Das Dilemma der Klimaforscher

Wie politisch darf Wissenschaft sein?

Ein einzelner Baum ohne Blätter in einer Wüstenlandschaft. Der Boden ist bedeckt von Steinen, im Hintergrund sind Dünen und blauer Himmel zu sehen.
Es wird auf der Erde nicht kälter - so viel steht fest. Doch wie schnell schreitet die Erderwärmung voran? © imago/blickwinkel
Von Boris Schumatsky · 29.11.2018
Klimawissenschaftlerinnen haben ein Kassandra-Problem: In ihrem Forschungsfeld tauchen immer wieder neue Gefahren auf. Gleichzeitig müssen sie miterleben, wie manche Politiker ihre Ergebnisse nicht ernst genug nehmen und Klimaleugner sie auf „schwarze Listen“ setzen.
"Ganz ehrlich, und darauf bin ich nicht stolz. Wir reden nicht über den Klimawandel auf Partys. Vielleicht ist es nachteilhaft für die ganze gesellschaftliche Debatte."
Kathleen Mar ist jetzt nicht auf einer Party, sondern in einem Berliner Café. Die Atmosphärenchemikerin arbeitet am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam, davor war sie Mitarbeiterin der EPA, der Umweltbehörde der USA. Der Klimawandel sei dort schon lange kein safe topic, kein sicheres Thema mehr, und nicht allein deswegen, weil das Problem zu ernst für einen Smalltalk ist.
Die Klimawissenschaft hat ein Kassandra-Problem. Einerseits tauchen in ihrem Forschungsfeld fast jährlich neue Gefahren auf: Häufung von Extremwetterereignissen wie Stürme oder Hitzewellen, oder die sogenannten Kipp-Elemente, die schlagartig das Klima verändern können.
Andererseits müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitansehen, wie die Politik ihre Ergebnisse nicht ernst genug nimmt. Und schließlich wird ihnen vorgeworfen, den menschengemachten Klimawandel ganz erfunden zu haben. Das ist inzwischen aus den höchsten Etagen der Politik zu hören, vom amerikanischen Weißen Haus bis hin zum Deutschen Bundestag.

Die Gesellschaft vor Gefahren warnen

"Herr Präsident! Werte Kollegen! Werte Zuschauer auf den Tribünen, vor allem die Patrioten von Pegida Dresden – herzlich willkommen im Deutschen Bundestag! Deutschland hat Riesenprobleme. Sie wurden alle von den schon länger hier Sitzenden herbeigeführt. Das sind zuvorderst die Migrationskrise, die Euro-Krise, aber auch eine nur in der Fantasie grüner Ideologen existierende Scheinkrise. Ich spreche vom Klimawandel, der nicht anders, nicht schneller, nicht steiler, sondern eher deutlich moderater verläuft als in den letzten Jahrtausenden. Er wird aber seit Jahrzehnten und immer schriller in eine apokalyptische Gefahr umgedeutet."
Wie löst die Klimawissenschaft dieses Dilemma: Die Gesellschaft vor Gefahren zu warnen, die man klar vor Augen hat, und dennoch nicht aufgrund eines angeblichen Alarmismus in Verruf zu geraten? Für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es nicht selbstverständlich, öffentlich über die Folgen des Klimawandels zu sprechen. Stephan Pfahl hat seit wenigen Monaten seine erste Professur an der FU Berlin, und gesteht, dass er sich Sorgen macht.
"Ich kann es vielleicht ein bisschen konkret sagen. Wo ich mir am meisten Gedanken mache, sind gesellschaftliche Folgen, die das Ganze haben wird. Ich mache mir nicht so viele Gedanken darum, dass für mich persönlich die Lebensbedingungen nicht mehr ganz so gut sind, weil es im Sommer drei oder vier Grad wärmer ist. Auch eine negative Konsequenz für mich persönlich ist nicht das, was für mich im Vordergrund steht. Was mir schon Gedanken macht, ist, dass in den schlimmsten Szenarien der Meeresspiegel einen Meter steigt und Millionen von Menschen nicht mehr dort leben können, wo sie im Moment leben. Und natürlich bin ich dann noch betroffen, wenn ich Bilder von Flüchtlingen sehe, die aufgrund von Naturkatastrophen vertrieben werden, und wenn ich weiß, dass das wahrscheinlich in der Zukunft viel mehr zunehmen wird."

