Das Gedicht als Waffe

01.09.2009
Der Hang des russischen Dichters Ossip Mandelstam (1891-1938), sich gelegentlich in lebensgefährlicher Offenheit über sein Unbehagen an den Zuständen in Stalins Sowjetunion zu äußern, ist vielfach belegt. So viel Unbeherrschtheit hat mehrfach das Entsetzen von Freunden und Kollegen des Poeten hervorgerufen.
Sie zu deuten als Eruption eines politischen Cholerikers würde dabei zu kurz greifen. Mandelstams Unbehagen war vielmehr die Folge einer tiefergehenden Verletzung, die sein Selbstverständnis als Dichter betraf. Denn wo Stalins kulturelle Programmatik utilitaristisch nach den "Ingenieuren der menschlichen Seele" rief, sah Mandelstam schon früh ein bedrohliches Bild: "Die arme Poesie schaudert vor den auf sie gerichteten unzähligen Revolverläufen, den kategorischen Forderungen", schrieb er 1924. Zehn Jahre später waren aus den metaphorischen Revolverläufen echte geworden, denen sich gegenübersah, wer den kategorischen Forderungen des "sozialistischen Realismus" zuwiderhandelte beziehungsweise dessen Werke entsprechend interpretiert wurden.

Mandelstams Stalin-Epigramm, eine unverhüllte und böse Schmähung des Kreml-Diktators, ließ in dieser Hinsicht keine Fragen offen. Öffentlich verleumdet, gedemütigt und abgewiesen, wehrt sich der Dichter zum Schluss mit den Waffen, die ihm letztlich aufgedrängt wurden, mit einem politisch-pragmatischen Gedichtpamphlet, dessen Tendenz freilich alles andere als die gewünschte aufwies.

Robert Littells Roman inszeniert das Drama Ossip Mandelstams als ein Kammerspiel mit sieben Personen, die in wechselnden Monologen das Geschehen erzählen. Authentische Figuren (Mandelstam selbst, dessen Frau Nadeschda, aber auch Boris Pasternak und Anna Achmatowa sowie ein Leibwächter Stalins) kommen neben fiktiven (eine Schauspielerin, ein Zirkusartist) zu Wort. Das Spiel zeigt den Konflikt zwischen freiem Geist und tyrannischer Macht, die weiß, dass sie nur in den Produkten großer Kunst eine Chance auf Ewigkeit hat. Wer dabei die Mächtigen sind und wer die Ohnmächtigen, das steht von Beginn an außer Zweifel.

Littell gelingt es, den zentralen Konflikt sensibel und verständlich einzukreisen. Zwei (fiktive) ausgedehnte Gespräche zwischen dem Dichter und dem Diktator, die er als mögliche Träume Mandelstams präsentiert, loten dieses Verhältnis aus. Vor allem mit Hilfe der fiktiven Figuren zeichnet er dabei kenntnisreich das bedrückende Bild einer in Angst gehaltenen Gesellschaft, die dennoch in euphorische Wallungen zu versetzen war. Auch Mandelstam hat sich nach Jahren der Verbannung, zu der er nicht zuletzt wegen des Stalin-Epigramms verurteilt worden war, mit einer "Ode an Stalin" befasst, die in Littells Roman entscheidend zu seinem Untergang beiträgt. Derart falsch im Ton und schlecht war ihm diese "Ode" geraten, dass sie niemanden täuschen konnte.

Mit einem schlechten Werk aber ist keinem Tyrannen gedient, der Dichter, nun gänzlich nutzlos, wird erneut festgenommen, die Strapazen des Gulags führen schließlich (1938) zu seinem Tod.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Robert Littell: Das Stalin-Epigramm. Roman
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
Arche Literatur Verlag, Zürich und Hamburg 2009
397 Seiten, 22,00 Euro