"Das Buch ist eine Reflexion über die Gesellschaft in Simbabwe"

Tendai Huchu im Gespräch mit Dieter Kassel · 05.09.2012
Er wollte etwas schreiben, was bisher in der Literatur in Simbabwe nicht wirklich vorgekommen sei, sagt Tendai Huchu. Das Thema Homosexualität habe ihm die Möglichkeit gegeben, in "Der Friseur von Harare" wie durch ein Prisma auf seine eigene Geschichte und die Lebenswirklichkeit in seiner Heimat zu schauen.
Dieter Kassel: Der Debütroman des 1982 in Simbabwe geborenen Autors Tendai Huchu heißt "Der Friseur von Harare" und damit ist schon einiges gesagt. Denn der Roman spielt in dem Friseurladen der simbabwischen Hauptstadt, er wird erzählt von einer Friseurin, die dort der Liebling der Politikergattinnen und anderer wichtiger Frauen ist, bis dann mit einem gewissen Dumisani ein neuer Friseur auftaucht, der ihr viele Kunden wegschnappt. Trotzdem verliebt sie sich im Laufe des Romans in diesen Mann und merkt erst sehr spät, was sein großes Geheimnis ist, denn Dumisani ist schlichtweg schwul. Schwul in einem Land, in dem Homosexualität zum einen hart bestraft wird und wo sie zum anderen dazu führen kann, dass man einfach auf der Straße totgeschlagen wird.

Tendai Huchu, der Autor dieses Romans, kommt aus Simbabwe, wie beschrieben, er lebt aber inzwischen in Schottland, in Edinburgh und ist wegen des internationalen Literaturfestivals zu Gast in Berlin. Und ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn als Erstes gefragt, warum er sich überhaupt entschlossen hat, für seinen Debütroman gleich ein so heikles Thema wie Homosexualität in seinem Heimatland auszuwählen.

Tendai Huchu: Nun, ich glaube, wenn man ein Buch schreibt, dann versucht man ja auch ein bisschen, etwas anderes zu schreiben als das, was vielleicht der literarische Kanon auch eines Landes ist, und deswegen war es mir einfach wichtig, über etwas zu schreiben, was bisher in der Literatur in Simbabwe nicht wirklich vorgekommen ist. Vielleicht in einigen Kurzgeschichten, aber die Romane, die ich selber auch gern lese, in diesen Romanen geht es auch immer um Außenseiter, um Outsider. Und aus dieser Perspektive heraus wollte ich dann auch meine Geschichte erzählen. Weil, wenn man in Simbabwe schwul ist, dann ist man automatisch ein Außenseiter. Nun kommt meine Figur in dem Roman zwar aus einer sehr reichen, wohlhabenden Familie, aber durch seine Sexualität wird er praktisch auf die unterste Stufe in der Gesellschaft gestellt. Und das hat mir die Möglichkeit gegeben, wie durch ein Prisma auf die Gesellschaft in Simbabwe zu schauen.

Kassel: Das Interessante an diesem Buch ist, dass man keineswegs auch als Leser sofort merkt, dass eine der beiden Hauptpersonen schwul ist, und dass man sozusagen nicht mit dem Holzhammer drauf aufmerksam gemacht wird. Es dauert sogar recht lange, bis man dann wirklich begreift, worum es im Kern geht. Warum haben Sie das so gemacht, und war für Sie von Anfang klar, das so, ich nenne es mal, so dezent zu machen?

Huchu: Nun, das Buch ist eine Reflexion über die Gesellschaft in Simbabwe, und es ist einfach so, dass schwul sein auch in Simbabwe nach wie vor illegal ist. Und wir sind immer noch eine sehr konservative Gesellschaft, die das nicht akzeptiert, die eine alternative, eine andere Sexualität nicht annimmt. Und es ist einfach schlecht angesehen. Wenn das jetzt kein Buch wäre, sondern ein Film, dann würde ich sagen, müssen Sie sich das so vorstellen wie bei Columbo, wo man immer schon den Täter kennt, und die Aufgabe von Columbo als Detektiv ist es einfach, das herauszufinden, aber der Zuschauer ist bereits im Bilde. Also es ist eine Art Polizeiroman, den ich geschrieben habe. Das war der Blickwinkel. Ich wollte so ein kleiner Columbo sein. Das war meine Absicht.

Kassel: Wir sollten vielleicht ganz kurz das Thema Homosexualität verlassen und darüber reden, wo der Roman eigentlich spielt. Der spielt natürlich an verschiedenen Orten, im Wesentlichen aber in einem Frisiersalon, oder streng genommen in zweien. Und Sie haben ja nun schon gesagt, dass Sie gerne die Gesellschaft in Simbabwe, so wie sie heute ist, abbilden wollten. Kann man das wirklich am besten tun, wenn man in einen Frisiersalon guckt?