Stephan Pfahls älterer Kollege Wolfgang Lucht ist Professor am Potsdamer Institut für Klimaforschung, der wohl bekanntesten Einrichtung der Klimawissenschaft in Deutschland. Die Leugner einer menschengemachten globalen Erwärmung verhöhnen es als "Institut für Klimamärchen". Dennoch hält es Wolfgang Lucht für seine moralische Pflicht, vor den Folgen des Klimawandels zu warnen.
"Als Wissenschaftler, insbesondere als Erdsystemwissenschaftler, lernt man eine Menge Dinge, versteht eine Menge Dinge, weiß eine Menge Dinge, die nicht leicht zu verstehen sind. Weil die Erde ein sehr komplexes System ist, und das Wissen ist enorm gewachsen in den letzte Jahrzehnten."
Ein Ballon mit der Aufschrift "Es gibt keinen Planet B." ist vor Braunkohlekraftwerken bei Kerpen zu sehen - aufgenommen am Rande des Landesparteitags der nordrhein-Westfälischen Grünen, der im Oktober 2018 am Hambacher Forst stattfand.
"Es gibt keinen Plant B." - Demonstrationen gegen den Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen.© Ina Fassbender/ dpa
Die Ergebnisse der weltweiten Klimaforschung werden für die Gesellschaft und Politik durch den Klimarat der Vereinten Nationen zusammengetragen. Für die Nichtwissenschaftler bleiben die IPCC-Berichte aber oft schwer nachvollziehbar. Deswegen arbeitet Wolfgang Lucht, wie auch viele Kollegen an seinem Institut für Klimaforschung, auch direkt mit der Politik zusammen.
Er ist Mitglied im Sachverständigenrat, der die Bundesregierung in Umweltfragen berät. Die engagierten Wissenschaftler sehen sich dann oft mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Ergebnisse im Auftrag der Politik zu fälschen.

"Am Ende sind die Wahrheiten schon die Wahrheiten"

Manche Gespräche für dieses Feature wurden in Anwesenheit von Mitarbeitern der Pressestellen geführt, manchmal lag zur Kontrolle ein eigenes Aufnahmegerät dabei oder die Aussagen mussten nochmals zur Autorisierung vorgelegt werden.
"Es wird zunehmend versucht, so zu tun, als ob wissenschaftliche Befunde oder Schlussfolgerungen daraus eine Frage politischer Meinung sind, des Lagers, in dem man steht. Es wird als Teil des politischen Prozesses verstanden. Aber so ist es nicht. Am Ende sind die Wahrheiten schon die Wahrheiten, und um die wird man sich nicht beliebig rummogeln können. Bei manchen politischen Fragen, die mit Gerechtigkeit zu tun haben, kann man es vielleicht so oder so machen, die einen finden das gerecht, die anderen ungerecht. Es ist ein echter politischer Diskurs, zum Beispiel zwischen links und rechts."

Dass Treibhausgase, etwa Kohlendioxid, die Atmosphäre erwärmen, ist wissenschaftlich bewiesen. Darauf muss Lucht immer wieder bestehen. Menschen, die diesen Fakt leugnen, überschütten die Wissenschaftler mit Postings und Emails, und Ute Fehrenbach, Klimatologin an der Technischen Universität Berlin, hat sich abgewöhnt, darauf zu reagieren.
"Früher habe ich die Fakten und Daten und Ergebnisse aufgezählt. Ich habe keine emotionale Reaktion gezeigt. Aber das war nicht unbedingt das, was die Leute hören wollten."
Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
„Es wird zunehmend versucht, so zu tun, als ob wissenschaftliche Befunde eine Frage politischer Meinung sind.“ – Klimaforscher Wolfgang Lucht© Britta Pedersen dpa/ lbn

Klimaleugner sprechen von einer "Ökodiktatur"

