Das Dorfladen-Phänomen

Alle wollen ihn, nur wenige kaufen dort ein

Ehrenamtlich steht Chris Besenhard im Dorfladen Grambow hinter der Kassen.
Der Dorfladen in Grambow bei Schwerin. An der Kasse: Chris Besenhard. © Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 08.01.2019
Grambow hat, was vielen anderen Dörfern fehlt: einen Laden für die tausend kleinen Dinge des Alltags. Die Genossenschaft mit 59 Mitgliedern am Leben zu halten, ist aber gar nicht so einfach. Zuwenige Grambower lassen als Kunden ihr Geld hier.
Wer Grambow bei Schwerin erreicht, kommt nicht ohne weiteres auf den Dorfladen zu. Gut, dass es an jeder Ecke ein großes Hinweisschild gibt. So ist der Flachbau an seinem verwinkelten Standort nicht zu verfehlen.
Beim Betreten fällt sofort auf, wie geräumig und hell der Laden ist. Links die Einkaufswagen und das erste Regal mit Hygieneartikeln, dahinter ein gutsortierter Zeitungsständer, ein langer Tisch und Stühle für gesellige Treffen. Rechterhand fällt der Blick zunächst auf ein freistehendes kleineres Regal, und Chris Besenhard erklärt:
"Tja, das sind Trockenprodukte wie Nudeln und Reis, und dann geht es eben durch das ganze Sortiment. Wir haben über tausend Produkte, fast alles."
Es ist ein Donnerstagvormittag und die erste Schicht von 8 bis 11 Uhr geht dem Ende entgegen. Chris Besenhard steht ehrenamtlich an der Kasse und trägt eine weinrote Schürze. Darauf in Weiß: "Unser Dorfladen Grambow eG".

Der DDR-Konsum schloss Anfang der 90er-Jahre

Der Laden funktioniert als eingetragene Genossenschaft, und Chris Besenhard ist einer der 59 Genossen, die einen Anteil von jeweils mindestens 200 Euro erworben hatten. Das war 2014 nach dem Beschluss des Gemeinderates, einen oft geäußerten Wunsch der Bevölkerung umzusetzen und dem Dorf wieder einen Laden für die tausend kleinen Dinge des Alltags zu verschaffen. Der letzte war der DDR-Konsum, der gleich nach der Wende Anfang der 90er-Jahre dicht machen musste.
Aussenansicht des Dorfladens in Grambow bei Schwerin.
Der Dorfladen in Grambow: Der Gemeinderat setzte, einen oft geäußerten Wunsch der Bevölkerung um.© Silke Hasselmann
Birgit Beutin zieht es wie so oft auch heute zunächst zum Obst- und Gemüsestand - klein, aber fein und zum großen Teil aus der Region bestückt. Sie lässt einen Weißkohl wiegen und erzählt dabei, dass sie und ihr Mann etwa 60 Prozent ihres Einkaufs hier im Dorfladen erledigen:
"Weil man auch schon in dem Alter ist, wo man auf weite Wege gern verzichten möchte und vor allem: Hier gibt es tausend Produkte und das ist immer was dabei. Gerade Bio-Produkte: frische Eier, Bio-Milch, Bio-Butter."
Chris Besenhard: "Ja, das ist uns eigentlich ganz besonders wichtig, wie wir uns als Dorfladen von anderen Läden abheben können. Also wir haben die Imker-Produkte von unserem dorfeigenen Imker, Herrn Bolte. Wir haben ausgewählte Bio-Produkte von der Bioland-Gärtnerei Dirk von der Ehe im Angebot, Wildfleisch von hiesigen Jägern und eigentlich das Allerwichtigste sind unsere Backwaren von der Bäckerei Klug aus Gadebusch. Das ist für uns besonders wichtig, dass wir wirklich richtige Bäckerware hier anbieten und nicht aufgebackene Brötchen. Das würde zwar alles viel einfacher machen. Aber wir wollten dort diesen Standard einhalten."

Eine Frischfleischtheke übersteigt die Möglichkeiten

Mit einer Frischfleischtheke habe es hingegen nicht geklappt, ergänzt Karin Jaskulke. Die kleine, silberhaarige Seniorin kümmert sich ehrenamtlich um den Einkauf für den Einkauf - sprich: um die Warenbestellung. Das Problem mit frischer Fleisch- und Wurstware:
"Bei Fleisch brauchten wir einen Fleischer-Fachverkäufer. Ansonsten darf man diese frischen Produkte nicht anbieten. Hätten wir zwar gern gemacht. Aber das übersteigt dann unsere Möglichkeiten."
Auch in anderen Belangen hätten sich die Dorfladen-Enthusiasten anfangs vertan, lacht Chris Besenhard, der seit 1997 in Grambow lebt.
"Alles, alles hatten wir uns einfacher vorgestellt. Wesentlich mehr Kundenzulauf hatten wir uns vorgestellt. Wir haben etwa 60 Prozent von dem prognostizierten Umsatz und haben dann noch mal das Konzept umstellen müssen."