Huchu: Nun, das ist ein sehr interessanter Aspekt, den Sie hier erwähnen. Und mein Roman hat so einen sozialpolitischen Hintergrund. Das wird nicht ganz offen beschrieben, aber das ist etwas, was man so langsam mitbekommt. Und ein Friseursalon eignet sich sehr gut für die Gesellschaft in Simbabwe, die offiziell klassenlos und schrankenlos sein soll, es aber überhaupt nicht ist. Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen Armen und Reichen, die sich auch gar nicht begegnen. Reiche haben ihre eigenen Orte zum Beispiel, an denen sie ausgehen, ihre eigenen Kneipen. Und eigentlich ist der Friseursalon der einzige Ort, wo sie zusammenkommen können, diese unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Und ich hoffe, dass das funktioniert, dieses Treffen beim Friseur.

Kassel: In diesem Friseursalon passieren eine Menge Dinge, auch eine Menge Dinge, die dazu hätten führen können, dass der Roman sehr ernst, sehr traurig, sehr negativ wird. Ich verrate mal, zumindest mein Eindruck war beim Lesen, das ist er nicht. Er ist unterhaltsam, er ist an einigen Stellen lustig, er ist an einigen Stellen tragisch. Aber dieses Traurige, dieses Pessimistische hat er am Ende nicht. Zum Beispiel nicht mal an einer Stelle, an der jemand – ich sage nicht, wer es ist – aus politischen Gründen fast totgeschlagen wird, was am Ende aber nicht passiert. Wie haben Sie es geschafft, diesen Ton, diesen doch relativ leichten Ton zu halten bei diesen Themen zum Teil.

Huchu: Nun, es gibt ja schon genug Bücher, die wirklich nur auf die Gewalt und auf die Brutalität und auch vielleicht das Traurige abzielen. Das hielt ich jetzt nicht für nötig. Und die Medien berichten ja genug über all das, was in Simbabwe an Brutalität und an schrecklichen Dingen geschieht. In einem Roman allerdings habe ich einfach die Chance, auch mehr den Alltag darzustellen, und dieser Alltag, der unterscheidet sich schon von dem Bild, was man in den Medien hat, weil ich im Roman einfach auch die Chance habe, ein bisschen unter die Oberfläche zu schauen.

Und natürlich ist bei uns in Simbabwe vieles so, wie es hier auch ist: Die Leute verlieben sich, die Leute haben Spaß, die Leute haben ähnliche Sorgen wie hier im Westen. Aber wir haben einen sehr schwarzen Humor. Um Ihnen ein Bespiel zu geben: Wenn mich ein Freund anruft, ist seine erste Frage immer, lebst du noch. Und ich antworte ihm dann immer, und was, und du bist noch nicht tot? Das ist natürlich eine sehr spezielle Form des Humors, die man vielleicht in anderen Gesellschaften nicht so versteht, aber in Simbabwe ist das auch ein Ausdruck dafür, dass man so eine Spannung damit auch lösen kann, weil man ja nicht immer so offen seine Meinung sagen darf.

Kassel: Wir reden heute Nachmittag mit dem Autor Tendai Huchu, der inzwischen in Edinburgh in Schottland lebt und aus Simbabwe kommt, über seinen Roman "Der Friseur von Harare", der auch in Deutsch erhältlich ist. Und wir kommen jetzt, glaube ich, doch zurück auf dieses Thema Homosexualität, denn Sie haben ja schon gesagt, dass es den allermeisten Menschen in Simbabwe sehr schwerfällt, Homosexualität, überhaupt andere Formen von Sexualität als die ganz normale Heterosexualität zu akzeptieren. Aber es geht ja nicht nur darum, dass es den Menschen schwerfällt, es geht darum, dass es auch in Simbabwe strikte Gesetze gibt, strikter sogar als in den meisten afrikanischen Ländern, die auch entsprechende Gesetze haben. Man kann da jetzt im Gefängnis landen, nur weil man Händchen gehalten hat mit einem anderen Mann. Und diese Gesetze sind sogar noch relativ neu. Was passiert da, woher kommen solche Gesetze, zum Beispiel?