Die Frage, die von den Leugnern der wissenschaftlich belegbaren Tatsachen wohl am häufigsten gestellt wird, lautet: "Warum lügen Sie uns an?" – Und sie wissen schon die Antwort. Wie dieser Nutzer mit einem Profilbild, auf dem "Ökofaschismus? Nein danke!" prangt. Er weiß, dass bald eine "Weltumspannende Klimadiktatur droht". Das ist ein wichtiger Grundsatz dieser Szene.
"Eine Ökodiktatur findet übrigens bereits statt. Wenn auch politisch verdeckt, hat sie sich im gesellschaftlichen Leben längst manifestiert. Im Gegensatz zum anthropogenen Klimawandel gefährden die Ideen der Anhänger dieser Diktatur meinen Wohlstand erheblich."
Die Klimawissenschaftler müssen damit leben, jederzeit als Handlanger dunkler Mächte beschimpft zu werden.
"Ich finde es echt unmöglich, dass die Klima-Lüge hier als völlig normaler Fakt angenommen und nicht hinterfragt wird. Die Rothschild-Banken lassen grüßen."
"Ich habe aufgehört, per Email überhaupt darauf zu antworten, weder sachlich noch emotional. Weil ich nicht den Eindruck habe, dass ich die Leute mit Argumenten erreiche. Ich denke mir manchmal, es ist eine bestimmte Klientel, nicht mit Argumenten überzeugbar, weil sie nicht bereit ist, Argumente zu hören und darüber nachzudenken. Und viele Klimawandelleugner gehören zu dieser Klientel."

Wissenschaftliche Evidenzen werden geleugnet

Sie bezeichnen sich selbst als Skeptiker oder Kritiker der Klimapolitik. Achim Brunnengräber, Politikwissenschaftler am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin, hat diese Szene ausgiebig studiert. Er plädiert in seiner Studie für präzisere Bezeichnungen:
"Der Begriff Klimaleugner ist dann dem des Klimawandelleugners vorzuziehen, denn nicht immer wird der Klimawandel an sich verneint. Stattdessen steht die Verneinung der Ursache Mensch im Vordergrund."
Hier werden wissenschaftliche Evidenzen geleugnet. Denn für die menschengemachte globale Erwärmung gibt es eine überwältigende Menge an Belegen, die Forscher weltweit und unabhängig voneinander gesammelt haben. Andererseits schlichen sich in die mehrere Tausend Seiten umfassenden IPCC-Berichten im Laufe der Jahre einige Fehler ein, die ein starkes Echo in den Medien hatten. Auch deswegen gehöre Skepsis unbedingt zu einer echten Wissenschaft, sagt Brunnengräber.
"Es gibt die Klimaskeptiker, die sagen: Wir wissen vieles noch nicht. Das ist erst einmal eine Aussage, die jeder Wissenschaft nicht nur zusteht, sondern die in der Verantwortung der Wissenschaft liegt, Skeptizismus zu artikulieren. Auch im IPCC ist Skeptizismus angesagt, wenn die Ergebnisse zusammengetragen werden, muss gefragt werden: Sind sie valide, sind sie fundiert, ist es eine belastbare Aussage, die wir hier treffen? Überall in der Wissenschaft spielt der Skeptizismus eine Rolle. Es gibt aber diejenigen, die sagen: Diese ganzen Klimawissenschaften, die Ergebnisse des Intergovernmental Panel on Climate Change, der Weltklimarates, sie sind gar nicht valide. Wir haben eine andere Wissenschaft, andere wissenschaftliche Ergebnisse, die valide sind!"

Der Klimawandel und die "alternativen Fakten"

Diese andere Wissenschaft basiere auf sogenannten "alternativen Fakten" – ein Phänomen, das einen politischen Ursprung hat.
"Unser Pressesprecher nannte alternative Fakten", sagte eine Beraterin von Donald Trump über die Besucherzahlen bei Trumps Amtseinführung. Diese Zahlen wurden deutlich übertrieben, sollten aber nun als Fakt gelten, eine gleichberechtigte Alternative zur echten Zahl.