Ehrenamtliche Helfer sichern das Überleben

Schon ein Jahr nach der Eröffnung mussten sie eine bezahlte Verkäuferin entlassen und eine weitere auf 20 Stunden pro Woche heruntersetzen. Der Dorfladen wäre längst Geschichte ohne die Hilfe von Ehrenamtlichen und Schülern wie Alina Skobeck, die sich hier etwas dazuverdient.
"Wenn ich Ferien habe, bin ich häufiger hier. Aber sonst in der Woche muss ich gucken wegen der Schule, weil ich die immer bis 16 Uhr habe, immer freitags oder samstags."
"Sind Sie denn auch als Kundin gelegentlich hier im eigenen Dorfladen?"
"Ja, gelegentlich. Also wenn ich irgendwie mal morgens Hunger habe, dann hole ich mir auch Brötchen. Oder wenn was zu Hause fehlt, gehen wir auch kurz hier einkaufen."
Durch eine kleinen rückwärtigen Küchenraum miteinander verbunden: der Dorfladen und die Bibliothek im Gemeindehaus. Dort empfangen Birgit und Werner Beutin einmal wöchentlich Vor- und Grundschulkinder zum Karten- oder Würfelspielen. Die Beutins gehören zum Förderverein des Dorfes und auch zur Genossenschaft "Unser Dorfladen".

Ladenmiete zu einem symbolischen Preis

Gut, dass die Gemeinde den Mietpreis für den Laden auf einen symbolischen Wert gesenkt hat, sagt Werner Beutin. Denn obwohl die Grambower den Laden gut finden, lassen zu wenige ihr Geld hier. Eine Ursache: Die Preise liegen etwas höher als bei Aldi oder Lidl. Eine andere: Entwöhnung.
"Grambow hatte jahrzehntelang keinen Konsum mehr, muss ich mal so sagen, und hier in Grambow arbeiten die wenigsten Menschen. Die fahren nach Schwerin zur Arbeit, nach Hamburg oder sonst wohin, und was macht man bei dem Riesenangebot in den Städten? Nach Feierabend wird der Wagen einmal vollgeladen und man kauft für eine Woche oder zumindest für einen längeren Zeitraum ein. Tja, und daran kranken wir ein bisschen."
Schilderwald, der auf den regen Verkehr zum und vom Dorfladen hinweist.
Schilderwald, der auf den regen Verkehr zum und vom Dorfladen hinweist.© Silke Hasselmann
"Ja, und dann mit den älteren Leuten ist meine Feststellung, dass die Kinder von den älteren Leuten mit ihren Müttern oder Vätern einkaufen fahren, damit sie mal rauskommen. Ich habe die Älteren auch schon gefragt: 'Warum kommt ihr nicht hier einkaufen?' 'Ja, dann kommen wir ja gar nicht mehr aus dem Dorf raus!'"

Hoffen auf junge Familien aus dem Neubaugebiet

Es ist ein bisschen wie nach der Wiedervereinigung, als alle Welt nur noch in den neuen großen Supermärkten auf der grünen Wiese einkaufte und sich dann wunderte, dass die kleinen Läden im Dorf oder in der Innenstadt eingingen. Doch gerade werde ein neues Baugebiet für junge Familien erschlossen. Das lasse auf mehr Kunden, Umsatz und sogar Genossenschaftsmitglieder hoffen, so die Beutins.
Vor dem Dorfladen auf dem Spielplatz: eine junge Frau mit ihren zwei Kindern. Es ist kurz nach 11 Uhr, der Laden hat geschlossen. Wenn er von 15 bis 18 Uhr wieder öffnet, könne es sein, dass auch sie hineinschaut, und wenn nicht heute, dann morgen - sagt sie. Denn:
"Ich mache da jetzt nicht meinen Wocheneinkauf. Aber wenn man mal was braucht, flitze ich schnell rüber. Wir sind regelmäßig hier. Wir sind auch erst vor zwei Jahren hergezogen und ich hätte nicht gedacht, dass hier tatsächlich so ein gutes Angebot gibt. Gerade dass man nicht noch mal mit dem Auto los muss, so wie ich jetzt mit meinen zwei Kindern, dass ich nicht noch mal alles extra einpacken muss. Finde ich sehr wichtig. Ja."
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