Das große Rauschen

Von René Aguigah · 21.03.2010
"Leipzig liest": Das ist der Slogan und das Klischee der Messe, die den Bücherfrühling eröffnet. Die Wahrheit ist: Das stimmt – zum Teil. Natürlich wird in Leipzig gelesen. Doch die andere Seite der Wahrheit ist: Es wird so viel gelesen und so viel geredet, dass das Rauschen der ganz normale Sound der Messe ist.
Das große Messerauschen in den zurückliegenden vier Tagen erzeugten 156.000 Besucher, 9000 mehr als im vergangenen Jahr, ein neuer Rekord. Mehr als 2000 Aussteller präsentierten ihre Neuerscheinungen. Rund 3000 Journalisten berichteten und kommentierten - zum Beispiel die Entscheidung zum Preis der Leipziger Buchmesse.

Geteilte Meinungen gab es über den Preisträger Georg Klein und seinen "Roman unserer Kindheit". Und dass die Auszeichnung für das beste Sachbuch an Ulrich Raulff und seine gelehrte Wirkungsgeschichte des Dichters Stefan George ging, konnte er selbst kaum fassen: Er habe gedacht, ein Buch für einige Wenige, für die happy few zu schreiben, so kommentierte er seine Auszeichnung selbst.

Und die Journalisten kommentierten weiter, dass die Jury wohl nur ein Kriterium für die Preisvergabe habe: dass die besten Autoren möglichst eine Philosophenglatze tragen, eben wie Georg Klein und Ulrich Raulff. Bei solchen Lästereien war das Schönste am großen Leipziger Messerauschen, dass jeder sich selbst aussuchen konnte, in welches Gespräch er wirklich eintauchte.

Andreas Rötzer: "Derzeit spüren wir noch keine Auswirkungen. Wir haben jetzt unsere Produktion, unsere Bücher eigentlich verändert, die Buchproduktion","

sagt Andreas Rötzer, der Leiter des Verlags Matthes & Seitz Berlin auf die Frage, ob die allgemeine Digitalisierung Auswirkungen auf einen kleinen literarischen Verlag wie den seinen hat. Denn dies war eine zentrale Frage auch in Leipzig: Welches Schicksal nimmt das gute alte Buch in Zeiten, da doch auch Bücher nichts anderes sind, als eine ausgedruckte Datei aus einem Textverarbeitungsprogramm. Der Verleger Andreas Rötzer reagiert differenziert:

""Wir machen qualitativ hochwertigere Bücher. Wir machen alle Bücher mit Fadenheftung, wir benutzen andere Materialien, hochwertigere Papiere, also es wird alles noch materialbewusster auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sind wir auch ins E-Book-Geschäft eingestiegen. Wir haben eine Art Testreihe laufen. Mit einer neuen kleinen Reihe, eine Science-Fiction-Reihe, die heißt 'Neue Welt'. Und die gibt’s gleichzeitig, also parallel mit Erscheinen des richtigen Buchs als E-Book."

Verleger Andreas Rötzer ist 1971 geboren, sein Unternehmen ist Mitglied beim Online-Portal Facebook – aber zum Digital-Euphoriker wird er nicht.

Die größte Distanz zur digitalen Welt könnte man bei den Liebhabern alter Bücher vermuten. In Leipzig stellten die Antiquariate dieses Jahr zum 16. Mal aus. In einer Ecke der Halle 3 waren die Farben anders als überall sonst, nämlich gelblicher, und die Bücher standen in Vitrinen. Eine Erstausgabe von Elias Canettis "Masse und Macht" zum Beispiel, ein Band von Thomas Bernard mit Widmung für 2400 Euro, oder eine Erstausgabe von Gerhart Hauptmanns "Buntem Buch", für 1200 Euro.

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist das Internet aus der Welt der alten Bücher nicht mehr wegzudenken. ZVAB.de heißt die Website, über die Tausende von Antiquariaten ihre Bücher vertreiben. Doch auch hier gibt es Vor- und Nachteile der Digitalisierung, sagt der Leiter der Antiquariatsmesse, Detlef Thursch:

"Das war anfangs ein Segen, weil: es war einfach, die Bücher da reinzustellen. In den ersten zwei, drei Jahren würd ich sagen, sind unsere Verkäufe dadurch explosiv nach vorne gegangen. Und dann kam aber auch schon bald der Fluch, weil: viele Kollegen haben dann aufgehört, Kataloge zu machen, viele Kollegen haben ihre Ladenlokale aufgegeben. Inzwischen findet dort ein unglaublicher Preiskampf statt. Das heißt, wenn heutzutage jemand ein Buch ins Internet stellt, guckt er nach: Wie ist der günstigste Preis im Augenblick? Und dann geht er hin und sagt: Na gut, dann mach ich’s halt nen Euro billiger. Und dadurch sind gängige Bücher preiswerter geworden, preiswerter geworden, preiswerter geworden … Es macht teilweise schon gar keinen Spaß mehr, Bücher einzustellen."

Im Netz tobt ein Preiskampf um alte Bücher, und die Leipziger Antiquariatsmesse hatte, wie die Buchmesse insgesamt, mehr Zulauf als in den vergangenen Jahren. Ausgerechnet bei den Antiquariaten lässt sich also etwas über die Zukunft des Buches erfahren: Am Internet und auch am elektronischen Lesegerät kommt niemand vorbei. Doch zugleich gewinnt das alte Buch an sinnlicher Qualität: Manche Leser wollen nicht nur lesen, sondern auch blättern und riechen.
Ulrich Raulff, Preisträger des Leipziger Buchpreises (Sachbuch) und Leiter des Literaturarchivs Marbach auf der Leipziger Buchmesse
Ulrich Raulff, Preisträger des Leipziger Buchpreises in der Kategorie Sachbuch© Deutschlandradio - Janine Wergin
Besucher der Antiquariatsmesse (im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2010)
Besucher der Antiquariatsmesse© Deutschlandradio - Janine Wergin