Der US-Präsident veranlasste den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und wies die Umweltschutzbehörde EPA an, verschiedene Vorschriften zur Reduzierung der Treibhausgase zu streichen. Das Agrarministerium wurde angewiesen, keine Begriffe der Klimawissenschaft mehr zu gebrauchen.
Der Begriff "Klimawandel" soll durch "Wetterextreme" ersetzt werden. Statt "Reduktion von Treibhausgasen" soll "Herausbildung organischer Stoffe in den Böden" verwendet werden.
Demonstration gegen die Klimapolitik von US-Präsident Donald Trump. Demonstranten tragen eine Schild mit der Aufschrift "Das ist nicht normal. LA wehrt sich".
Demonstration gegen die Klimapolitik von US-Präsident Donald Trump.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm

"Man geht den Klimaleugnern auf den Leim"

Die Wissenschaft selbst, ihre Sprache wird zum Politikum. Das passiere auch in Deutschland, sagt Lisa Badum, die Klimasprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag.
"Sprache ist Macht. Was ich in Deutschland beobachte, ich sehe zwei Strömungen. Zum einen Aufwind für Klima- und Energiepolitik. Das andere ist eben, dass wir die AfD im Bundestag haben – und dass es leider schon Auswirkungen auf andere Parteien hatte."
In der deutschen Politik wird heftig über die Klimafolgen gestritten, doch keine der im Bundestag vertretenen Parteien leugnet den menschengemachten Klimawandel, außer einer.
Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grüne), Mitglied des Deutschen Bundestages, spricht während der Fragestunde zum Thema Klimaschutz der 54. Sitzung des Deutschen Bundestages.
"Sprache ist Macht", meint die Grünen Lisa Badum. Das zeige sich auch bei den Diskussionen über den Klimawandel im Bundestag.© Fabian Sommer/ dpa
Seit die AfD im Parlament ist, gibt es eine Tendenz, die Leugnung des Klimawandels als legitimen Standpunkt zu diskutieren und dabei den Klimaschutz als das andere Extrem zu charakterisieren. Als die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles darüber sprach, dass die Interessen des Klimaschutzes mit den wirtschaftlichen oder regionalen Interessen in Einklang zu bringen seien, setzte sie Klimaleugner mit den Klimaschützern gleich.
"Bin also an dieser Stelle auch gerne bereit, mich auseinanderzusetzen mit Leuten, die meinen, es gäbe nur eins dieser Ziele, nämlich den Klimaschutz - oder umgekehrt: die AfD, die behauptet es gäbe gar keinen menschengemachten Klimawandel. Beide sind meiner Meinung nach komplett unhaltbare Positionen."

Für Lisa Badum ist das eines von vielen Anzeichen dafür, dass die politische Sprache zunehmend erodiert.
"Das ist natürlich sehr fatal, man geht der AfD und den Klimaleugnern ein Stück weit auf den Leim. Oder was Christian Lindner sagt, wir sind Klimanationalisten. Es könnte auch AfD-Wording sein. Es hängt natürlich zusammen, die Leugnung der Klimakrise und die Leugnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse letzten Endes, und auch die Bekämpfung der Demokratie."
Demokratie ist kein Wettbewerb zwischen alternativen Wahrheiten. Fakten zu etablieren, ist die Aufgabe der Wissenschaft, die als gesellschaftliche Institution genau dafür zuständig ist: Tatsachen herauszufinden.

