Das ganze Verfahren ist "kurios"

Dominic Johnson im Gespräch mit Ulrike Timm · 14.07.2010
Der Prozess gegen Kongos Ex-Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sei erneut verschoben worden, weil es Unklarheiten über die Verantwortlichkeiten gebe, sagt der Journalist und Kongo-Experte Dominic Johnson. Bemba beteuert, seine Milizen hätten die Greueltäten vor acht Jahren unter Kommando der Zentralafrikanischen Republik - also einer legitimen Regierung - begangen.
Ulrike Timm: Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – das sind die Themen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Niemand, auch kein ehemaliger Machthaber, soll seiner Schuld entkommen – ein hoher Anspruch und eine schwierige Aufgabe, die immer wieder Rückschläge erfährt. Heute sollte eigentlich der Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der Demokratischen Republik Kongo Jean-Pierre Bemba beginnen, ein afrikanischer Schreibtischtäter, der in den Jahren des sogenannten Afrikanischen Weltkriegs vieltausendfachen Mord und Vergewaltigung befahl. Der Prozess wird verschoben auf unbestimmte Zeit – schon zum zweiten Mal. Warum es so schwer ist, diese Kriegsverbrechen nachzuweisen, dazu gleich mehr.

Dieser Prozess wegen Kriegsverbrechen gegen Jean-Pierre Bemba vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beginnt heute nicht, ist verschoben worden, schon zum zweiten Mal. Im Studio ist jetzt der Journalist und Kongo-Experte Dominic Johnson. Herr Johnson, was ist da passiert? Warum beginnt dieser Prozess heute nicht?

Dominic Johnson: Der beginnt heute nicht, weil es dem Gericht nach wie vor nicht gelungen ist, über Anträge der Verteidigung zu befinden, diesen Prozess gar nicht erst stattfinden zu lassen und das hat damit zu tun, wie kurios dieses ganze Verfahren ist. Bemba war ja Rebellenführer im Kongo, aber die Anklage gegen ihn hat nichts mit Verbrechen im Kongo zu tun, sondern mit der Zentralafrikanischen Republik, wie wir eben gehört haben. Gehen wir mal ganz kurz zurück ins Jahr 2002, da hat der Präsident der Zentralafrikanischen Republik, damals Ange-Felix Patassé, ein gewählter Präsident, sich eines Putschversuchs und einer Rebellion seiner eigenen Armee zu erwehren versucht, indem er Bemba gebeten hat, ihm Milizionäre über die Grenze zu schicken. Das hat Bemba dann auch getan. Diese Milizionäre haben dann mit der zentralafrikanischen Regierungsarmee Krieg gegen die Meuterer geführt und zwar einen ziemlich brutalen Krieg, das ist ziemlich unumstritten. Aber nun sagt Bemba und seine Verteidigung, und zwar nicht ganz zu unrecht: Das war ja auf Anforderung einer legitimen Regierung und ich habe meine Truppen da rübergeschickt, ich hatte nicht mehr das Kommando über sie, sondern das war die Zentralafrikanische Regierung derzeit, damals. Wenn das der Fall ist, dann ist es sehr schwierig, Bemba dafür zur Verantwortung zu ziehen, was seine Soldaten im Nachbarland gemacht haben. An dieser Problematik hängt das Verfahren eigentlich, seitdem es angefangen hat. Die Verteidigung hat immer wieder gesagt, das kann so gar nicht stattfinden und es gibt da immer wieder neue Anträge und das kommt einfach nicht vom Fleck. Schon vor einem Jahr stand ja Bemba kurz vor der Freilassung und das ganze Verfahren vor dem Zusammenbruch. Dann hat es da einen neuen Anlauf gegeben, aber es kommt eben wegen dieser Unklarheit der Verantwortlichkeit nicht wirklich weiter.

Timm: Das sind jetzt die rechtlichen Labyrinthe. Dass der Mann Schuld auf sich geladen hat, ist sehr, sehr unumstritten. Wie kommt das eigentlich, dass man ihm diese Schuld auch mittels Zeugen zum Beispiel, dass man ihm die so schwer nachweisen kann?

Johnson: Na ja, weil, wie gesagt, wenn jemand Soldaten zu Hilfe zu einer anderen Armee schickt und die dann da etwas machen, dann …

Timm: Er ist ein Schreibtischtäter.

Johnson: … kann man nicht sagen, dass der General selber dafür verantwortlich war. Es wäre ja viel einfacher, Bemba wegen Kriegsverbrechen im Kongo zu belangen. Da ist seine Verantwortung klar: Er war der Führer einer Rebellenarmee, die Kriegsverbrechen begangen hat nachweislich. Das wird aus politischen Gründen nicht gemacht, wohl vor allem deswegen, weil man unter so einem Vorwurf eigentlich die gesamte politische Klasse des Kongo nach Den Haag bringen müsste, auch den jetzigen Präsidenten Joseph Kabila, der ja damals auch Krieg geführt hat und dessen Armee sich genauso schwerer Verbrechen … genauso schwerer Verbrechen schuldig ist.

Timm: Wenn da die Art, mit Menschen umzugehen, gar nicht so sehr gewechselt hat im Kongo, wenn Sie sagen, der jetzige Präsident müsste dann auch vor Gericht stehen – wie wichtig wäre dann überhaupt ein verurteilter Kriegsverbrecher in Den Haag für seine Landsleute im Kongo?

