"Das Buch ist nicht ersetzbar"

Karl-Heinz Pütz im Gespräch mit Dieter Kassel · 15.10.2009
Karl-Heinz Pütz, Verlagsleiter von Random House Audio, sieht den derzeitigen Einbruch der Hörbuchbranche schlicht in Marktgesetzen begründet. "Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass unser Markt sich von irgendeinem anderen Markt unterscheidet", sagte Pütz.
Dieter Kassel: Vorgelesene Bücher gibt’s schon ziemlich lange. Sie waren aber lange nur Mittel zum Zweck. Man hat Romane oder andere Werke vorgelesen und dann auf Tonband, Kassette oder Schallplatte vertrieben, um Blinden zum Beispiel diese Werke zugänglich zu machen, in entsprechend geringer Stückzahl. In den 1990er-Jahren dann aber ist irgendetwas passiert, was man auch gar nicht so leicht erklären kann: Plötzlich wurden nämlich Hörbücher auf CD zum echten Renner. Sie wurden in großen Mengen produziert, für Schauspieler und Regisseure war das schlagartig eine neue Einnahmequelle, und es entstanden zahlreiche Hörbuchverlage, meist als Unterfirmen großer Buchverlage, manchmal auch in Selbstständigkeit. Es wurde Geld mit diesen Hörbüchern verdient, aber das scheint vorbei zu sein. Vielen Hörbuchverlagen geht es schlecht inzwischen, und immer wieder kann man CDs, die früher vielleicht einmal 40, 50 Mark gekostet hätten, für 14,90 Euro in Drogeriemärkten oder auf anderen Grabbeltischen entdecken. Was ist los mit dem Hörbuchmarkt, warum ist die Produktion eines Hörbuchs offenbar doch keine Lizenz zum Gelddrucken? Darüber wollen wir jetzt mit Karl-Heinz Pütz reden. Er ist der Verlagsleiter von Randomhouse Audio, der Hörbuchsparte des größten Verlagshauses der Welt. Er ist natürlich als Mann in dieser Position auf der Frankfurter Buchmesse und sitzt jetzt da in unserem Ü-Wagen. Schönen guten Tag, Herr Pütz!

Karl-Heinz Pütz: Guten Tag!

Kassel: Ist der Hörbuchboom endgültig vorbei?

Pütz: Nein, das ist er nicht – ich würde zuerst mal das Wort Boom hinterfragen: War es denn jemals ein Boom? –, sondern es ist, wie es das Hörbuch ist, wie viele andere Produkte zu einer bestimmten Zeit, zur richtigen Zeit für das Hörbuch, hat es seinen Markt gefunden und es ist dann wie immer, wenn so was passiert, es neu an den Markt kommt, natürlich gefeiert worden als Hoffnungsträger für neue Umsätze, als Alternative zu anderen Produkten in den Marken, die halt nicht mehr den Erfolg hatten. Und so waren die Erwartungen sehr, sehr, sehr groß an das Hörbuch, und so groß, dass es zum Teil auch nicht zu erfüllen war.

Kassel: Wo lagen denn die falschen Erwartungen gerade von vielen Verlagen, die dann auch neu gegründet wurden, um Hörbücher nicht nur zu verkaufen, sondern auch zu produzieren? Hat man falsch eingeschätzt, wie aufwendig die Produktion ist, oder hat man falsch eingeschätzt, wie klein der Markt ist?

Pütz: Also man hat eher eingeschätzt, wie klein der Markt ist, weil das Buch – und das weist das Buch seit über 500 Jahren nach und es wird es erneut nachweisen – ist nicht ersetzbar. Und das Hörbuch versteht sich – und so hab ich’s immer verstanden – als ein weiteres Medium, Inhalte, Geschichte, Themen zu präsentieren, in der Form dann halt eben über Sprache. Das heißt, alle Erwartungen, die ja bis dahin gingen, irgendwann wird das Buch abgelöst durch das Hörbuch, waren natürlich völlig ungerechtfertigt. Unser Ziel bei Randomhouse war immer, wenn wir die Marktentwicklung in Amerika gesehen haben, wo das Hörbuch ungefähr 15 Prozent des Buchmarktes, des Sortimentsmarktes ausmacht, dieses auch in Deutschland zu erreichen. Wir haben da gute Voraussetzungen mit, wir sind in bestimmten Teilen gar nicht mehr so weit von dieser Zahl entfernt, weil wir natürlich eine sehr gute Radiokultur – das sollte man in diesem Medium mal besonders hervorheben – eine gute Radiokultur haben, die natürlich auch eine der wichtigen Säulen des Hörbuchmarktes ist, also der gelernte Umgang mit Sprache und mit Literatur zum Hören.

