Das Auto - ein Auslaufmodell?

Hermann Knoflacher im Gespräch mit Gabi Wuttke · 04.08.2010
Viele Bewohner in den Städten würden auf ein eigenes Auto verzichten, weil sie merkten, dass "das Leben ohne Autos einfach besser ist als mit dem Auto". Das sagt der Verkehrsplaner Hermann Knoflacher und fordert, "wieder kleine, differenzierte Strukturen anzubieten", um so den "Mobilitätsaufwand" zu reduzieren.
Gabi Wuttke: CO2, Kohlendioxid – Autos produzieren weltweit nach wie vor ein Viertel des Klimakillers. Auch darum geht es natürlich derzeit bei der Vorbereitung des nächsten Weltklimagipfels in Bonn. Gleichzeitig gilt es festzuhalten: Zumindest in den großen Städten vieler Industrieländer verzichten die Bewohner mehr und mehr auf ein eigenes Auto. Sind die vier Reifen, die zumindest bei uns mal die Welt bedeuteten, also ein Auslaufmodell? Professor Hermann Knoflacher ist jetzt am Telefon, er war Verkehrsplaner an der Technischen Universität Wien und ist absolut kein Freund des Autos. Guten Morgen!

Hermann Knoflacher: Guten Morgen! Das kann man nicht sagen, ich bin ein Freund des Menschen.

Wuttke: Hat das Auto seinen Zenit hinter sich?

Knoflacher: Ja, sicher, also in den Industrieländern auf jeden Fall, wo man seit ungefähr 30 Jahren die Strukturen ändert, wieder menschenfreundlicher macht, sozial verträglicher und auch umweltverträglicher, und die Menschen nehmen langsam wahr, dass in diesen Strukturen das Leben ohne Autos einfach besser ist als mit dem Auto.

Wuttke: Aber das Auto ist doch auch ganz oft immer noch ein Freund des Menschen?

Knoflacher: Das kann man eigentlich nicht sagen, weil es sich ja vom Menschen aushalten lässt, ihn schädigt, direkt und indirekt, aber natürlich individuell enorme individuelle Vorteile bringt, also zum Beispiel die mühelose Bewegung und dergleichen, solange die Randbedingungen das zulassen. Aber das ist in Städten halt immer weniger der Fall.

Wuttke: Das heißt: Ist der Rückgang von Autobesitzern in großen Städten und das sich ausbreitende Desinteresse gerade junger Leute an einem Führerschein auf Einsicht oder auf Not zurückzuführen?

Knoflacher: Das ist weder das eine noch das andere, sondern auf Intelligenz.

Wuttke: Einsicht hat ja durchaus was mit Intelligenz zu tun.

Knoflacher: Ja, ja, schon, aber das ist sozusagen Intelligenz, die im Physischen wie auch im Psychischen vorhanden ist, weil man die Strukturen einfach liest, das heißt: Wir haben ja 50 Jahre lang oder fast 100 Jahre lang Strukturen gegen alle anderen Verkehrsteilnehmer und für das Auto gebaut, und in den Städten hat man begonnen in den 70er-Jahren, diese Geschichte zu kippen und schön langsam schlägt das auch auf die Bewohner durch. Von selbst erkennen sie, dass es einfach sozial verträglicher und besser ist, ohne Auto zu leben.

Wuttke: Aber die Strukturen, die lassen sich doch nicht zurückdrehen.

Knoflacher: Na ja, zurückdrehen nicht, aber sie lassen sich wieder menschlich gestalten, das heißt, die Einführung der Fußgängerzonen, das Angebot für den Radverkehr, die Verbesserung im öffentlichen Verkehr und vor allem das Entscheidende ist die Wegnahme der Parkplätze – das heißt, die Befreiung aus der Besetzung, die durch das Auto im öffentlichen Raum begonnen hat, ist ein typisches wirksames Element, das eben dazu führt, dass die Leute auf das Auto verzichten können, viel leichter als früher.

Wuttke: Vielleicht können wir mal den Blick zurück machen: Sie haben ja vor fast einem Vierteljahrhundert angefangen, für eine Stadt ohne Autos zu kämpfen. Welche Position gab es damals oder vielmehr, wie hat es sich dann tatsächlich über die Jahrzehnte verändert, diese Einsicht, diese Intelligenz?