Johnson: Wie auch immer so ein Verfahren ausgeht und ob das jetzt gegen Bemba tatsächlich stattfindet oder auch gegen einen von den kongolesischen Milizenführern, die in Den Haag einsitzen – da sind ja mehrere inzwischen –, das hat natürlich Signalwirkung in die eine oder andere Richtung. Eine Verurteilung hat Signalwirkung, dass man sagt: Es wird etwas getan gegen Straflosigkeit, ein Freispruch oder, noch schlimmer, ein Zusammenbruch des Verfahrens, bevor es überhaupt stattfindet, wird ja dann als Freispruch gesehen im Land. Deswegen ging ja letztes Jahr doch große Befürchtung um, als gegen Bemba zunächst einmal Haftverschonung erlassen wurde. Das wurde ja im Kongo von seinen Anhängern gleich wie ein Freispruch gewertet. Dann kam es zu der Haftverschonung nicht, aber das Land guckt natürlich sehr genau nach Den Haag und sieht gleichzeitig, dass da eine sehr selektive Justiz betrieben wird, denn der kongolesische Krieg hat sehr viele Täter, sehr viele direkte Täter und Schreibtischtäter, und nur drei oder vier davon werden in Den Haag gerichtet und die anderen nicht, je nachdem, in welcher Position sie dann während des Friedensprozesses waren. Die einen kamen in die Regierung, die anderen gingen nach Den Haag. Das ist ein unhaltbarer Zustand eigentlich auf Dauer, denn die Verantwortung für Kriegsverbrechen ist eigentlich allgemein verteilt.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Dominic Johnson über Kriegsverbrechen im Kongo und die Schwierigkeit, sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auch zum Prozess zu bringen. Herr Johnson, nun sind Sie viel im Kongo gewesen und haben das Land über viele Jahre begleitet. Es ist immer wieder eine Wirrnis aus Gewalt, ein uferloses Gewirr von Auseinandersetzungen. Der bitterarme Kongo steckt voller Bodenschätze, das spielt auch immer noch eine Rolle. Nun gab es 2006 demokratische Wahlen im Kongo, die überraschend ruhig ausgetragen werden konnten und seitdem hört man nicht mehr allzu viel. Wie demokratisch und rechtsstaatlich ist denn die Demokratische Republik Kongo heute?

Johnson: Na ja, die Wahlen, die waren ein Erfolg, Kabila gegen Bemba damals, 58 Prozent für Kabila, 42 für Bemba, das war eine gute Wahl, das hat funktioniert, das ist ordnungsgemäß gelaufen. Es gibt aber inzwischen keine … Der Kongo hat sich nicht zu einem Rechtsstaat, zu einer funktionierenden Demokratie entwickelt dadurch und er ist nach wie vor sehr arm. Ein Beispiel aus der letzten Zeit, was im Kongo selber sehr große Unruhe erregt hat, ist der Mord an dem führenden Menschenrechtler des Landes, Floribert Chebeya, der hat eine Menschenrechtsorganisation geleitet, die schon seit sehr Langem auf Willkür und Machtmissbrauch der Regierung hinweist. Er wurde zum Polizeichef geladen und am Tag danach tot in seinem Auto aufgefunden. Und Chebeya war eben dabei, auch zu versuchen, gegen den Präsidenten Kabila eine Klage beim Strafgerichtshof einzureichen. Das wusste der Präsident und der Polizeichef auch und man hat ihn aus dem Weg geräumt, um das zu verhindern. Daran sehen Sie, dass sich nicht wahnsinnig viel getan hat in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und ich denke, was den Kongolesen immer mehr auffällt jetzt, ist: Es hat keine Aufarbeitung des Krieges gegeben, keine Verfolgung der Kriegsverbrechen im Lande selber, was man ja eigentlich bräuchte, irgendetwas im Sinne einer Wahrheitskommission, eines Versöhnungsprozesses, auch Kriegsverbrecherprozesse im eigenen Land, wo alle Parteien vor Gericht stehen – das hat es nicht gegeben. Es herrscht ein großes Schweigen über das, was im Krieg passiert ist, und man weiß, da sitzen ein paar in Den Haag und die werden wahrscheinlich verurteilt, aber wir selber, wir im Kongo haben nicht die Möglichkeit, offen darüber zu reden, wer welche Verantwortung trägt für die Sachen, die in den letzten 15 Jahren geschehen sind.

Timm: Gibt es denn irgendjemanden, dem Sie zutrauen würden, dass er dieses Schweigen bricht?

Johnson: In der politischen Klasse kann man das so nicht sagen. Ich denke, die Frage ist, ob die Internationale Gemeinschaft, die ja dem Kongo mit sehr viel Geld und sehr vielen Truppen unter die Arme greift, darauf besteht, dass es einen solchen Prozess vielleicht mal gibt. Es ist ja nicht zu spät. Es stehen nächstes Jahr Wahlen an, das Land muss sich politisch weiterentwickeln. Die UN-Mission steht vor dem Rückzug, aber auch da gibt es viele Diskussionen: Was bleibt dann, wie soll das weitergehen? Da müsste diese Frage der Aufarbeitung von Verbrechen auch eine Rolle spielen.

Timm: Der Journalist und Kongo-Experte Dominic Johnson über die Aufarbeitung und die Nicht-Aufarbeitung von Verbrechen im Kongo. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch im Studio!

Johnson: Vielen Dank!
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