Kassel: Das ist aber ein wichtiges Stichwort, Herr Pütz. Zum einen müssen wir unterscheiden, es gibt natürlich Hörbücher, auf denen Romane oder Erzählungen in einer Hörspielfassung angeboten werden, das sind so gut wie immer die Produktionen von ARD-Hörfunksendern, die dann entweder in Lizenzvergabe oder auch in Koproduktion am Ende bei Hörbuchverlagen landen. Die typischen Hörbücher, wo ein Schauspieler oder vielleicht mal zwei ein Buch vorliest, die selber produziert werden, hat man da nicht vielleicht auch künstlerische Schwierigkeiten verkannt? Ich hab mir sagen lassen, da wird zum Teil selbst bei großen Verlagen einem Regisseur 300, 400 Euro gezahlt für die ganze Produktion, ein Schauspieler, der nicht weltbekannt ist, kriegt nur ein bisschen weniger… ein bisschen mehr. Man sitzt in kleinen Studios, wo es dann heißt, wenn du bis heute Abend nicht fertig bist, kriegen wir ein Problem. Hat man vielleicht falsch eingeschätzt, wie aufwendig das eigentlich sein müsste?

Pütz: Also ich glaube, es ist nicht an den Produktionskosten gescheitert, wie es insgesamt… das … die Produktionskosten sind bei Filmen, wo das ja ein Vielvielvielvielfaches sind, nie die entscheidende Frage, ob ein Film sich rechnet oder nicht rechnet, sondern die entscheidende Frage ist immer, wie schätzt man den Markt für so was ein. Das muss man zum Beispiel, wenn man eine sehr aufwendige Hörspielproduktion macht, wird die am kommerziellen Markt nicht mit schwarzen Zahlen abschließen können. Das ist aber auch nicht unsere Aufgabe. Ich glaube, es geht mehr darum, dass man gedacht hat – ich nehme mal das Beispiel, Sie haben es in der Vormoderation angesprochen –, man kann nicht zum 35. Mal noch mal den Faust aufnehmen. Den gibt es nun 18-mal in besseren und schlechteren Fassungen. Man muss sich dann nicht wundern, wenn man die 19. Fassung macht, dass die nicht mehr ein zusätzliches Publikum findet oder nicht mehr das, was man erwartet, sondern wir begleiten eigentlich den Buchmarkt auf der einen Seite, indem wir die Erfolge des Buchmarktes vertonen, wenn man so will. Und nicht jedes Buch ist für das Hörbuch geeignet, selbst wenn es als Buch erfolgreich ist. Es gibt diesen großen Komplex der Sachbücher, wo das wesentlich komplizierter ist, erfolgreichere Bücher zu machen. Aber ich glaube, es geht mehr darum, zu schauen, welche Kombination von Titel und Sprechern sind denn für den Markt wirklich interessant. Und ich glaube, anders wie beim Radio, wo es nicht darum geht, zu experimentieren, sondern wir müssen einer Nachfragesituation gerecht werden, wird die von vielen Hörbuchverlagen nicht erkannt. Was dadurch natürlich entsteht, es ist ja einfach, ein Hörbuch zu machen, viel einfacher, als ein Buch zu machen. Das führte dann dazu, dass wir zeitweise in Deutschland 200 Verlage hatten, die Hörbücher herstellten. Das ist auch eine für den Markt viel, viel zu große Zahl.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Karl-Heinz Pütz, er ist der Verlagsleiter bei Randomhouse Audio. Herr Pütz, wenn Sie jetzt von den 200 sprechen oder sprachen, die wir zur Peak-Zeit mal hatten in Deutschland, da ist natürlich alles dabei, von den Tochterfirmen der großen Verlage bis hin zu Ein-, Zwei-Mann-Betrieben, und wenn wir dann mal darüber reden, dass Sie schon vorher, gar nicht nur auf dieser Buchmesse, schon mal von einer nahen Zukunft geredet haben, in der es drei, vier oder vielleicht maximal fünf Hörbuchverlage in Deutschland geben wird – das werden ja der Hörbuch-Verlag in München, das wird natürlich die Randomhouse-Tochter sein und einige andere große –, was wird denn das für die Entwicklung auf dem Hörbuchmarkt bedeuten?

