Das Gelobte Land - eine große Enttäuschung!

Moderation: Frank Meyer · 18.09.2007
Die Gattin des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert ist in Israel auch als Autorin bekannt. Ihren Roman "Ein Stück vom Meer" stellt Aliza Olmert gerade in Deutschland vor. Darin geht es um Holocaust-Überlebende, die in Palästina einen Neuanfang wagen und zugleich auf ihren alten kulturellen Gewohnheiten beharren. Das tun auch heute noch viele Einwanderer in Israel, sagte Olmert.
Meyer: Der Neuanfang in Israel - das ist das große Thema in dem Roman "Ein Stück vom Meer" von Aliza Olmert. Diesen Roman hat sie ganz nah an ihrem eigenen Leben entlang geschrieben. Sie werden das in dem Gespräch gleich merken: Aliza Olmert wechselt da immer nahtlos zwischen der Welt des Buches und ihrem eigenen Leben hin und her. Ich habe vor der Sendung mit Aliza Olmert gesprochen und sie gefragt: Die Geschichte wird aus der Perspektive der kleinen Alusia erzählt, in dem Roman ist sie anfangs drei Jahre alt, am Ende sieben, die Geschichte spielt in den Jahren 1949 bis 1953. Alusia erlebt mit, wie ihre Eltern in Israel ankommen, sie sieht, wie schwer der Neuanfang vor allem für ihre Mutter Anuschka ist. Warum ist das so schwer für ihre Mutter, in Israel anzukommen?

Aliza Olmert: Meine Mutter ist eigentlich nach Israel gekommen, weil auch mein Vater nach Israel kam. Sie hatte es nicht so geplant. Sie stellte sich Israel vor als irgendein Land dort draußen in der Wüste im Nahen Osten, vielleicht etwa so, wie sich Europäer heute Afrika vorstellen: Das ist irgendwo da draußen, ganz weit in der Ödnis.

Sie ist meinem Vater also gegen ihren eigentlichen Willen gefolgt. Was meine Mutter in Israel vorfand, hat dann eigentlich noch ihre Ablehnung gegen das neue Land bestärkt. Sie blieb ihr Leben lang das, was sie immer war: eine Angehörige der polnischen Bourgeoisie. Und eigentlich war dies ihre Botschaft: Ich will nichts damit zu tun haben, ich gehöre hier nicht dazu, ich bin kein Teil dieser neuen Gesellschaft. Ich spreche weiterhin polnisch, ich möchte diese seltsam klingende neue Sprache auch gar nicht lernen mit diesen ganzen "chch"-Lauten darin, denn die neue Sprache ging auch gegen ihre Vorstellung der linguistischen Ästhetik.

Im Grunde ist sie mit den linken Fuß aufgestanden, könnte man sagen. Es fing so an und so ging es dann auch weiter. Meine Mutter hat später eine polnische Bibliothek eröffnet, und diese Bibliothek wurde eine Art Treffpunkt für polnische Emigranten. Dort wurde über aktuelles gesprochen, dort kamen die polnischen Emigranten zusammen, dort sprachen sie über neue polnische Literatur. Ich wuchs also zum Teil mit der polnischen Kultur auf. So vermischten sich meine israelische Identität und der Teil meiner Identität, der polnisch war.

Meyer: Als ich das gelesen habe von Ihrer Mutter, die dort diese polnische Bibliothek aufbaut, man verlässt sie ja dann mit diesem Roman Anfang der 50er Jahre. Und ich habe mich gefragt, wie lange kann man so weiterleben, auf so einer polnischen Insel, in einem so ganz anderen Land? Kann man das ein Leben lang tun?

Olmert: Wissen Sie, Israel ist ja heutzutage eine Art Schmelztiegel unterschiedlicher Emigrationsherkunftsländer. Das heißt, wenn man in diesem Land unter sich bleiben möchte, dann kann man das sehr wohl tun. Man kann die Symbole des Lebens im Herkunftsland weiter aufrechterhalten, man kann mit den Eingewanderten aus der gleichen kulturellen Gemeinschaft zusammenbleiben. Das ist jetzt zum Teil so mit der russischen Gemeinschaft, mit den russischen Zugewanderten in Israel. Einige haben sich gut in die Gesellschaft integriert. Andere jedoch bleiben weiterhin gerne unter sich und fühlen sich auch überlegen in gewisser Weise. Meine Mutter hat das sicherlich bis ins Extrem getrieben, aber sie ist sicherlich auch kein Einzelfall unter den Eingewanderten.

Es ist interessant zu sehen, dass meine Mutter, obwohl sie wirklich zu den Opfern des Holocaust zu zählen ist - sie hat drei Jahre in einem Arbeitslager in Sibirien verbracht, weil sie nicht die richtige Kommunistin war, weil sie dafür nicht die richtigen Qualitäten hatte -, hat sie sich trotzdem immer an den schönen Werten und an den Erinnerungen ihrer Kindheit festgehalten. Meine Mutter kam aus einer wohlhabenden Familie, viele ihrer Familienangehörigen wurden getötet, die Häuser, die die Familie besaß, wurden enteignet, und trotzdem hatte meine Mutter immer diese Sehnsucht nach der Kindheit. Und meine Mutter hatte auf jeden Fall sehr viel Hochachtung vor der Kultur des Landes, aus dem sie kam.

