Das Coronavirus und die Isolation

Die Crux mit dem Abstand halten

04:22 Minuten
Draufsicht auf einen jungen Mann, der entspannt auf einer Couch sitzt und vor sich einen Tisch stehen hat, auf dem sich eine Schale Chips befindet.
Der Mensch lebt nicht von Chips allein. Auch Anerkennung und Gemeinschaftsgefühl müssen sein, schreibt Uwe Bork. © imago/Spectral Panthermedia
Eine Erörterung von Uwe Bork · 24.03.2020
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Hinaus ins Freie! Ein Wunsch, der selbst passionierteste Stubenhocker dieser Tage unbändig umzutreiben scheint. Warum fällt es in Corona-Zeiten vielen so schwer, die Richtlinien des Abstandhaltens umzusetzen, fragt sich der Journalist Uwe Bork.
Eigentlich sollte ich mit diesen neuen Regeln zur Einschränkung meiner Bewegungsfreiheit ja keine Probleme haben. Als gebürtiger Norddeutscher gehört es praktisch zu meiner genetischen Grundausstattung, Abstand zu anderen Menschen zu halten und dafür, dass ich meinen Alltag nicht mehr oder weniger auf öffentliche Straßen oder Plätze verlege, dafür sorgt schon die eher begrenzte Sonnenscheindauer nördlich der Mainlinie.
Und trotzdem: Dass ich einmal ein "Politisches Feuilleton" zuhause an meinem Schreibtisch aufnehme statt in einem Studio einer Rundfunkanstalt, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Aber besondere Situationen erfordern nun einmal besondere Maßnahmen, und diese sollten mich – siehe oben – ja noch nicht einmal besonders treffen.

Der klaustrophobe Koller

Tun sie aber leider doch. Denn komisch, gerade jetzt überfällt mich ein starkes Bedürfnis, in einem Straßencafé die Sonne zu genießen, endlich einmal wieder in einer Buchhandlung zu stöbern oder auch nur den längst überfälligen Termin beim Friseur auszumachen. Alles täglicher Bedarf halt.
Fast hat es den Anschein, als hätte der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal meinen klaustrophoben Koller vorausgeahnt. Einer der Sätze des französischen Denkers aus dem 17. Jahrhundert liest sich im Moment jedenfalls so, als hätte er ihn einem der momentan in allen Medien präsenten Virologen direkt in die Feder diktiert: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen."
In der Tat: Selbst der müdeste Sofa-Softi, dem der Begriff 'Couch-Potato' überdeutlich auf den matten Leib geschrieben ist, scheint gegenwärtig von einem Drang zu unbändiger Aktivität befallen zu sein. Sogar Menschen, deren Bewegungsradius normalerweise durch die Reichweite der Fernbedienung ihres Fernsehers bestimmt wird, entdecken plötzlich den Abenteurer in sich. Und der will nun einmal ins Freie.

Von der Schwarmintelligenz zur Schwarmblödheit

Es überrascht mich selbst: Auch ich kann mich nur mühsam zurückhalten und in meinen eigenen vier Wänden bleiben. Im Grunde unserer Herzen sind wir Norddeutschen nämlich stur, und wenn wir uns einmal etwas in den Kopf gesetzt haben - na, Sie wissen schon.
Pech nur, dass dieses Festhalten an alten Gewohnheiten im Moment nicht unbedingt ein Zeichen von Schwarmintelligenz ist. Eher deutet es an, dass es als Gegenstück auch eine Schwarmblödheit geben muss, die nur dann das Nötige tut, wenn es ihr befohlen wird. Dabei wäre es so einfach, das Richtige zu tun: nämlich nichts. Einmal wirklich zuhause abhängen, den lieben Gott und den Betreiber des nächsten Biergartens einen guten Mann sein lassen, chillen, wenn Sie es etwas moderner mögen.

Abgeschnitten vom Gefühl der Anerkennung

Warum fällt uns diese im Grunde doch angenehme Untätigkeit eigentlich so schwer? Warum halten wir es plötzlich in unseren Zimmern nicht mehr aus und suchen eine Gemeinschaft, die wir gestern doch noch nicht unbedingt vermisst haben?
Ich vermute, es hat damit zu tun, dass wir mit uns selber nichts mehr anfangen können, dass wir irgendeine Tätigkeit, dass wir Arbeit mit anderen und Anerkennung durch andere brauchen, um uns angenommen zu fühlen. Wertgeschätzt, wie es etwas unhandlich heißt.
Das Coronavirus hat uns von dieser Anerkennung abgeschnitten. Wer sagt uns denn jetzt, dass wir wunderbar sind, wenn diese Wunderbarkeit niemand mehr erlebt? Unser Glück wird durch unsere Isolation minimiert: Wir bleiben zwar vielleicht physisch gesund, sind aber einsam. Und sogar einsamer, als das einem Norddeutschen recht sein kann.

Es wird ja nicht ewig dauern

Ich tröste mich momentan also damit, dass Ausgangsbeschränkungen und körperliche Kontaktsperre ja nicht ewig dauern werden. Und wenn sie einmal wieder aufgehoben sind, macht es mir auch nichts mehr aus, in meinem Zimmer und an meinem Schreibtisch zu bleiben.
Denn dann könnte ich ja jederzeit durch meine Tür gehen und unheimlich viele Leute treffen. Mit Abstand oder ohne.

Uwe Bork, Jahrgang 1951, studierte Sozialwissenschaften und war bis Ende 2016 Leiter der Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Er lebt als freier Journalist in Esslingen und ist Autor mehrerer Sachbücher, vor allem zum Thema Religionen, dazu zahlreicher "Politischer Feuilletons" im Deutschlandfunk Kultur.

© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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