dass dieses mit dem Thema Einwanderung und Integration vergleichsweise wenig zu tun hat beziehungsweise so wenig zu tun hat, wie es in einer Stadt, in Berlin, in der fast 50 Prozent aller Jugendlichen unter 18 Migrationshintergrund haben, eben zu tun haben kann.

Schwarz: Dennoch muss ich auch Sie fragen, Herr Piening, was soll mit einem Jungen mit Migrationshintergrund passieren, der immer wieder ausbüxt und beim Dealen erwischt wird?

Piening: Na, das Gleiche wie mit einem Kind ohne Migrationshintergrund, nämlich es muss in eine gesonderte, beaufsichtige Situation hineinkommen – das haben wir auch, das haben wir in Brandenburg, solche Situationen, solche Heime mit einer besonderen Beaufsichtigung. Man muss sehen, Berlin hat zu Recht in den 90er-Jahren die geschlossenen Heime, die Kinderknäste abgeschafft, das ist ja nicht umsonst gewesen. Wir haben 600.000 Kinder, die in den 50er-, in den 60er-Jahren hier unglaublichen Schaden erlitten haben.

Wir haben andere Strukturen aufgebaut, eine intensive Betreuung, und wir haben Möglichkeiten, um in besonders schlimmen Fällen eben diese Kinder auch aus den Strukturen Berlins herauszubringen und nach Brandenburg in besonders intensive betreute Heime. Das hat mit Migrationshintergrund gar nichts zu tun. In diesen Heimen in Brandenburg sitzen deutschstämmige Kinder genauso wie nicht deutschstämmige Kinder. Das heißt, und diese Debatte in Berlin wird schon mit einer gewissen Differenziertheit geführt.

Schwarz: Dennoch, der Politiker, der Berliner Innensenator Körting zum Beispiel, der spricht bei den betroffenen Familien von geschlossenen Systemen, zu denen man sich kaum noch Zutritt verschaffen kann. Das sind ja geschlossene Systeme, Stichwort arabische Großclans, das hat dann doch wieder mit Migration zu tun. Ist da etwas eingerissen, weil wir zu lange weggeschaut haben?
Piening: Nein, auch hier hat es sich gezeigt, gerade die Debatte … Der Innensenator hat auch gesagt – und dieses auch medial sehr … – hier handelt es sich um acht Familien etwa, acht bis zehn Familien, die hier die Übergänge zur organisierten Kriminalität auch in Berlin darstellen. Das Verbrechen internationalisiert sich, und insofern verzahnt es sich auch mit den internationalen Wanderungsstrukturen. Die Frage ist ja nicht, ob wir das thematisieren, sondern die Frage ist, welchen Stellenwert wir dem geben, und dann beginnt es, problematisch zu werden, wenn so getan wird, als ob die gesamten Themen von Einwanderung, zum Beispiel von Palästinensern, sich überlagern mit Fragen der Kriminalität.

Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben gerade bei den Palästinensern auch in den letzten Wochen gerade sehr schöne Geschichten gehabt. Ich erinnere daran, dass wir in der Sonnenallee hier, der Berliner arabischen Straße, einen großen Konflikt um eine riesige Deutschlandfahne hatten, die eine palästinensische Unternehmerfamilie dort aufgehängt hatte und die dann von linken Autonomen immer wieder angegriffen worden ist. Das zeigt eben, dass die Palästinenser, die in Berlin leben, die arabischen Einwanderer, sehr stark am Hiersein orientiert sind, sehr stark sich auch integrieren. Das finde ich auch wichtig generell in der Debatte, dass wir differenzieren, dass wir auf der einen Seite Probleme benennen und auch thematisieren, weil wir brauchen auch Lösungen, dass wir aber schauen, erstens, was ist das Herkunftsthema, das spezifische Herkunftsthema, da genau hinschauen, und zum anderen – und da beginnt auch meine Kritik an der öffentlichen Debatte –, dass wir auch wahrnehmen die 90, 95 Prozent der großen Erfolge.

Das ist integrationspolitisch in der Tat auch sehr wichtig, weil Sie ansonsten denen, die es geschafft haben, die sich integrieren, die hier leben wollen, den Eindruck entwickelt, wir nehmen ihre Leistungen nicht wahr. Und da gibt es in der Tat, in dieser Gesamtschau, da gibt es in der Tat eine große Schieflage in den Medien.

Schwarz: Herr Piening, Sie kennen sicher die Worte der Berliner CDU-Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner. Der Integrationsbeauftragte, also Sie, sagt Frau Demirbüken-Wegner, hat sich anscheinend ein Pflaster auf den Mund geklebt. Warum äußern Sie sich zu diesen Themen in der Öffentlichkeit so selten?
Piening: Ich äußere mich sehr früh, und es ist die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren und damit auch den Beauftragten, der von der Regierung bestellt wird. Nein, die Stimme des Integrationsbeauftragten in Berlin ist sehr laut, ich war auch einer der Ersten, der sich überhaupt mit dem Thema Jugendkriminalität beschäftigt hat. Aber das ist auch die Aufgabe des Beauftragten, nicht zwei Prozent zu thematisieren, sondern 100 Prozent zu thematisieren und das gesamte Bild aufzumachen und die Bedeutung der Einwanderung für die Stadt zu machen. Also insofern ist es legitim, dass die Opposition mich kritisiert, aber es kritisiert mich die Oppositon.

Schwarz: Der Integrationsbeauftragte des Landes Berlin über den Umgang von Politik und Medien mit dem Thema Integration. Günter Piening, herzlichen Dank Ihnen für das Gespräch!

Piening: Auf Wiederhören!

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