Knoflacher: Das heißt, nicht nur dafür zu kämpfen: Ich hatte die wissenschaftlichen Ergebnisse, wo man ansetzen muss, nämlich beim Menschen und damit bei der Nähe des Parkplatzes, und es ist mir dann gelungen in den praktischen Planungen, Partner in der Politik und in der Verwaltung zu finden, vor allem – das habe ich selber so ja auch produziert – durch meine Studenten, die das umgesetzt haben. ^

Und wenn man diese Dinge umsetzt, dann stellt man fest: Die Sache funktioniert genauso wie in die Gegenrichtung, und wir müssen in die andere Richtung gehen, um einfach mit den Problemen fertigzuwerden, nämlich der soziale Zerfall der Familien, die Zerstörung der lokalen Wirtschaftsstrukturen und dergleichen – denen muss Einhalt geboten werden, und wir müssen es auch aus der Befreiung der großen Strukturen, insbesondere Shopping-Centers und internationale Konzerne, befreien. Das gehört ja alles mit dazu, weil das Auto ist ein Konzernprodukt, durch die sehr starke Bindung des Menschen an das Auto.

Über die Energieverbrauchsebene des Körpers, also die älteste Evolutionsebene aller Lebewesen eigentlich, muss man die physischen Strukturen, die rechtlichen Strukturen und auch die organisatorischen ändern, und wenn das gelingt, dann verzichten die Leute … werden die Autofahrer wieder zu Menschen.

Wuttke: Menschen sind für Sie Personen, die sich vor allen Dingen auf zwei Füßen bewegen?

Knoflacher: Das ist klar. Unsere Zivilisationskultur ist auf zwei Beinen sozusagen entwickelt worden, Kopf und Hände haben in Zusammenarbeit eben das geschaffen, was wir unser Sozialsystem nennen. Und diese Auflösung ist durch das Auto eben passiert: Autofahrer ist ein Vierbeiner, der sich auch aus der ganzen Kultur und Zivilisation des Menschen verabschiedet, das heißt, der evolutionäre Unterschied zwischen dem Auto und dem Menschen ist größer als zwischen dem Menschen und Insekten zum Beispiel.

Wuttke: Aber hieße das nicht, dass der Fußgänger, also der Mensch, der sich auf seinen eigenen zwei Beinen bewegt, in der heutigen Welt zum Nomaden werden muss, um zu bestehen?

Knoflacher: Das muss nicht der Fall sein, weil der Fußgänger ist ja mit einem Hirn ausgestattet und auch die Wirtschaftsleute sind mit Hirnen ausgestattet, und sobald Menschen zu Fuß unterwegs sind, stellen die fest: Es ist zweckmäßiger, wieder kleine, differenzierte Strukturen anzubieten. Ich stelle das fest, wenn ich seit 40 Jahren Fußgängerzonen in der Lage bin, umzusetzen: Auf einmal entstehen wieder kleine Geschäfte, auf einmal kommen wieder Arbeitsplätze in die Nähe, auf einmal entstehen lokale, interessante Sozialkontakte, und auf einmal kann man die Zeit auch in der Nähe verbringen, anstatt irgendwohin wie ein Nomade herumzureisen. Dann ist es aber auch interessanter, irgendwo anders hinzugehen, weil die Unterschiede größer werden. Durch die hohen Geschwindigkeiten der Verkehrssysteme gleichen sich ja die Unterschiede weltweit aus. Da muss man sich fragen: Wozu reist man überhaupt noch weg?

Wuttke: Die Autoindustrie ist ja inzwischen äußerst bemüht, ihre Produkte zweckgerecht zu präsentieren, um sie abzusetzen. Andererseits, war jetzt gerade zu lesen, baut die deutsche Regierung offensichtlich mangels Geld keine neuen Verkehrswege mehr, also auch keine Autobahnen. Wo sehen Sie uns realistischerweise in einem Vierteljahrhundert?

Knoflacher: Also sicher bei wesentlich weniger Autoverkehr, ist gar keine Frage. Wir werden einen erheblichen Teil der Autoverkehrswege, wenn wir noch das Geld und die Kraft dazu haben, abtragen müssen, das heißt, das wird hin zu einer wesentlich nachhaltigeren Gesellschaft mit weniger Mobilitätsaufwand gehen. Das heißt, die Gesellschaft wird geistig mobiler und physisch nicht immobiler sein, aber intelligenter.

Wuttke: Das Auto und der Mensch, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Wiener Stadtplanungsprofessor Hermann Knoflacher. Herr Knoflacher – vielen Dank für dieses Gespräch, schönen Tag zu Fuß!

Knoflacher: Einen schönen Tag noch!
Radfahrer fahren zwischen Essen und Bochum auf der Autobahn 40. Diese ist für das Projekt "Still-Leben" gesperrt.
Autobahnen zu Lebensräumen: Radfahrer fahren zwischen Essen und Bochum auf der Autobahn 40. Diese wurde für das Projekt "Still-Leben" gesperrt.© AP