Meyer: Bei dem Vater in dieser kleinen Familie liegen ja die Dinge ein bisschen anders. Sie haben das schon angesprochen. Er hat die Mutter, er hat die ganze Familie mit nach Israel, in diesen jungen Staat genommen, und er war voller Enthusiasmus, als er dorthin kam, aus verschiedenen Gründen. Einerseits glaubte er, da das Geschäft seines Lebens machen zu können, andererseits, so beschreiben Sie das in dem Buch, hatte er das Gefühl, er kehrt auf eine gewisse Art zurück in eine große Familie. Er stellt sich dieses Land vor wie eine große jüdische Familie und ist dann enttäuscht, als es dann doch ganz anders aussieht. Was meinen Sie, wie viele Einwanderer haben in dieser Zeit tatsächlich diesen ja auch naiven Glauben gehabt, wir sind dann dort eine große Familie?

Olmert: Ich kann Ihnen dazu keine genauen Zahlen geben, aber ich würde mal sagen, dass dieser Begriff des gelobten Landes für viele bedeutete, dass sie sich endlich wieder zugehörig fühlen wollten, dass sie sich akzeptiert fühlen wollten, dass sie das Gefühl haben wollten, hier kann ich sein mit meiner Identität, hier kann ich ein Teil des Landes und der Kultur sein. Nicht Angst haben zu müssen, die eigene Identität zu zeigen und sich vor allem auch mit der Kultur identifizieren zu können, sagen zu können, sagen zu können, diese Kultur, das bin ich, ich bin die Kultur.

Es hat mir das Herz gebrochen zu sehen, wie mein Vater ganz langsam Abstand nehmen musste von seinen Träumen, wie er ganz langsam realisieren musste, hier ist mein Traum, da ist das tägliche Leben, da ist die wirkliche Realität. Und es war ein langer Prozess der Enttäuschung, durch den er gehen musste.

Meyer: Wir haben noch gar nicht über Ihre Hauptfigur gesprochen, das Mädchen Alusia. Für die beiden Eltern ist das schwer, da anzukommen, aber für dieses Kind ist es zum Teil ja richtig bitter, wenn sie sagt, ich muss glücklich sein, ich muss ein fröhliches Kind sein, damit meine Eltern nicht auch noch meine Probleme tragen müssen. Ist das eine furchtbare Kindheit, wenn man so früh lernen muss, seine echten Gefühle zu verstecken?

Olmert: Ich glaube, dass es ganz normal ist, dass die Kinder irgendwie versuchen, bewusst oder unbewusst, das Verhalten ihrer Eltern zu erklären, zu rechtfertigen. Und ich habe schon ganz früh verstanden, dass ich meine Eltern retten würde können, dass ich sie vor diesem Gefühl beschützen könnte des Versagens und der Enttäuschung, wenn ich nur fröhlich wäre. Das Kind ist fröhlich, das war ein Satz, der meine Eltern unendlich erleichtert hat. Er wurde täglich wiederholt, ich habe es immer wieder gehört. Ich war im Grunde der Beweis dafür, dass alles in Ordnung war, dass alles okay war. Ich habe als Rechtfertigung gedient für den Schritt meiner Eltern, in dieses Land zu kommen.

Ich hatte eine ganze Reihe Techniken, mit denen ich mich in diese Rolle eingefügt habe. Zum Beispiel war ich sehr sportlich, ich habe täglich körperliche Übungen durchgeführt, Gymnastik gemacht, Kopfstände, denn dieses Bild diente dem Gegenpol zum Bild des nicht körperlichen Juden, dem man nachsagte, intellektuell zu sein, geistig aktiv zu sein, aber eben nicht körperlich aktiv. Und die Botschaft war, wer in diesem Land geboren ist, muss stark sein, muss das Land verteidigen können, und so müssen auch die Kinder erzogen werden. Die Kinder müssen ebenfalls stark sein. Und ich lieferte den Beweis dafür. Alles war in Ordnung. Ich passte mich sehr gut ein an die Erwartungen, die man an mich hatte, dass ich glücklich und fröhlich sein solle, aber ich denke, dass das eine sehr harte Aufgabe ist, wenn sie auf den Schultern eines Kindes lastet.

Meyer: Wenn Sie das so beschreiben für eine Kindheit, und Sie haben das ja selbst erlebt, wie prägt einen das für das weitere Leben, wenn man so früh schon eine Art Mutter und Vater sein muss für die eigenen Eltern, wenn man so früh schon so eine Last tragen muss?

Olmert: Es war damals nicht leicht und es ist eigentlich auch heute nicht leicht. Ich würde sagen, man wird dadurch sehr früh verantwortlich, vielleicht zu sehr. Und da gibt es auch noch einen anderen Aspekt. Ich entwickelte das Gefühl, dass die Erfüllung anderer, das Gefühl, erfüllt zu sein, von mir abhing, und ich nahm diese Verantwortung auf meine Schultern. Insofern ist es sicherlich auch kein Zufall, dass ich, als ich mich an der Universität einschrieb, zunächst Sozialarbeit studierte und dass ich mich jetzt für benachteiligte Kinder engagiere. Ich habe gerade eine neue Initiative begonnen, die sich Kindern in ihrer ersten frühsten Lebensphase zuwendet, und vermutlich hat das auch etwas mit meiner eigenen Kindheit zu tun.
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