Huchu: Ich habe mich sehr ausführlich damit befasst. Es gibt einen Wissenschaftler in Kanada, der hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, woher diese Homophobie in Afrika eigentlich stammt. Weil sie wird als sehr unafrikanisch angesehen, und das hat sehr viel mit der Kolonialzeit zu tun. Wir hatten in Afrika eine sehr viel liberalere Einstellung, bevor wir zu Kolonien geworden sind. Und das sind ja auch Gesetze, die von den Kolonialisten uns aufgedrückt worden sind, gerade jetzt von den Briten. Simbabwe war eine britische Kolonie. Viele Länder im Umkreis waren britische Kolonien. Und es zeigt auch ganz klar, was für ein Verhältnis Europa zur Homosexualität letztendlich hatte. Und wie da auch christliche Eiferer mit daran gewirkt haben, Homosexualität zu verteufeln, und da man ja Afrikaner nicht wirklich auf einer Stufe mit den Weißen gesehen hat, sondern gesagt hat, die ähneln ja mehr den Tieren, andererseits damit argumentiert, unter Tieren gibt es keine Homosexualität, ließ sich dann so ein Gleichschluss daraus schließen, dass Afrikaner gar nicht homosexuell sein können.

Und aus dieser verqueren Logik ist dann letztendlich auch erstanden, dass Homosexualität eben etwas ist, was die Kolonialisten gebracht haben, was die Europäer gebracht haben und was absolut unafrikanisch sei. Und dadurch hat sich das Verhältnis zur Homosexualität so geändert. Das ist aber eine relativ neuere Entwicklung.

Kassel: Aber reden wir doch trotzdem speziell über Simbabwe und über Unterschiede zu anderen Ländern. Wenn wir zum Beispiel Südafrika nehmen, auch eine ehemalige britische Kolonie, dort ist Homosexualität legal, und Südafrika war eines der ersten Länder, das sogar homosexuelle Ehen zugelassen hat. Wenn wir uns Botswana angucken, da gibt es Gesetze, die Homosexualität verbieten, aber sie werden einfach überhaupt nicht mehr beachtet. Und dann gibt es die Lage in Simbabwe und ähnliche Situationen zum Beispiel in Uganda. Woher kommen dann diese Unterschiede?

Huchu: Nun, die Unterschiede in Afrika sind natürlich sehr groß. Aber um das Beispiel von Südafrika aufzunehmen: Das sind natürlich die politischen Gesetze, die reflektieren ja nicht unbedingt die Haltung, die überall in der Bevölkerung stattfindet. Also, ich möchte da auf etwas hinweisen, zum Beispiel gibt es ja in Südafrika auch Lesben, und es gibt wirklich Fälle von Vergewaltigungen an Lesben, die von einem Teil der Gesellschaft in irgendeiner Weise sogar gutgeheißen werden, weil man davon ausgeht, man könne so diese Lesben sozusagen umerziehen und man würde ihnen etwas Gutes tun. Also auch das gibt es. Und viele Politiker können einfach auch Kapital daraus schlagen, wenn sie sehr homophobe Botschaften verbreiten, weil sie sich damit der konservativen Wählerschicht sehr sicher sein können.

Und dann darf man nicht vergessen, es gibt sehr viele amerikanische evangelische radikale Gruppen, die aktiv sind zum Beispiel in Afrika, die dafür Geld ausgeben, dass es diese homophoben Gesetze gibt. Und die sind überall unterwegs, zum Beispiel auch in Uganda, wo sie wirklich versuchen, dass diese sehr homosexuellenfeindlichen Gesetze wirklich jetzt durch das Parlament durchkommen. Und in Simbabwe sind auch solche amerikanischen Gruppen unterwegs, die dafür sorgen wollen, dass in der Verfassung, die gerade geschrieben wird, eben keine sexuellen Rechte festgeschrieben werden. Wie gesagt, das ist in den einzelnen afrikanischen Ländern wirklich sehr unterschiedlich.

Kassel: Sie wollten kein pessimistisches Buch über Ihr Land schreiben, und ich betone gerne, dass Sie das in meinen Augen auch nicht getan haben. Heißt das auch, dass Sie die Hoffnung haben, dass in absehbarer Zukunft auch die Lage der Homosexuellen in Simbabwe sich verbessern könnte?

Huchu: Ja, ich glaube schon, dass sich da einiges ändern wird, und ich sehe das wirklich auch nicht so negativ, aber dieser Fortschritt, der wird kommen, andere Länder haben das auch bewiesen, dass so ein Fortschritt auch möglich ist, auch, was mehr Bürgerrechte betrifft, aber das wird ein sehr, sehr langsamer Prozess sein, das wird dauern und das nimmt Zeit in Anspruch.

Kassel: Tendai Huchu, aus Simbabwe stammender und jetzt in Edinburgh lebender Autor des Romans "Der Friseur von Harare". In der Übersetzung von Jutta Himmelreich ist dieser Roman im Peter-Hammer-Verlag erschienen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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