"Das ferne Land" am Münchner Volkstheater

Eine große Geschichte über die Familie

Luise Deborah Daberkow, Gregor Knop, Silas Breiding in "Das ferne Land" von Jean-Luc Lagarce in einer Adaption von Nicolas Charaux
Luise Deborah Daberkow, Gregor Knop, Silas Breiding in "Das ferne Land" von Jean-Luc Lagarce in einer Adaption von Nicolas Charaux © (c) Gabriela Neeb
Christoph Leibold im Gespräch mit Marietta Schwarz · 01.03.2018
Nicolas Charaux ist ein junger französischer Regisseur, der sich für das Münchner Volkstheater an einen Stoff seines Landsmannes Jean-Luc Lagarce wagte. Charaux' Arbeiten konnten unseren Kritiker bereits zuvor überzeugen - hier verrät er, was er von seiner Adaption von "Das ferne Land" hält.
Jean-Luc Lagarce ist hierzulande nahezu unbekannt. In seiner Heimat Frankreich dagegen zählt er zu den meistgespielten Dramatikern. Er starb 1995 an Aids, mit nur 38. Am Münchner Volkstheater hat sein Landsmann Nicolas Charaux jetzt Lagarces letztes Stück inszeniert: "Das ferne Land".
Louis ist todkrank. Nun reist er zurück zu seiner Familie, in eine Kleinstadt, die ihm so fremd geworden ist wie ein fernes Land. Neben die biologische ist eine zweite Familie getreten: Louis‘ Freunde. Seine Wahlverwandten. Die Wiederbegegnung mit der alten Familie birgt natürlich Konfliktpotenzial, und tatsächlich entzünden sich die Dialoge des Stücks an entsprechenden Reibungspunkten. Wer da nun aber meint, die Handlung steuere auf Eskalation zu, sieht sich getäuscht. Die großen Verwerfungen bleiben aus.

Scheinbar unspektakulär

"Das ferne Land" ist ein scheinbar unspektakulärer und gerade in dieser Unaufgeregtheit aufregender Text, der danach fragt, was Menschen aneinander bindet, wieso sie engen Banden oft (vergeblich) entfliehen wollen, und zugleich Bindungen suchen, die ihnen Halt geben in diesem kleinen, kurzen Leben.
Nicolas Charaux inszeniert das im trostlos leeren Bühnenraum von Pia Greven anfangs als eine Art Familienaufstellung, in der sich Louis‘ zwei Familien wechselseitig beobachten und die Menschen scheu umkreisen wie einsame Planeten. Später verwickelt Charaux die SchauspielerInnen in rätselhafte Choreografien. In einer surrealen Sequenz scheinen Tote und Lebende unter bunten Glühlampen ein gemeinsames Fest zu feiern, Blumen werden in Gruppen in den Bühnenboden gepflanzt, aber man weiß nicht so recht: sind es Frühlingsbeete oder Grabfelder?
Das alles wirkt einfach, aber nie eindeutig, zugleich aber auch nicht beliebig, und passiert mit einer Selbstverständlichkeit, die einem beim Zuschauen gleichwohl immer wieder den Atem raubt, weil man spürt: Hier geht es um nichts weniger als alles. Um das ganze Leben.
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