Pütz: Also man beobachtet eigentlich das Gleiche, wie man’s im Buch beobachtet hat oder in anderen Bereichen, Märkte haben immer die Gesetzmäßigkeit zur Konzentration, weil man versucht, einfach eine höhere Effizienz ins Geschäft reinzubringen, es muss Kapital bereit stehen, das können sehr viel Kleine nicht. Das ist auf der wirtschaftlichen Seite eine fast zwangsläufige Folge. Und wir dürfen nicht vergessen, wir reden immer noch über Markt, das tun wir auf der ganzen Buchmesse auch. Es ist keine kulturelle Veranstaltung, es ist eine marktkulturelle Veranstaltung.

Kassel: Die Buchmesse?

Pütz: Die Buchmesse als Ganzes, so auch unser Markt. Das Zweite ist, was man nicht vergessen darf: Es geht darum, wer kommt zu welchen Rechten. Hörbücher brauchen Autoren, Autoren haben mit wachsendem Erfolg entsprechend hohe Preise, und diese Preise sind von kleinen Labels einfach nicht zahlbar. Also wir reden hier über Lizenzen, die bevorschusst werden müssen, und es gibt Autoren, die erhalten für ihre Bücher – dahinter liegt dann das Hörbuch – bis zu drei oder vier Millionen Dollar für das deutsche Recht für ein Buch. Dann kann man sich vorstellen, dass da die von Ihnen angesprochenen Ein-, Zwei-Mann-, Kleinsthörbuchverlage natürlich völlig aus dem Rennen sind.

Kassel: Aber auf der anderen Seite, hat es nicht auch der Entwicklung auf dem Hörbuchmarkt – auch ich spreche jetzt ganz bewusst von Markt – ein wenig geschadet, dass wir da anders als bei gedruckten Büchern natürlich auch in Deutschland keine Preisbindung haben? Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Es gab – ich weiß gar nicht, wie lang es her ist – bei Tchibo mal fünf Romane, von John Grisham eingelesen, fünf Stück, das ist selbst als mp3 noch viel, für 14,90 Euro. Das war eine Lizenz, ich weiß gar nicht, wer da drauf stand als Label, aber Lizenz war das sogar Randomhouse – da kann man natürlich sagen, Sie haben mit Grisham gedruckt und sonst wie schon so viel Geld verdient, Sie stört das nicht mehr, dass Sie mit den Tchibo-Deal möglicherweise nichts verdient haben. Aber macht man damit die Kleinen nicht kaputt?

Pütz: Wen schützt man mit hohen Preisen?

Kassel: Na ja gut, ein bisschen mehr als 14,90 für fünf komplette dicke Romane wäre ja noch unbedingt ein hoher Preis?

Pütz: Nein, das ist doch eine Frage, die der Markt reguliert. Also wir machen … Gerade aktuell hat Randomhouse oder eine Randomhouse-Lizenz macht gerade Kinder-Wissenshörbücher, die sind im Laden von 1,99 zu erhalten. Ich hab diese Politik betrieben und befürwortet und verfolge sie, weil ich sage, warum soll es das Privileg derer sein, die für irgendwas 14,95 – jetzt geht’s gerade um Kinder in diesem Fall – ausgeben können. Also ich glaube, man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass unser Markt sich von irgendeinem anderen Markt unterscheidet. Falsch ist, und Sie sprechen da ein Thema an, was mir sehr am Herzen liegt – und das sind nicht die Großen, sondern oft die Kleinen, aus der Not geboren –, Sprecher schlecht zu bezahlen, Kürzer schlecht zu bezahlen, Regisseure schlecht zu bezahlen, Studios zu pressen, das macht keinen Sinn, sondern es muss ein faires Marktverhältnis geben, und es muss vor allem professionell geschehen. Und wir haben ein Problem oft bei den kleinen Verlagen – ich verneige mich vor vielen diesen, weil sie eine unersetzbare Arbeit machen, die wir gar nicht leisten können –, aber viele von diesen gehören einfach auch nicht an den Markt, weil sie Dinge tun, die sie nicht professionell können. Und dann kommen eben schlecht bezahlte Sprecher dabei rum.

Kassel: Ich kann aus gewissen Gründen nicht sagen, welcher, aber glauben Sie mir, der Verlag, der 100 Euro für eine gesamte Produktion für die Regie zahlt, ist ein sehr, sehr großer Buchverlag in Europa. Das werden wir aber jetzt hier …

Pütz: Dann sollte man ihn schelten.

Kassel: Können wir machen, kriegen wir aber dann einen sogenannten Libel Suit, wie man heute international sagt. Herr Pütz, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Spaß mit Lesen und Hören auf der Messe!

Pütz: Danke!

Kassel: Das war Karl-Heinz Pütz, der Verlagsleiter Randomhouse Audio, über das, was gerade am Hörbuchmarkt passiert, was er Normalisierung nennt und mancher andere Krise.