Das Glück sickert einfach weg

03.08.2007
Im neuen Erzählungsband von Arno Geiger geht es um die Malheurs des Lebens. In den zwölf Geschichten konzentriert sich der Autor auf die Versager und Erfolglosen, die ganz gewöhnlichen Pechvögel, die Mauerblümchen des Lebens und unscheinbaren Nesthocker des eigenen kleinen Elends. Manchmal gelingt Geiger ein Tonfall von verhaltenem Sarkasmus und unsentimentaler, lakonischer Härte.
"Was man im Leben verpasst, ist das Leben" - dieser Satz Richard Fords würde auch als General-Motto über dem neuen Erzählungsband von Arno Geiger taugen. In diesen zwölf Geschichten geht es um die Malheurs des Lebens: versäumtes Leben, verwartetes Leben, schief gegangenes Leben, fehlgelenktes Leben, gestocktes Leben, unerfülltes Leben - Leben, das auf falsche Hoffnungen vertan, auf die falschen Menschen gesetzt, auf die falschen Dinge vertrödelt wird.

Arno Geiger konzentriert sich auf die Versager und Erfolglosen, die ganz gewöhnlichen Pechvögel, die Mauerblümchen des Lebens und unscheinbaren Nesthocker des eigenen kleinen Elends, nicht jung, nicht attraktiv, nicht liebenswert - Unglückswürmer, deren unspektakuläre Misere niemandem auffällt und niemanden interessiert. Es passieren keine nennenswerten Tragödien oder großen Unglücksfälle in diesen Geschichten, es wird nicht dramatisch gescheitert - das Glück sickert einfach weg (wenn es denn je vorhanden war). Fröhlich stimmt einen das nicht.

Der Band ist in drei Sektionen à vier Geschichten unterteilt: Tage. Jahre. Leben. In "Tage" geht es um Leben im Querschnitt, um die punktuelle Ausleuchtung von Existenzen, nach Art von "Ein Tag im Leben des ... ". Ein exemplarischer, dabei aber unscheinbarer Stichtag wird herausgriffen, in dem ein ganzes Leben aufscheint.

In "Jahre" geht es beispielsweise um Ungeliebte, die jahrelang auf Reaktionen des oder der fernen Geliebten warten, auf Briefe, auf Mails, auf Anrufe, die nie kommen oder unverbindlich und nichtssagend bleiben, während das Leben verrinnt.

In "Leben" geht es um Leben im Längsschnitt: um einen Familienvater, dem plötzlich aus nichtigstem Anlass bewusst wird, dass er seine Ehefrau schon lange nicht mehr aushält; um einen Eisenbahn-Rentner oder eine Rathaus-Beamtin, die auf halbherzige Art ihrem Leben einen anderen Drall geben möchten, ohne dass ihr Leben deshalb weniger schäbig würde; um einen Spitalsarzt, der auf der Intensivstation um das Leben eines 12-jährigen Jungen kämpft und sein eigenes darin gespiegelt sieht.

Der Gefahr, dass die Stimmung zu eintönig grau ausfallen könnte, begegnet Arno Geiger mit einer ganzen Palette von unterschiedlichen Erzähltechniken: Rollenprosa; Telefon-Litanei; Gedächtnisprotokoll; vermischte Nachrichten aus der Zeitung; Tagebuch, et cetera. Manchmal gelingt dem Autor ein Tonfall von verhaltenem Sarkasmus und unsentimentaler, lakonischer Härte. Das sind dann auch die besten Geschichten. Wo hingegen die Pechvögel sich larmoyant und geschwätzig ausmähren, gehen einem die Geiger-Menschen gelegentlich sehr auf die Nerven.


Rezensiert von Sigrid Löffler

Arno Geiger: Anna nicht vergessen
Hanser, München 2007, 250 Seiten, 19,90 Euro