Zu keinen simplen Prognosen verleiten lassen

Während die Wissenschaft dabei stets mit Unsicherheiten zu tun hat, braucht die Politik aber eindeutige Informationen. Deswegen werden oft falsche Erwartungen in die Wissenschaft gesetzt, sagt Wolfgang Lucht vom Potsdamer Institut für Klimaforschung.
"Die Wissenschaft soll genau sagen, wie es geht, möglichst belastbar, möglichst nachweisbar und mit kleiner Unsicherheit. Aber so läuft das Leben ja nirgends! Wir wissen nicht, wie sich der Ölpreis entwickelt. Wir wissen nicht, wann der nächste Terroranschlag kommt. Die Wirtschaft operiert mit gigantischen Summen und weiß nicht, was passiert. Niemand weiß, wie die nächste Wahl ist, was international passiert. Wir haben gerade ein System, das angesichts solcher Unsicherheiten in der Zukunft versucht, Vorkehrungen zu treffen."
Die Klimaforscher operieren in einem unsicheren Raum, einem sehr komplexen System. Die Klimawissenschaft fasst ihre Ergebnisse gerne in Szenarien zusammen. Jedes Szenario beschreibt eine mögliche Zukunft. Das sind zum Beispiel Kurven des Temperaturanstiegs, die inzwischen auch vielen Nichtwissenschaftlern geläufig sind. Auf vielen Grafiken sind mehrere Kurven zu sehen. Jede geht von anderen Rahmenbedingungen und anderen Szenarien aus. Man sollte sich als Wissenschaftler auf keinen Fall zu simplen Prognosen verleiten lassen, meint Dieter Scherer, Klimatologie-Professor an der Technischen Universität Berlin.
"Viele Wissenschaftler tun so, als ob wir schon genau wüssten, was in 50 oder 100 Jahren kommt. Da wird dann der Begriff verwendet: Klimaprognose. Das ist völlig absurd. Das ist nicht haltbar. Wenn ein Wissenschaftler diesen Begriff verwendet, dann hat er das entweder nicht durchdacht oder er nutzt seine Position oder sie nutzt ihre Position aus. Wir wissen heute, dass wir Szenarien haben, die keine Wahrscheinlichkeit haben, die nur prinzipiell möglich sein müssen. Dann können wir mit den heutigen Erkenntnissen ausrechnen, wie sich die Dinge unter der Vorgabe dieser Szenarien entwickeln würden – und dann bekommen wir das, was wir Klimaprojektion nennen. Eine Klimaprojektion ist nicht wie eine Wettervorhersage. Sie berücksichtigt die Vorgaben des Szenarios und den momentanen Stand unseres Wissens."

Es könne jederzeit etwas passieren, was die Wissenschaft nicht voraussehen kann: ein Ausbruch mehrerer Vulkane oder ein Meteoriteneinschlag. Das würde das Klima schlagartig verändern. Auch über die Tiefen der Ozeane wissen wir, so Scherer, weniger als von der Marsoberfläche.
"Das Einzige, was ich dann schlussfolgere, wenn ich sehe, dass alle, alle Modelle mit dem heute verfügbaren Wissen einen globalen Temperaturanstieg vorhersagen, dann weiß ich: Es wird nicht kälter! Dann habe ich aufgrund des Vorsorgeprinzips die Notwendigkeit, gesellschaftlich zu handeln. Was dann gemacht wird, ist eine politische Entscheidung. Am Schluss muss die Gesellschaft entscheiden, und sie muss das tun auf der Basis der Erkenntnisse. Nicht gegen die Erkenntnisse! Und wenn die Erkenntnisse nicht passen, dann geht man als Partei hin und deklariert sie einfach als falsch."
Dirk Notz, Leiter der Max-Planck Forschungsgruppe "Meereis im Erdsystem", erläutert den Zusammenhang zwischen Kohlenstoffdioxidausstoss und Temperaturerwärmung im Erdklima.
Es wird wärmer auf unserer Erde - aber wie schnell? - Wissenschaftler entwickeln unterschiedlichen Szenarien.© dpa / Markus Scholz

Verschwörungstheorien und die Chemtrails

Wenn es darum geht, Wissen unter Leute zu bringen, hat die Wissenschaft ein deutlich schwierigeres Spiel als die Leugner des Klimawandels. Deren Belege sind extra simpel angelegt, damit auch ein Grundschulkind sie nachvollziehen kann:
"Die Klimawissenschaftler lügen. Die internationale Machtelite nutzt die Klimalüge, um das Volk einzuschüchtern und gefügig zu machen."
"Die Obrigkeit manipuliert das Volk auch direkt, durch Chemikalien, die von Passagiermaschinen gestreut werden."

Diese Verschwörungstheorie trägt den englischen Namen Chemtrail, Kondensstreifen. In den USA waren solche Theorien schon lange vor Trump verbreitet, erzählt Kathleen Mar.
"Ich war bei der US Umweltbehörde dabei, der US EPA. Da hatte ich vor allem mit Luftqualitätsthemen zu tun. Und wahrscheinlich einmal im Jahr wurden wir von jemandem angerufen, der über Chemtrails gefragt hat: Ja, die Governments, die Regierung, vergiftet uns, es kommt aus den Flugzeugen raus… Ich fand es immer witzig, weil: Sie haben sich über the Government beschwert, und wir waren die Government."
Eine Vielzahl von Kondensstreifen am blauen Himmel
Kondensstreifen: Verschwörungstheoretiker vermuten Chemikalien in ihnen, die die Bevölkerung manipulierbar machen.© Presse-Bild-Poss

