Das Geld macht die Geschichte

05.01.2009
Pünktlich zur globalen Finanzkrise hat die kanadische Autorin Margaret Atwood ihr Buch "Payback. Schulden und die Schattenseite des Wohlstands" vorgelegt. In dem Band geht es aber nicht um ökonomische Analysen oder um Wege aus der Krise, sondern um Schulden unter kulturhistorischer und religionswissenschaftlicher Betrachtung.
Literatur ist normalerweise ein langsames Medium. Sie ist weniger der Tagesaktualität verpflichtet als den größeren historischen Zusammenhängen. Der kanadischen Autorin Margaret Atwood ist ein besonderer Sinn für präzises Timing allerdings nicht abzusprechen. Pünktlich zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hat sie ein Buch vorgelegt, in dem sie sich, ausgehend von der amerikanischen Subprime-Krise, umfassend mit dem Thema der Verschuldung auseinandersetzt.

Schuldner und Gläubiger, so ihre Ausgangsthese, sind Zwillinge, die durch ein abstraktes Konzept aneinander gekoppelt sind. "Vielleicht gibt es Schulden nur deshalb, weil wir daran glauben", schreibt sie und untersucht in der Folge "die Formen, die diese Einbildung angenommen hat – und ihre Auswirkung auf unser Leben." Dass das Finanzsystem auf Treu und Glauben und Größenordnungen wie "Vertrauen" basiert, das hat die Welt in diesen Monaten ja schmerzlich gelernt.

Fünf Vorlesungen hat Atwood im Rahmen der "CBC Massey Lectures" im November 2008 in fünf kanadischen Städten gehalten. Seit 1961 gibt es diese Lectures, die sich zu einer wichtigen Institution in Kanada entwickelt haben. Die Vorlesungen werden vom Radioprogramm "CBC Ideas" übertragen. Im Internet kann man sie unter der Adresse http://www.cbc.ca/ideas/massey.htmlnachhören. Daneben sind sie auch in Buchform erschienen. Die deutsche Übersetzung "Payback – Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands" wurde von fünf Übersetzerinnen nahezu simultan übersetzt, so dass sie fast gleichzeitig wie das englische Original vorliegt.

So weit Atwood in ihrer Analyse auch zurückgeht – nämlich bis in die Vorzeit und zu den Primaten, die auch schon ihr Gerechtigkeitsgefühl haben – so zielgenau landet sie in der aktuellen Gegenwart und schließlich in einem apokalyptischen Zukunftsszenario.

Wer ökonomische Analysen sucht oder gar konkrete Tipps, wie man aus der Schuldenfalle wieder herauskommen kann, wäre mit diesem Buch schlecht bedient. Atwood geht ihr Thema kulturhistorisch, religionswissenschaftlich, moralisch-ethnologisch, vor allem aber literaturgeschichtlich an und hat dabei stets auch einen feministischen Blick.

Schulden existieren nicht ohne Gedächtnis und ohne die Geschichten, die darüber zu erzählen sind. Im Schnittpunkt dieser Interessenslinien sitzt als eine zentrale Figur der Teufel. Kein Zufall, dass er häufig mit einem Buch in der Hand abgebildet wird. Dabei handelt es sich nicht etwa um die Bibel, sondern um eine Art Bilanzbuch, in dem eingetragen wird, welche Seelen ihm bereits verschrieben sind. Mit Doktor Faust gelang Mephisto ein besonders spektakulärer Handel. Doch auch bei weniger berühmten Seelen funktioniert das Geschäft stets nach dem selben Prinzip: Genieße jetzt, bezahle später – aber dann bis in alle Ewigkeit. So ist der Teufel die Urgestalt des Kreditgebers, der mit Hilfe seiner Schuldgeschäfte Gewalt über die Menschen gewinnt.

Schuldengeschichten sind ein originäres Thema der Literatur. Weil eine Lebensgeschichte ohne Geschichten kein Leben wäre, sind Schulden für viele Leute besser als nichts oder als bloß Langeweile. Schulden steigern das dramatische Potenzial. Sie sind Motor und Antrieb und sorgen dafür, dass überhaupt etwas passiert im Leben. Der Durchgang durch die hauptsächlich angelsächsische Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, von Dickens "Weihnachtsgeschichte" bis zu George Eliots "Die Mühle am Floss", führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass weniger Liebesprobleme, als vielmehr die Schuldendramen das Hauptmotiv bilden. Das Geld macht die Geschichte.

Doch damit nicht genug. Atwood wendet sich auch den Fällen zu, wo die Schuld nur noch mit Blut beglichen werden kann, wo es um Ehre und Vergeltung geht, wie etwa in Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig".

Im gewaltigen Schlusskapitel steigert sie ihre Verschuldungslehre bis in ein apokalyptisches Szenario hinein. Sie stellt sich vor, wie der alte Knauser Scrooge aus Dickens "Weihnachtsgeschichte" sich wohl heute verhalten würde und lässt ihn in seinem Landhaus in der Toscana von Alpträumen heimsuchen. Da begreift er, dass auch der menschliche Umgang mit der Natur ein gewaltiges, aus den Fugen geratenes System der Verschuldung ist. Der Aufkleber-Spruch "Wir haben die Erde nur geliehen" macht das deutlich. Irgendwann, vielleicht jetzt schon, wird der Menschheit auch hier die Rechnung präsentiert werden. Der Kredit auf die Zukunft ist dann ausgeschöpft. Der Teufel darf sich freuen.

Die ökologische Weltkrise führt Atwood mit Humor als literarisches Spiel vor. Gleichwohl kann daraus Wirklichkeit werden, und dann wird die Finanzkrise nur ein lächerlicher Prolog gewesen sein. Dass aber das Handeln, das Denken und das Schreiben nicht vergeblich sind, gehört zu den Grundüberzeugungen der politisch engagierten Autorin. Das ist bei ihr kein Widerspruch zu Originalität, Phantasie und literarischer Bildung. Mit "Payback", einem Buch voll überraschender Funde und Einsichten, hat sie das erneut bewiesen.

Rezensiert von Jörg Magenau

Margaret Atwood: Payback. Schulden und die Schattenseite des Wohlstands
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, Grete Osterwald, Sigrid Ruschmeier, Gesine Strempel und Brigitte Walitze
Berlin Verlag, Berlin 2008
250 Seiten, 18 Euro
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