Verschwörungstheorien in Deutschland

In den letzten Jahren machen sich zunehmend auch in Deutschland Verschwörungstheorien breit. Die Bundesrepublik sei ein totalitärer Staat, eine Ökodiktatur, und die Klimalüge sei ihre Ideologie, genauso wie Staatsideologien der damaligen DDR oder Sowjetunion. Diese Verschwörungstheorie setzt Klimaforscherinnen und Klimaforscher auf eine ganz besondere Weise unter Druck, erzählt der junge Professor am Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin Stephan Pfahl. Denn diese Unterstellung scheint auf den ersten Blick nicht ganz unwahr zu sein.
"Es gibt dann schon auch Angriffe auf einer subtileren Ebene, dass man einen politischen Hintergrund unterstellt bekommt, dass man in die grüne Ecke geschoben wird. Und dann gesagt wird, Weil er in grün denkt, weil das für ihn das Wichtigste der Welt ist, schaut er keine anderen Sachen an. Das ist nicht so leicht zu widerlegen, weil ich das nicht so klar trennen kann. Weil meine Wissenschaft und meine politische Einstellung in der gleichen Person sitzen, und natürlich ist meine politische Einstellung eher grün."
Müssen sich die Klimaforscher aber wirklich rechtfertigen, wenn sie auch persönliche Schlüsse aus ihren Ergebnissen ziehen?
"Da muss ich für mich selbst darüber nachdenken, mich zurücklehnen und sagen, bringe ich dieses Argument, weil es ein wissenschaftlicher Fakt ist oder weil es meiner Einstellung entspricht? Das muss ich reflektieren."

"Das ist ein Klub der Ruheständler"

Vorwürfe, wie die einer "Klimaideologie" finden sich im deutschsprachigen Raum zum Beispiel auf der Plattform EIKE. Das ist ein Verein, der auf seiner Webseite und regelmäßigen Konferenzen den menschengemachten Klimawandel ablehnt. Der FU-Politologe Achim Brunnengräber misst ihm allerdings nicht allzu viel Bedeutung bei.
"Die sind gar nicht so bedeutsam. Diese Debatten über Ökodiktatur, diese Vorwürfe, die geäußert werden, haben keine hohe gesellschaftlich-politische Relevanz. Warum ist das der Fall? Zwei Gründe dafür. Zum einen, es ist keine große Gruppe, die das artikuliert. Wenn sie sich EIKE angucken, die Mitglieder auf der Homepage, das ist ein Klub der Ruheständler. Seit meiner Recherche von 2013 ist die Hälfte verstorben. Das sagt schon viel aus über das Klientel, das sich in der Klimaleugner-Szene bewegt. Der zweite Grund, warum ich sage, dieses Phänomen wird relativiert: Wir haben ganz andere, wichtige, zentrale Energiekonflikte in der Gesellschaft."
Dabei geht es zum Beispiel um den Ausstieg aus der Kohle- und Atomenergie, um den Ausbau der Windenergie oder um die Elektromobilität. In diesem politischen Kampf haben alle Positionen, vom Klimaschutz bis zu Gewerkschaften, ihre berechtigten Gründe, so Brunnengräber.
"Diese Menschen sind gar nicht unbedingt Klimaleugner, nur weil sie gegen die Windkraft sind. Nicht jeder Kämpfer gegen die Windenergie oder gegen den Ausbau der Erneuerbaren ist sofort ein Klimaskeptiker, manchmal hat das nichts miteinander zu tun."

Belegbare Tatsachen werden infrage gestellt

Die Leugner des Klimawandels nehmen am demokratischen Aushandeln von Interessen nicht teil, sondern stellen wissenschaftlich belegbare Tatsachen infrage. Das macht eine sachliche Diskussion unmöglich. Deswegen beschloss die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC im September 2018 folgende redaktionelle Richtlinie:
"Vorsicht vor falschem Gleichgewicht: Da der Klimawandel als Tatsache anerkannt wird, braucht man keine Klimaleugner, um die Debatte auszugleichen. Um Unparteilichkeit zu erreichen, muss man keine direkten Leugner des Klimawandels in die Berichterstattung der BBC aufnehmen. Genauso wie man nicht jemanden aufnehmen würde, der bestreitet, dass Manchester United gestern 2:0 gewonnen hat."
Nach jahrelangen Vorwürfen der Klimaleugner, die Wissenschaft wäre politisch voreingenommen, scheint für viele Forscherinnen und Forscher das politische Engagement nicht mehr selbstverständlich.
Das Potsdamer Institut für Klimaforschung, an dem Wolfgang Lucht arbeitet, liegt hoch auf dem Telegrafenberg aus preußischen Zeiten neben dem berühmten Einsteinturm des Architekten Erich Mendelsohn. Die Potsdamer Wissenschaftler sind dafür bekannt, wenig zögerlich mit klaren Ansagen zu sein, ob in den Medien oder in der Politik.
Die Namen von Luchts Kollegen werden von den Klimaleugnern auf schwarze Listen im Internet gesetzt oder sie werden beschimpft als "Kampfhunde der Alarmisten". Wenn aber die Politik, so Lucht, "hasenfüßig" in Umweltfragen vorgeht, dann müsse die Wissenschaft intervenieren.
"Das ist meine Überzeugung, dass es deswegen heute Mahner braucht und es braucht gutes Wissen. Denn es geht nicht mehr um Ideologie, sondern es geht um Dinge, die konkret, aus der wissenschaftlichen Basis heraus die Folgen für Gesellschaften beschreiben und eine Warnung enthalten und Verantwortung aufrufen", sich dem Klimaproblem zu stellen. Doch Mahner machen sich nicht beliebt.
"Ich kann mich erinnern, vor vielen Jahren stand einmal über unser Institut hier in Potsdam, das seien die ‚Kassandras vom Telegrafenberg‘, auf dem wir unsere Gebäude haben. Es hieß, diejenigen, die immer ‚Katastrophe!‘ rufen und nachher passiert es nicht. Und mal abgesehen davon, dass es einen erschreckenden Mangel an Bildung verrät, weil Kassandra ja diejenige war, der keiner zuhörte, aber sie hatte am Ende recht. Troja ist untergegangen."

"Die Diskussion auf eine rationale Basis stellen"

In der Klimawissenschaft gibt es keine allgemein anerkannte Lösung, wie man diesem Kassandra-Dilemma entkommt. Jeder löst es für sich, sagt Stephan Pfahl.
"Es gibt Kollegen, die Aussagen treffen, die ich so nicht treffen würde, basiert auf dem Stand der jetzigen Forschung. Und die vielleicht ein bisschen über das Ziel hinausschießen, aus meiner Sicht. Ich will nicht sagen, dass es schlecht ist. Das ist eine andere Art der Kommunikation, als ich sie persönlich führen würde."
Die Forschungsergebnisse der Klimawissenschaft werden von Kollegen begutachtet und erscheinen dann in wissenschaftlichen Verlagen. Der Weltklimarat IPCC fasst sie regelmäßig für die Öffentlichkeit zusammen. Doch was tut man, wenn die Ergebnisse nicht adäquat wahrgenommen werden? Dieter Scherer von der TU Berlin, der scharf den Begriff "Klimaprognose" kritisiert, schlägt eine weitere Lösung für das Kassandra-Problem vor.
"Wenn ich als Wissenschaftler tätig bin und auch in der Öffentlichkeit wirksam werde, dann habe ich die gesellschaftliche Funktion, Erkenntnisse der Wissenschaft als Entscheidungsunterstützung in die politische Diskussion einzubringen. Ich darf aber nicht den Fehler machen, dass ich meine wissenschaftliche Position, meinen Professorentitel ausnutze, um einen Entscheidungsprozess in eine bestimmte Richtung zu drängen. Das heißt, unsere Aufgabe ist ganz klar. Wir müssen die Diskussion auf eine rationale Basis stellen. Da ist mein Input gefordert. Aber wir dürfen nicht Werbung für etwas machen, was nicht rein faktenbasiert entschieden werden kann, sondern wo unterschiedliche Wertvorstellungen eine Rolle spielen."

Für Biergarten-Betreiber etwa seien erhöhte Sommertemperaturen gut, aber Landwirte litten unter Dürre, sagt Scherer. Welche Interessen mehr Wert hätten, darüber dürfe er nicht als Professor entscheiden. Seine Stimme solle nicht mehr Gewicht haben, als die Stimme jedes anderen Bürgers.
"Solange die Entscheidung die Fakten berücksichtigt, die wir geliefert haben, ist es eine politische Aufgabe zu entscheiden. Sonst bräuchten wir keine Wahl mehr. Sonst könnten wir eine Technokratie aus Wissenschaftlern machen."
Dritter Teil des 5. IPCC-Sachstandsberichts - Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, steht in Englisch auf weißem Papier.
Zusammenfassung der Ergebnisse der Klimaforschung für politische Entscheidungsträger: der IPCC-Sachstandsbericht.© imago

"Als Wissenschaftlerin werte ich nicht"

Dennoch haben natürlich auch Wissenschaftler eine politische Einstellung. Ute Fehrenbach ist Mitarbeiterin im Fachgebiet Klimatologie des Instituts für Ökologie, und hat eine Möglichkeit gefunden, ihr persönliches Engagement von der Wissenschaft zu trennen.
"Als Wissenschaftlerin werte ich nicht. Ich sagen nicht: Die Hitzewellen werden so viel schlimmer sein als alles, was du bisher erlebt hast, und die Bevölkerung wird leiden ohne Ende, wir werden so und so viel Tote haben. Nein! Ich sage nur, was bisher untersucht wurde und wie die Ergebnisse sind. Als Privatperson kann ich anfangen, zu werten und meine Meinung dazu äußern. Kann auch sagen, dass ich dringend Handlungsbedarf sehe. Als Privatperson bin ich ein Mahner. Wenn ich als Wissenschaftler auftrete, einen Vortrag halte oder einen Artikel schreibe, dann kann ich nur sagen, aus A folgt B."
Wolfgang Lucht ist bereit, einen Schritt weiter zu gehen. Nach dem Gespräch in Potsdam nahm er per Email nochmals Stellung zu den Kassandra-Vorwürfen in der Presse.
"In der Person eines Wissenschaftlers vereinigt sich doch das ganze Fachwissen und seine Unsicherheit, wo eine solche besteht. Dies systematisch abzufragen ist wichtig und interessant. [Sonst] wäre es so, als würde man sagen: Ein Arzt soll bitte nur die Blutwerte diskutieren, aber seine fachliche Einschätzung zum Krankheitsbild bitte zurückhalten, da sie nicht auf Messwerten basiert."
Die Bedeutung des faktischen Wissens, sagt Lucht, sei für einen Rechtstaat unabdingbar.
"Und was wir jetzt brauchen, ist der soziale Umweltrechtsstaat. Ein Rechtsstaat, der sozial ist, aber die Umweltdimension muss in die Staatsstruktur eingebaut werden, damit sie nachhaltig, zukunftsfähig das Wohlergehen der Gesellschaft in der Zukunft absichern kann."
Die Klimaleugner würden dazu sicher sagen, Luchts Umweltrechtsstaat wäre eine "Ökodiktatur". Bei vielen Gesprächen für dieses Feature schienen die Verschwörungstheoretiker wie unsichtbare Dritte dabei zu sein und zu verhindern, dass man über Lösungen nachdenkt. Aber gerade heute, sagt Wolfgang Lucht, "ist unsere Klugheit gefordert, hier zu sagen, es gibt spannende und lebenswerte Formen der Zukunft. Und diese Zukunft sich vorzustellen, das fällt uns sehr schwer. Das ist aber die Aufgabe."
Eine Aufgabe, die vielleicht genauso wichtig ist, wie vor zukünftigen Gefahren zu warnen. Auch dafür sei es noch nicht zu spät, sagt Stephan Pfahl von der FU Berlin.
"Wenn wir jetzt gegensteuern würden, dann könnten man viel vom Klimawandel vermeiden. Natürlich ist die Frage, kriegt man das politisch durchgesetzt? Und das ist eine Frage, die für mich sehr schwierig zu beantworten ist. Im Moment würde ich mich darauf konzentrieren, Wissenschaft zu machen, und natürlich will ich diese Wissenschaft auch kommunizieren. Aber zu sagen: Ich mache eine politische Kampagne aus dem Thema. Das wäre im Moment nicht mein Ding. Vielleicht in 20 Jahren. Oder in zehn Jahren."
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